Wildspitz. Monika Mansour. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Monika Mansour
Издательство: Bookwire
Серия: Zuger-Reihe
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960416692
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ab und marschierte den Korridor zurück, hinüber auf die andere Seite, in das Reich der Zellkulturtechnik. Das gleiche Bild der Zerstörungswut. Sie winkte Bolander zu sich. «Was hast du für mich?»

      «Auf den ersten Blick scheint nichts zu fehlen. Hier war jemand echt sauer.»

      «Oder will mit fiesen Tricks das Rennen gewinnen.»

      Bolander warf Sara einen fragenden Blick zu.

      «Erkläre ich dir bei der Besprechung. Ich sehe mal nach, wie Lind sich schlägt.»

      Sara ging die Treppe hinunter ins fast futuristisch anmutende Parterre. Weisser glänzender Marmor und kahler Beton wechselten sich ab. Schmale, hohe Fenster waren in die Aussenwände eingelassen. Die Eingangstür bestand aus sich drehenden bunten Glasflügeln. Der Raum verbreitete eine kirchenähnliche Atmosphäre, die nicht so recht in ein Labor in Rotkreuz passte. Mitten im Eingangsbereich stand die Empfangstheke von Rivoli Biotech Analytics. Sie war ein runder, geschlossener Kreis, der Sockel aus Beton, die Ablage aus weissem Marmor, indirekt mit blauem Licht bestrahlt. Die Treppe lag an der Seite, hinter dem Empfang führte ein Durchgang zur Kantine, die natürlich um drei Uhr nachts geschlossen war.

      Es herrschte reges Treiben. Sicherheitsbeamte der Polizei und die Kollegen vom KTD erledigten ihre Arbeit. Durch die Flügeltür sah Sara draussen die blauen Lichter der Polizeiwagen.

      Die Leiche lag auf halbem Weg zwischen Empfang und Eingang. Der Nachtwächter musste die Einbrecher überrascht haben. Sara ging zu Lüscher, der mit dem Amtsarzt diskutierend neben der zugedeckten Leiche stand. «Zwischenbericht?»

      Lüscher schob seine dunkle Hornbrille auf dem Nasenrücken zurecht. Die Brille irritierte Sara. Obwohl sie grob und klotzig war, stand sie dem zierlichen, blonden, jungen Mann gut. Ohne seine Brille hätte sie Lüscher als langweilig und fad abgetan. Die Brille verlieh ihm Charakter. «Erschlagen mit einem stumpfen Gegenstand», sagte Lüscher. «Von vorne. Der Schlag traf ihn mitten auf die Stirn. Das vordere Schädeldach ist zertrümmert.»

      «Frau Jung», sagte der Amtsarzt, dessen Namen Sara vergessen hatte, «so sieht man sich wieder. Ist es Zufall, dass Sie jedes Mal die leitende Pikettoffizierin im Dienst sind, wenn ein Verbrechen geschieht?»

      Was sollte diese bissige Bemerkung? Sara hatte dem guten Doktor nichts zuleide getan. «Na, Sie sind ebenfalls hier.»

      Er wandte sich ab und hob seinen Arztkoffer vom Boden auf. «Die Todesursache ist eindeutig. Der Bestatter soll das Opfer für die Legalinspektion ins Friedhofsgebäude Waldheim bringen. Ich werde ihn mir dort morgen früh genauer ansehen. Vorher lege ich mich für ein paar Stunden ins Bett.» Weg war er, ohne ein Wort der Verabschiedung.

      «Was ist mit dem los?», fragte Sara.

      «Er ist wütend.»

      «Auf wen? Auf mich? Ich kenne ihn kaum.»

      «Eben. Du ignorierst ihn konsequent. Hast du ihn gegrüsst?»

      «Ähm …»

      «Kennst du überhaupt seinen Namen?»

      «Sicher, das ist Dr. …»

      «Hast du dich je einmal bei ihm für seine Arbeit bedankt?»

      Sara verwarf die Hände. «Leichen für tot zu erklären ist sein Job.»

      Lüscher grinste. «Eben. Ein Job, der gewürdigt werden will. Geht uns allen gleich.»

      «Worauf willst du hinaus?»

      «Du wirst es verstehen – irgendwann einmal. Die Hoffnung stirbt zuletzt.»

      Frecher Kerl, dachte Sara. Lüscher hatte sich im letzten Jahr vom Grünschnabel zu einem hervorragenden Kriminaltechniker gemausert. Er war einer der wenigen, den sie bei der Zuger Polizei mochte. «Unsere Täter verschafften sich die Zugangscodes», fasste Sara zusammen, «stürmten durch die Flügeltür ins Gebäude, trafen unvorbereitet auf den Nachtwächter –»

      «Ramirez, Pedro Ramirez. Das Opfer hat einen Namen.»

      Sara stockte einen Moment und fuhr fort. «Sie erschlugen den … Sie erschlugen Ramirez, stürmten hoch zu den Labors, zerstörten alles, was ihnen in die Finger kam, rannten hoch ins zweite Stockwerk, wüteten in den Lagerräumen, brachen die Gefrierschränke auf, befreiten die Versuchstiere und verzogen sich, bevor ein erstes Team der Sicherheitspolizei eintraf.»

      Lüscher nickte.

      «Wann genau lösten sie den Alarm aus?»

      «Als sie oben die Türen zu den Labors öffneten. Dort ist zwischen elf Uhr abends und fünf Uhr morgens ohne Bewilligung kein Zutritt erlaubt.»

      «Was vermuten lässt, dass sie erst ganz oben bei den Tieren waren und danach die Labors betraten?»

      «Meine Vermutung.»

      «Haben sie hier unten etwas angefasst?»

      «Nein, hier wurde nichts zerstört – bis auf Pedro Ramirez. Und es gab eine Entführung.»

      Sara stützte die Hände in die Hüften. «Das sagst du mir erst jetzt?»

      «Hier.» Lüscher kniete sich nieder und schob das Leichentuch ein Stück zur Seite. Zum Vorschein kam eine Hundeleine mit einem Halsband. «Ramirez war nie allein unterwegs. Coco war bei ihm.»

      «Ein Hund?»

      «Ein Deutscher Schäferhund. Der ist weg.»

      «Sie haben den Wachhund mitgenommen? Und die Versuchstiere? Wie haben sie die Viecher weggepackt? Der Hund wird die Einbrecher ja nicht schwanzwedelnd empfangen haben.»

      «Vermutlich haben sie ihn betäubt. Auch die grösseren Versuchstiere mussten sie ruhigstellen. Mäuse, Ratten, Kaninchen und Meerschweinchen konnten sie in Taschen packen.»

      «Ich brauche die Bilder der Überwachungskameras. Ach ja, in den nächsten Minuten sollte eine Tamara Hansen eintreffen. Schick sie sofort zu mir. Sie war eine Arbeitskollegin von Ramirez. Sag mal, wohin hat sich Lind verzogen? Er wollte sich mit diesem Professor Günter Zach unterhalten, dem Leiter des Labors.»

      Lüscher zeigte am Empfang vorbei Richtung Kantine. «Rechts findest du das Büro von Zach.»

      «Dann werde ich hingehen und Hallo sagen.»

      Lüscher zeigte mit dem Finger auf sie. «Gute Idee. Nicht vergessen, dabei zu lächeln.»

      Hätte Sara einen Gegenstand in Griffnähe, hätte sie ihn Lüscher an den Kopf geschmissen. Stattdessen knurrte sie unverständliche Worte und marschierte davon.

      Zachs Name stand in fetten Lettern wichtigtuerisch an der Tür. Sara stiess sie ohne anzuklopfen auf, das hier war schliesslich ihr Tatort. Lind und Zach schauten auf, als sie sich zu ihnen an den Arbeitstisch setzte. Die beiden Männer hätten Brüder sein können. Grau melierte Haare, die sich im Nacken kräuselten, gepflegter, kurz gestutzter Bart, schmale Augen, beide um die sechzig, sportlich, aber mit einer in dem Alter akzeptablen Schicht Wohlstandsspeck um die Bauchgegend. Was sie unterschied, war die Kleidung. Lind, der Hippie aus Überzeugung, und Zach, Geschäftsmann durch und durch, mit dunkelblauem Massanzug, farblich abgestimmter Krawatte und in eine ordentliche Portion Markenparfum eingehüllt. Sein Gesichtsausdruck war ernst, konzentriert, sachlich. Sara beschloss, auf das Hallo zu verzichten, streckte ihm die Hand hin und drückte kräftig zu. «Sara Jung, Chefin der Zuger Kriminalpolizei. Sie leiten Rivoli Biotech Analytics?»

      Zach liess ihre Hand los und lehnte sich langsam in seinem Bürosessel zurück. «Korrekt.»

      «Wer ist Eigentümer?»

      Lind stiess Sara unter dem Tisch mit dem Fuss an. «Habe ich mir bereits alles notiert. Früher war das Labor ein Familienunternehmen. Die Familie Rivoli lebt in Mailand. Vor fünf Jahren haben sie Rivoli Biotech Analytics an eine Holding mit Sitz in den USA verkauft.»

      «Finden Sie die Einbrecher», sagte Zach harsch. «Sie haben fast das komplette Labor zerstört. Der Schaden wird in die Millionen gehen.»

      «Tja,