Wildspitz. Monika Mansour. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Monika Mansour
Издательство: Bookwire
Серия: Zuger-Reihe
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960416692
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die Haarpracht. «Es lagern nur Zellkulturen in den Schränken und Apparaten. Wir arbeiten in diesen Labors zurzeit mit keinen gefährlichen Zellstämmen.»

      Bolander atmete erleichtert durch und betrat mit zwei Männern die Räume.

      Dr. Weisshaar kam auf Sara zu, die mit den Kollegen vom KTD vor der Tür zu den Labors der Bioverfahrenstechnik wartete. Weisshaar hielt ihren Badge ans Lesegerät und tippte den PIN-Code ein. Die Glastür sprang zur Seite auf.

      «Sagen Sie, wird aufgezeichnet, wer, wann, mit welchem Badge die Labors betritt?», fragte Sara.

      «Ja. Pedro kann – nein, nicht mehr.» Weisshaar blieb stehen. «Es ist Pedro, nicht, der unten zugedeckt liegt? Er hatte heute Nachtdienst.»

      «Kannten Sie den Nachtwächter gut?»

      «Nein, überhaupt nicht. Wir grüssten uns. Er begann seine Schicht, wenn ich Feierabend hatte, und am Morgen verabschiedete er sich, wenn ich zur Arbeit kam.»

      «Pedro Ramirez hätte nachsehen können, wer die Türen öffnet?»

      «Ja.»

      «Wer kann das noch?»

      «Günter hat Zugriff, aber er kennt sich mit der Technik im Überwachungsraum nicht aus. Jerry ist in den Ferien. Tamara müsste verfügbar sein.»

      «Tamara wer?»

      «Tamara Hansen. Sie arbeitet auch für Safetron, die Sicherheitsfirma, die wir angestellt haben und welche für die Überwachung von Rivoli zuständig ist. Stehen Sie mit denen nicht in Kontakt?»

      «Wir arbeiten dran», sagte Sara. Innerlich fluchte sie. Warum war sie nicht über die externe Sicherheitsfirma informiert worden? Sie trat einen Schritt beiseite, rief die Zentrale an und verlangte, dass man sofort Kontakt mit Safetron aufnahm. Und sie wollte diese Tamara Hansen unverzüglich hier bei Rivoli Biotech Analytics haben.

      «Meine Güte, die haben alles zerstört.» Weisshaar wollte vorgehen, aber Sara hielt sie zurück.

      «Hinter mir bleiben! Es besteht die geringe Chance, dass sich noch einer der Täter hier aufhalten könnte.» Sie zog ihre Dienstwaffe und ging vor, gefolgt von den beiden Männern des KTD. Sara verschaffte sich einen ersten Überblick. Kein Lebenszeichen. «Okay, Sie können kommen», rief sie der Biochemikerin zu.

      Es war kaum ein Schritt möglich, ohne dass Glassplitter unter den Schuhen knirschten. «Hier kreucht und fleucht garantiert nichts Giftiges herum?», fragte Sara. «Genmanipulierte Moskitos, tollwütige Mäuse oder muntere Ebolaviren zum Beispiel? Ich habe ‹Outbreak› bestimmt zehnmal im Fernsehen gesehen.»

      «Nein, nicht mal ein Grippevirus haben wir zurzeit in Arbeit.» Weisshaar blieb stehen und schaute sich den Schaden an. «Wir experimentieren seit Wochen mit Stammzellen, Fettgewebe und Knochenmark für zelltherapeutische Zwecke. Völlig harmlos. Oh nein, die Idioten haben den Techfors-Bioreaktor komplett zerstört, die Inkubatoren aufgerissen und die angelegten Kulturen auf den Boden geschmissen. Es wird Wochen dauern, bis wir hier wieder arbeiten können.»

      Sara folgte Weisshaar in den nächsten Raum, der aussah wie eine Raumstation. Ein roboterartiges Gerät mit Monitor stand in der Mitte. Als läge das Ding auf einer Intensivstation, war es mit Dutzenden Schläuchen und Kabeln verbunden, die zu zylinderförmigen Behältern und Kästen in unterschiedlichsten Grössen führten.

      Weisshaar schlug die Hände vors Gesicht. «Diese Ernte können wir streichen. Die haben den Fed-Batch-Prozess unterbrochen.»

      «Den was?»

      «Eine Verfahrenstechnik zur Befüllung der Reaktionsgefässe. Dabei hatten wir letzte Woche endlich den ersten Durchbruch in dieser Testreihe. Ein halbes Jahr Forschungsarbeit ist einfach zerstört, all die Daten, Aufzeichnungen und Resultate sind nutzlos. Wir können von vorne beginnen.»

      Sara zeigte auf die Apparaturen. «Was machen Sie hier genau?»

      «Biomassenfermentation.»

      «Aha.»

      «Das erkläre ich Ihnen nicht im Detail.» Weisshaar war gereizt und marschierte ins nächste Zimmer. Überall das gleiche Bild der Zerstörung.

      «Haben die Täter etwas gestohlen?», fragte Sara, die Weisshaar Schritt auf Tritt folgte.

      «Sieht nicht danach aus.»

      «Wem nützte es, wenn Ihre Testreihen zerstört werden?»

      «Der Konkurrenz. In der Pharma-, Kosmetik- und Lebensmittelindustrie ist der Konkurrenzkampf hoch. Viele Firmen arbeiten an ähnlichen Forschungsprojekten. Wer als Erster ein Ergebnis liefert, ein Medikament auf den Markt bringt und es patentieren lässt, hat gewonnen.»

      Sara musste sich eingestehen, dass dies ein gutes Motiv für die Zerstörungswut der Einbrecher gab. «Sie arbeiten mit Versuchstieren?»

      Weisshaar drehte sich zu Sara um. «Das ist unschön, aber manchmal unumgänglich. Wir versuchen, uns streng an das ethische 3R-Prinzip zu halten: Replace, Reduce, Refine. Vermeiden, Verringern, Verbessern. Wenn möglich, greifen wir auf alternative Testmethoden zurück. Immer geht das nicht. Wenn wir komplett auf Tierversuche verzichten, werden bald keine neuen Medikamente mehr auf den Markt kommen. Die Menschen wollen keine Tierversuche, aber wenn das eigene Kind an Krebs erkrankt oder eine Coronapandemie ausbricht, betteln sie um Medikamente, ganz gleich, ob Tiere deswegen sterben mussten.»

      Warum so aggressiv?, fragte sich Sara. Sie hatte nur eine einfache, sachliche Frage gestellt und als Antwort keinen heissblütigen Vortrag erwartet. Weshalb schaltete Weisshaar gleich in den Verteidigungsmodus? Plagten sie Schuldgefühle?

      «Sie haben keine Ahnung, wie oft ich an den Pranger gestellt werde, sobald die Leute erfahren, dass ich im Labor Versuche an Tieren durchführen muss. Ich werde beschimpft, bespuckt, bedroht – hat es alles gegeben. Letztlich sind es genau diese überzeugten Tierschützer, die in die nächste Schönheitspraxis rennen und sich über Mittag eine Dosis Botox unter die Lachfältchen spritzen lassen.» Weisshaar blies eine ihrer schwarzen Haarsträhnen aus der Stirn. «Scheinheilige Gutmenschen. Würden sie sich informieren, wüssten sie, dass jede Botox-Charge an Mäusen getestet werden muss, bevor sie auf den Markt darf. Der LD50-Test ist dem höchsten Schweregrad drei zugeteilt, das heisst, die Hälfte der Tiere stirbt einen langsamen, qualvollen Erstickungstod. Fast eine halbe Million Mäuse jährlich allein in Europa. Wie viele Tiere in der restlichen Welt deshalb sterben, will keiner wissen. Hey, was sind schon Millionen von geopferten Mäusen für ein bisschen gewonnene falsche Jugend?»

      Sieh an, dachte Sara, Weisshaar zeigte Biss und hatte sehr wohl ein Gewissen. «Dann testen Sie hier kein Botox?»

      «Sicher nicht.»

      «Was liegt oben in den gesicherten Gefrierschränken?»

      «Sind die aufgebrochen?»

      «Leider ja. Wie gefährlich ist das Zeugs?»

      Weisshaar atmete tief durch. «Einige Viren, wie zum Beispiel das Coronavirus, wenn auch nicht das SARS-CoV-2, lagern dort auf Vorrat. Zudem Bakterien, Pilze und Parasiten. Nichts, das gut ist für die Gesundheit, aber das Ebola- oder Dengue-Virus haben wir hier nicht. Wir lagern und erforschen Biostoffe, die Krankheiten hervorrufen können, welche jedoch behandelbar sind und bei denen die Seuchengefahr mässig gefährlich ist und die Erreger nicht durch die Luft übertragen werden.»

      «Danke, jetzt fühle ich mich sicherer. Ich brauche eine detaillierte Liste der Bestände, die Sie am Lager haben.»

      «Natürlich. Wir führen genau Buch darüber. Ich drucke Ihnen die Liste später aus.»

      Sara gab ihren Kollegen vom KTD die Anweisung, sich an die Arbeit zu machen. Es gab viel zu tun. Sie wandte sich erneut an Weisshaar, die eine Petrischale vom Boden aufhob. «Was versteht man unter Bioverfahrenstechnik?»

      Weisshaar lächelte. «Vereinfacht ausgedrückt wird biologisches Wissen in technische Verfahren umgesetzt, um therapeutische und diagnostische Arbeitsvorgänge zu entwickeln, die in der Lebensmittel-, Pharma- und Kosmetikindustrie eingesetzt