Wildspitz. Monika Mansour. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Monika Mansour
Издательство: Bookwire
Серия: Zuger-Reihe
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960416692
Скачать книгу
und Einzelgänger brauchten zwischendurch das Gefühl von Wärme und Geborgenheit. «Du warst zwei Tage weg. Was hast du bloss wieder angestellt?» Sie strich ihm über das Fell, das sich fast rau und borstig anfühlte. Er stank. «Hast du wieder im Müll gefischt? Morgen gibt’s ein Bad. So kommst du mir heute nicht ins Bett.»

      Sie räumte die Pizzaschachtel vom Sofa und stellte den Fernseher ab. Als sie sich ins Bett legte, stand die Schlafzimmertür einen Spalt offen. Etwas Wärme und Geborgenheit konnte nicht schaden, auch wenn sie stanken wie ein Müllcontainer.

      FÜNF

      Natalie tigerte im Wohnzimmer auf und ab. Rebecca sollte jeden Moment von ihrem Besuch bei Harri in der Untersuchungshaft zurück sein. Seit zwei Wochen hielt ihn die Polizei hinter Gitter gefangen wie einen Schwerverbrecher. Bisher konnten sie ihn nicht auf Kaution freibekommen. Es waren frustrierende Wochen gewesen, und der Streit mit Tom hatte es nicht einfacher gemacht. Sie hatte seine Anrufe ignoriert. Zudem war Natalie nicht gut auf Musa zu sprechen. Sie fühlte sich hintergangen. Musa wollte mit ihr reden, aber sie hatte ihn eiskalt abblitzen lassen, bis Alexandra intervenierte und meinte, sie führe sich auf wie ein zickiger Teenager. Vor Rebecca hatte Natalie ihre eigenen Gefühle verborgen. Sie litt genug. Die Eröffnung des neuen Labors musste verschoben werden, ein herber Rückschlag, zumal bereits die ersten Kunden absprangen. Wer vertraute schon einem Labor, dessen Besitzer in U-Haft sass?

      Natalie seufzte und blickte aus dem Fenster auf den See hinunter. Heute hingen die Wolken tief. Es war Mitte September, und der Herbst schien sich anzukündigen. Sie hörte die Klingel der Haustür und wie Alexandra dem Besucher öffnete.

      Das trostlose Wetter toppte all die erfolglosen Nachforschungen, die Natalie betrieben hatte. Sie hatte tage- und nächtelang vor dem Bildschirm verbracht, alle Mitarbeiter bei Rivoli durchleuchtet, sich Tierschutzorganisationen vorgenommen, bei der Konkurrenz geschnüffelt. Nichts. Da gab es nichts, was einen Hinweis lieferte. Dieser verdammte Einbruch ergab einfach keinen Sinn. Was sollte er bezwecken? Wie Natalie mitbekommen hatte, war auch die Polizei mit ihrem Latein am Ende. Die Hinweise versandeten im Nichts. Mäuse, Meerschweinchen, Kaninchen und die paar Hunde und Katzen zu verstecken war leicht. Vermutlich waren die Labortiere längst in einem anderen Kanton untergebracht. Nicht dass Natalie den armen Kreaturen keinen schönen Lebensabend wünschte. Tierschutz war im Haus seit jeher ein heikles Thema gewesen. Ohne Tierversuche wäre die Medizin heute nicht, wo sie war. Leider wurden Tierversuche nur zu oft missbraucht und nicht selten kaltherzig eingesetzt, was der Fall letzten Jahres mit dem Versuchslabor bei Hamburg bewies. Eine einfache Lösung gab es bei diesem Thema nicht – das war die Wahrheit.

      «Da ist Besuch für dich.» Alexandra trat ins Wohnzimmer, auf dem Arm Imani, die freudig Babyworte brabbelte.

      Natalies Herz machte einen Sprung. Tom, dachte sie. Doch Alexandra folgte eine Frau, mit der sie niemals gerechnet hätte.

      «Frau Dr. Weisshaar will sich nach Harri erkundigen», sagte Alexandra. «Ich mache euch Kaffee.»

      Natalie ging auf Julia zu und reichte ihr ihre einbandagierte Hand.

      Diese schüttelte sie vorsichtig. «Wie geht es euch? Harri sitzt noch immer in U-Haft. Das glaube ich einfach nicht.»

      «Er kann nicht beweisen, dass er den Badge abgegeben hat. Dann die Hundemaske in unserem Garten und die Ampullen mit den Viren. Sieht nicht gut aus. Aber bitte, setz dich doch.» Natalie zeigte auf das Sofa.

      Julia strich ihre langen Haare zurück und setzte sich.

      Natalie unterdrückte einen Anflug von Eifersucht, als sie sich ihrer eignen schütteren Haare bewusst wurde, die nach wie vor dünn und kurz waren und absolut keine Farbe besassen.

      Julia lächelte. «Sag mir, wenn ich etwas tun kann. Ich glaube nicht, dass Harri die Viren gestohlen hat.»

      «Hat er auch nicht. Wie laufen die Aufräumarbeiten bei Rivoli?»

      «Schleppend. Günter ist mit den Nerven am Ende. Das dauert Monate, bis wir wieder normal arbeiten können.»

      Natalie hörte, wie die Eingangstür geöffnet wurde. An den Schritten konnte sie sofort erkennen, dass Rebecca zurück war. Nur Sekunden später rauschte sie ins Wohnzimmer und verwarf die Hände. «Das sind alles Idioten bei der Kripo! Unglaublich, wie schlampig die arbeiten. Die bringen einfach nichts auf die Reihe und lassen Harri dafür den Kopf hinhalten. Oh – Julia. Du hier?»

      Natalie entging nicht, dass die Begrüssung der beiden Frauen eher kühl ausfiel. Wie unterschiedlich sie waren. Es waren nicht nur die zwanzig Jahre Altersunterschied, die sie trennten. Rebecca war der sportliche Typ mit brauner Kurzhaarfrisur und kaum Make-up im Gesicht. Brauchte sie auch nicht. Ihre schmalen Augen verrieten den asiatischen Einschlag, den sie von ihrer Grossmutter geerbt hatte. Julia hingegen war ein Prachtweib, anders konnte man es nicht ausdrücken. Ihr bronzefarbener Teint und die Löwenmähne waren der Hingucker schlechthin. Die grünen Augen betonte sie mit reichlich Lidstrich, und natürlich konnten die langen Wimpern kaum echt sein. Es gab nur einen Nenner, den die beiden Frauen teilten: ihre Intelligenz. Die war übermenschlich, das wusste Natalie, bei beiden Frauen. Auch Rebecca war Ärztin, hatte viele Jahre für Ärzte ohne Grenzen gearbeitet, während sich Julia der Forschung verschrieb.

      «Hallo, Rebecca», sagte Julia, stand auf und streckte die Hand aus. «Wie geht es Harri?»

      «Du meinst, nachdem ihn seine eigenen Arbeitskollegen in die Falle gelockt haben?»

      «Sei nicht albern.»

      «Ach nein? Nur ein Insider konnte an Badge und PIN-Code kommen und die Viren in seinem Arbeitszimmer verstecken.»

      «Weshalb hätte jemand von Rivoli das tun sollen?»

      «Eifersucht.»

      Wow, dachte Natalie, das Gespräch nahm eine neue Wendung. Aber nein, Harri hätte Rebecca niemals betrogen, er liebte sie abgöttisch. Liebe konnte manchmal auch einseitig verlaufen. Natalie musste an Tom denken und fühlte sich gleich mies. Wie weit konnten Frauen gehen, wenn ihre Liebe nicht erwidert wurde?

      «Das ist Blödsinn», sagte Julia. «Ich habe mich für euch und euer eigenes Labor gefreut.»

      Rebecca trat näher an Julia heran. «Wir wissen beide, wie das in unserer Branche läuft. Günter war nicht froh, seinen besten Mann zu verlieren und Konkurrenz zu bekommen.»

      «Natürlich nicht», erwiderte Julia. «Aber so ist das im Leben. Die nächsten Jahre wärt ihr keine ernsthafte Konkurrenz für uns gewesen. Es sei denn …»

      Rebecca zeigte drohend mit dem Zeigefinger auf Julia. «Sprich es nicht aus. Dazu wäre Harri niemals fähig. Er ist ein anständiger Mann.»

      «Wenn es um Geld geht, tun Menschen unüberlegte Dinge.»

      «Wenn es um Liebe geht, ebenfalls.»

      Natalie musste leer schlucken, was höllisch wehtat. Die Probleme dieser Wochen zeigten sich nicht nur durch schlaflose Nächte, sondern auch durch ihr geschwächtes Immunsystem. Ohne Schmerzmittel kam sie im Moment am Morgen nicht aus den Federn.

      Alexandra betrat mit einem Serviertablett mit Kaffee und Kuchen den Salon. Julia bedankte sich, meinte, sie müsse aber gleich wieder weiter. «So hatte ich mir das Gespräch nicht vorgestellt», sagte sie. «Richte Harri meine Grüsse aus, und ich wünsche ihm nur das Beste, ehrlich.»

      Rebecca setzte sich, nachdem Julia gegangen war, einige Minuten schweigend aufs Sofa und trank ihren Kaffee. Den Kuchen rührte sie nicht an.

      Natalie hätte heulen können.

      Als Rebecca endlich aufblickte, musste sie den Schmerz in Natalies Gesicht gesehen haben. Rebecca war schon zu lange ihre Ärztin, als dass Natalie ihr etwas verschweigen konnte. «Komm her», sagte Rebecca und öffnete die Arme.

      Das war genau die Liebe und Wärme, die Natalie brauchte. Es war ein gutes Gefühl, endlich eine Mutter zu haben.

      ***

      «Vierzehn Tage und wir haben nichts.» Eckart Lind sass für einmal wenig