Wildspitz. Monika Mansour. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Monika Mansour
Издательство: Bookwire
Серия: Zuger-Reihe
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960416692
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Günter Zach konnte mehr als ungemütlich werden und beschwerte sich täglich bei Lind. Sie feindeten sich mittlerweile regelrecht an. Linds miese Laune äusserte sich neuerdings in seinem Kleidungsstil. Statt bunter Hawaiihemden trug er heute ein graues Leinenhemd.

      «Deshalb ist das freie Wochenende gestrichen», sagte Sara und trat an die weisse Schreibtafel. «Uns muss etwas entgangen sein. Fassen wir zusammen. Lüscher, du beginnst.»

      Lüscher rückte seine dunkle Hornbrille zurecht und blickte auf seine Papiere. «Beginnen wir bei der Leiche des Nachtwächters Pedro Ramirez. Die Autopsie im Institut für Rechtsmedizin hat die Diagnose des Amtsarztes bestätigt. Tödlicher Schlag auf den Vorderkopf. Die Waffe war sein eigener Schlagstock. Das ist ja auch auf den Bildern der Überwachungskamera zu sehen.» Er griff nach einem anderen Papier. «Am Tatort fanden wir Blut von dem Täter, der von Coco gebissen wurde. Leider ist er in keiner Datenbank erfasst. Wie Sara vermutete, haben unsere Analytiker bestätigt, dass es sich bei den Einbrechern mit grosser Wahrscheinlichkeit um drei Männer und eine Frau handelt. Hier habe ich Schätzungen über Grösse und Gewicht.» Lüscher verteilte die Blätter mit den Angaben. «Die Hundemasken kann man im Internet bestellen. Wir haben bei unzähligen Firmen, welche diese Masken anbieten, nachgefragt. In den letzten sechs Monaten wurden nie vier Stück zusammen bestellt. Während der Fasnacht sind die Masken auch in den Läden zu finden. Oder man kann sie direkt in China bestellen und selbst importieren. Die Masken helfen uns also nicht weiter.»

      «Was ist mit dem Wagen der Täter?», fragte Bolander, der wie Rizzo mit am Tisch sass.

      «Ein dunkler Van. Die Videoauswertung hat ergeben, dass es sich um einen Mercedes Sprinter Kastenwagen handelt. Wir haben in einem Radius von fünf Kilometern alle Aufzeichnungen der Strassenkameras durchgesehen. Er kam von Menzingen her und flüchtete auch wieder in diese Richtung. Dort verliert sich die Spur. Die Nebenstrassen sind nicht kameraüberwacht. Er kann sich nach Zürich oder Schwyz abgesetzt haben. Wie ihr wisst, war die Autonummer gestohlen. Sie gehörte zu einem Lieferwagen einer Bäckerei aus Zug.»

      «Was ist mit den Tieren?»

      Lüscher nahm eine andere Liste in die Hand. «Die Täter haben dreiunddreissig Mäuse, fünfzehn Ratten, zwölf Meerschweinchen, sieben Kaninchen, zwei Katzen und drei Hunde aus dem Labor befreit. Einen Labrador und zwei Jack Russel Terrier. Und natürlich nahmen sie Coco mit, den Hund von Ramirez.»

      «Das sind nicht gerade viele Tiere. Ich bin mir sicher, in anderen Labors gäbe es bedeutend mehr Versuchstiere, die auf Rettung warten», sagte Sara.

      «Korrekt», sagte Lüscher. «Rivoli versucht, soweit wie möglich auf Tierversuche zu verzichten. Wir haben alle Tierheime angefragt und suchen aktiv im Netz nach den gestohlenen Tieren. Bisher wurden sie nirgends angeboten.»

      «In welchem Zustand waren sie?», fragte Rizzo.

      «Keines der Tiere war zur Tatzeit mit einem gefährlichen Erreger infiziert oder äusserlich gravierend verletzt.»

      «Was uns zum Motiv führt», wandte Lind ein. «Wir brauchen ein Motiv.»

      Sara schüttelte den Kopf. «Der Mörder schien wenig zimperlich, als er auf Pedro einschlug. Ich tippe auf einen bezahlten Profi. Die Frau hingegen war entschlossen, aber nicht kaltblütig, und ihr Beschützer schien emotional involviert. Was, wenn sich hier zwei Interessengruppen zusammengeschlossen haben?»

      «Tierschützer und Auftragstäter?», riet Bolander.

      «Wäre möglich. Rizzo, hast du das Dossier über diese Linn De Luca dabei?»

      Rizzo verteilte Kopien der dünnen Akte. «Viel haben wir nicht. Sie ist Tierarzthelferin und engagierte Tierschützerin. Ihre Ansichten sind extrem, und sie ist nicht auf den Mund gefallen, handelte bisher aber in legalem Rahmen – soweit wir wissen.»

      Sara seufzte und blätterte das Dossier durch. Viel Neues stand nicht drin. «Zurück zu meiner Theorie, dass Tierschützer und Auftragsdiebe zusammenarbeiteten. Den einen ging es um die Tiere, die anderen wollten Rivoli schaden und deren Forschungsergebnisse zerstören. Wie sicher sind wir, dass uns Zach die Wahrheit sagt? Vielleicht war Rivoli nah dran, ein neues Wundermittel patentieren zu lassen, die Konkurrenz hat das mitgekriegt und wollte die Arbeit zerstören, um auf dem umstrittenen Markt die Nase vorn zu behalten.»

      «Was sagt Harri Krieger dazu?», fragte Lind. «Der müsste davon wissen und es uns mitteilen, um seine eigene Haut zu retten.»

      «Nicht zwingend. Krieger arbeitete in der Abteilung Zellkulturtechnik. Er weiss wenig darüber, woran sie in der Bioverfahrenstechnik arbeiten. So schützen sich die Biotechfirmen davor, dass ihre Mitarbeiter zu viel Wissen erlangen und in den Versuch geraten, mit der Konkurrenz zu plaudern. Ausserdem hat Harri eine Verschwiegenheitsklausel in seinem Vertrag unterschrieben, die auch nach seiner Kündigung Bestand hat.»

      «Hier geht es um Totschlag», sagte Rizzo.

      «Glaub mir, du willst dich nicht mit den Anwälten von Chemiekonzernen anlegen. Die grossen Riesen sind die Auftraggeber von Rivoli. Da plaudert nicht mal die Putzfrau etwas aus.»

      «Stichwort plaudern», mischte sich Bolander ein. «Wir sind uns einig, dass es einen Insider geben muss. Sollte Krieger unschuldig sein, hat jemand seinen Badge und das Passwort missbraucht. Wir wissen von der Abschiedsparty, die Krieger einen Monat vor seinem letzten Arbeitstag in seiner Villa gegeben hat. Wäre eine gute Gelegenheit gewesen, ihm die Viren unterzuschieben.»

      Lüscher antwortete: «Bloss hätten die Viren bereits letzten Monat im Schrank gefehlt. Sie waren aber zum Tatzeitpunkt im Inventar gelistet.»

      «Dann suchen wir nach jemandem, der Zugriff auf die Datenbank hat. Wie häufig wird der Schrank physikalisch nachkontrolliert?»

      «Rund alle sechs bis acht Wochen», antwortete Lüscher. «Das letzte Mal am 20. Juli, unterzeichnet von einem Angestellten, der das Materiallager unter sich hat.»

      «Also kurz vor Kriegers Party», sagte Bolander.

      «Richtig», antwortete Lüscher. «Theoretisch hätte jemand am Tag der Abschiedsparty die Proben stehlen können. Es wäre bis zum Tag des Einbruchs nicht bemerkt worden, vorausgesetzt, niemand brauchte die Viren für Versuche.»

      «Das ist unsere beste Spur, an der wir dranbleiben müssen», sagte Lind. «Wer bei Rivoli hat Zugriff auf den Gefrierschrank und die Datenbank?»

      «Leider zu viele», sagte Lüscher. «Die Leiter der Abteilungen natürlich, also Harri Krieger und Dr. Julia Weisshaar, der Direktor Günter Zach, dann zwei Angestellte, die für das Materiallager zuständig sind. Weiter die drei Sekretärinnen, welche die Datenbank pflegen und Ein- und Ausgänge überwachen, die kennen ebenfalls den Code, um den Schrank zu öffnen. Ebenso das Sicherheitspersonal hat Zugang zum System, nicht direkt zu der Software der Datenbank, aber wenn sie etwas von Computern verstehen, kamen sie bestimmt rein.»

      «Tamara Hansen?», fragte Rizzo.

      «Ja», meinte Lüscher. «Durchaus eine Verdächtige. Sie hat zwei Semester Informatik studiert, bevor sie bei Safetron eingestiegen ist.»

      «Weshalb beginnt man ein Studium und arbeitet dann als Sicherheitsfrau in der Nachtschicht in einem Labor?», wunderte sich Sara laut. «Bolander, gehst du dem nach?»

      «Klar.» Er machte sich eine Notiz.

      Sara drehte einen Kugelschreiber mit den Fingern. «Wenn Tamara Hansen etwas mit dem Einbruch zu tun hat, ist sie eine hervorragende Schauspielerin.»

      Rizzo ergriff das Wort. «Ich habe Klatsch und Tratsch für euch. Es schadet nie, wenn man sich bei den Damen im Büro einschleicht.» Er grinste und strich seine braunen Locken zurück. «Harri war beliebt, ein charmanter Kollege, wie die Damen es bestätigen. Unter vier Augen vertraute mir Rosanna Moretti an, dass Dr. Julia Weisshaar sich bei Krieger auffällig einschmeichelte. Häufig sass sie in der Kantine neben ihm und lächelte verdächtig kokett. Laut Moretti hat die Weisshaar offen mit Krieger geflirtet.»

      «Lief da was?», fragte Sara misstrauisch. «Er ist erst seit Kurzem verheiratet. Grast er schon über den Zaun?»