Das Licht ist hier viel heller. Mareike Fallwickl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mareike Fallwickl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783627022747
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Er und ein Pulverfass? Lächerlich. Es zündet doch eh nichts mehr bei ihm.

      Eklat auf Trixies Glamourparty – Ex schlägt Nebenbuhler steht auf der einen Seite, Betrunken & brutal – Schriftsteller lässt Fäuste statt Worte sprechen auf einer anderen. Wer schreibt so einen Scheiß? Und überhaupt: mitten in der Nacht? Es ist fünf Uhr morgens, wieso ist das bereits online? Sitzen da nimmermüde zwanzigjährige Praktikanten abrufbereit vor ihren Tablets, mit einem Starbucks-Grande-Karamell-zehn-Euro-Latte in der Hand, alle Kanäle offen, Facebook, Instagram, Twitter, Snapchat, YouTube, und wenn was passiert, macht’s bim, bam! und sie posten? Wenger kann sich das nicht erklären, er weiß nicht, wie sie funktioniert, diese virtuelle Medienwelt. Das ist Patrizias Metier. Sie ist dort zuhause, zwischen Likes und Streams und Grids. Wenger versteht nicht einmal die Ausdrücke, mit denen sie um sich wirft, keiner davon ist deutsch, sie redet von Scrollen und Leadgenerierung, von Metatags, Contentboxen und Benchmarks. Reines Englisch scheint das allerdings auch nicht mehr zu sein, eher eine Zwischensprache, ein Zwitterwesen mit englischen Gliedmaßen, die immer mehr werden, sich dem deutschen Körper anpassen, sich der deutschen Grammatik unterwerfen, ein Wesen mit einem alten indogermanischen Herzen, das in einem neuen Takt schlägt. Einem Beat.

      Früher hat Wenger noch eine Pressemeldung abgeben können, eine Erklärung, bevor die Zeitungen gedruckt wurden. Und ja, doch, das war öfter mal nötig, immer wieder war das nötig, wenn er mit Schnee an der Nase erwischt wurde, mit den falschen Leuten im Hinterzimmer eines Clubs oder damals mit der Kleinen, die ihm zum Ruhm verholfen hat mit ihrem Geburtsdatum. Sie, die der Auslöser für so vieles war und die er seit Jahrzehnten zu vergessen versucht. Die Pressemeldung war dann ein Mantel der Lüge, den er der Wahrheit umlegen konnte, reine Schönfärberei, jeder wusste das, aber es klang halt besser. Mit Worten konnte er ja umgehen, mit ihrer Hilfe konnte er sich rauswinden aus jeder Schlinge. Und auch die Schlingen selbst waren aus Worten geknüpft, aus Berichten und Anschuldigungen, nicht, wie heute, aus belastenden Bildern, für die jeder nur sein Handy zücken muss und gegen die man sich kaum wehren kann anschließend.

      Und stets haben sie ihm verziehen, die Leute, haben fast schon erwartet von ihm, dem Schelm der Literaturszene, dass er was Durchtriebenes tat, er hatte einen Ruf, dem er gerecht werden musste. »Der Wenger wieder«, hieß es dann, sie schüttelten die Köpfe, aber mit einem Grinsen, was der sich traut, so müsste man leben, das sagten sie nicht, das dachten sie nur. Und dann gingen sie in die Buchhandlung und kauften seinen neuesten Roman.

      Heute hat er keine Zeit, Erklärungen zurechtzuflunkern, er wird ja nicht mal mehr gefragt. Alles geht ungefiltert raus. Niemand bringt es in eine Form, die lesbar wäre. Es wird ins Internet geschmissen wie Plastikmüll in einen Fluss, da dümpelt es dann in der Drecksbrühe, jeder kann es sehen.

      Es stinkt ihm, dass der Grund für seine Attacke nirgends genannt wird, weil niemand ihn kennt. Alle denken das Offensichtliche, dass die Eifersucht ihn dazu gebracht hat, sich so zu verhalten. Dabei war es in Wahrheit eine ganz andere Art von Liebe. Diese Banausen, wie konnten sie seine Bücher verkaufen? Sein Puls schnellt erneut hoch, wenn er nur daran denkt. Wie kommt dieses Schweizer Arschloch dazu, sich an fremdem Eigentum zu vergreifen? Hat Patrizia Reto dazu angestachelt? Der kann ja nicht wissen, wie viel die Bücher Wenger bedeuten.

      Voll geil, wie er dem Müsliheini die Fresse poliert, kommentiert SpeckHans11. Dem rinnt das Blut runter, das ist aber nicht vegan haha!

      Ich hab dem seine Bücher mal echt gern gelesen!!!, schreibt SuzyWuzy37 unter einen der Artikel. Aber jetzt ist er ja wohl am Tiefpunkt!!!1!!

      Zum Schreiben taugen seine Hände eh nicht mehr, lästert ElliK.

      Wenger klappt den Laptop zu.

      Ob er Patrizia anrufen soll? Er könnte sich entschuldigen. Die Wogen glätten. Es gab eine Zeit, da ging das gut. Da ließ sie sich besänftigen von seiner Stimme, von seinem Streicheln, seinem Versichern und Beschwören. Da war alles zwischen ihnen wie flüssiger Honig.

      »Glaub mir doch, ich hatte nix mit der«, hat er dann gesagt, »warum sollt ich? Komm schon, Patzerl. Hast du dir die mal angeschaut? Ich steig doch nicht in die U-Bahn, wenn ich daheim in der Garage einen Lamborghini hab.«

      Und dann ihr Blick. Wenn der so von unten kam, aus den tränenverhangenen Wimpern, wusste Wenger, die hab ich wieder rumgekriegt, die schmollt nur mehr wegen der Show. Ein, zwei geschickt platzierte Komplimente noch, und sie schnurrt wie ein kleiner Vibrator.

      »Und wieso warst du dann in Frankfurt essen mit ihr?«

      »Baby, wichtige Besprechung fürs Verlagsmarketing. Ich mein, essen muss der Mensch, oder? Und es waren ja noch andere Leute dabei, der Seb, die Judith, der Atzwanger, kennst sie eh. Die Fotografen haben nur zufällig in dem Moment abgedrückt, als der Seb schon weg war und der Atzi auf dem Klo.«

      »Lügst du mich nicht an?«

      »Würd ich doch nie. Mit den anderen red ich und ess ich, aber dich, dich lieb ich.«

      Und das floss ihm über die Lippen wie geschmolzene Butter. Ein kleines Lächeln zuckte in ihren Mundwinkeln, gegen das sie ankämpfte, allerdings nur noch halbherzig. Wie im Bett, wenn sie sich wand unter ihm, als wollte sie sich entziehen, obwohl sie sich doch eigentlich nur nach seinen Berührungen sehnte.

      »Zu dir komm ich nachhaus«, flüsterte er in ihr Ohr und streifte ihre Wange mit den Lippen, da spürte er, wie ihr Körper nachgab. Wie die Spannung wich und alles weich wurde, die Muskeln, der Widerstand, das Herz, auch wenn sie es nicht zugeben wollte. Ihr Körper konnte ihm nichts vormachen, der strebte bereits zum Wenger hin.

      »Und bleibst du diesmal?«, fragte sie mit einer Stimme, die noch weinerlich klang, aber mit einem Hauch Versöhnlichkeit, und Wenger kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie ihm nicht mehr böse war. Dass sie lieber ihm glaubte als den Gazetten. Er sagte nichts von der Lesung in Hamburg die Woche drauf und auch nichts vom Recherchestipendium für Indien im Mai.

      Er hob ihr Kinn an, sah ihr in die Augen und küsste sie sanft. Dann drängender. Und dieser Seufzer, der ihr entschlüpfte, sagte ihm eh alles. Er öffnete den Reißverschluss ihres Kleides, ließ die Träger von ihren Schultern gleiten, drückte sie an die Wand. Sie zerrann unter seinen Händen.

      Es war so einfach.

      Und wer, Herr im Himmel, hätte das nicht ausgenutzt?

      Wenger schluckt die Valium-Tabletten mit Wasser und legt sich unter die Decke, die sich kühl anfühlt auf seiner nackten Haut. Jetzt kann er Patrizia sowieso nicht anrufen, sie schläft bestimmt. In Löffelchenstellung mit dem Schweizer. Das ist so einer, der erträgt das die ganze Nacht. Dem wird nie der Arm taub, auf dem Patrizias Kopf liegt, der fängt nie an zu schwitzen so Körper an Körper, der will sich nie umdrehen und seine Ruhe haben.

      Wenger hat die Jalousien nicht ordentlich geschlossen, schmale Streifen Straßenlaternenlicht fallen herein. Irgendwo bellt ein Hund. Er hasst die neue Wohnung. Er hasst Hallein, diese Kleinstadt mit ihren mittelalterlich engen Gassen, in denen die Leute früher ihre Scheiße einfach aus dem Fenster gekippt haben. Das machen sie eh immer noch, nur halt verbal. Und das Fenster ist das Internet. Er will nicht hier sein, aber wo er stattdessen sein will, kann er auch nicht sagen. Es wäre nur schön, wenn jemand neben ihm läge.

      Als er aufwacht, prüft er als Erstes, ob er eine Morgenlatte hat. Hat er nicht. Sein Handy klingelt in der Hose, die er in der Nacht zu Boden hat fallen lassen. Wenger dreht sich stöhnend auf die andere Seite. Dass die Matratze billig war, macht sich bemerkbar, seine Schultern sind verkrampft und schmerzen. Er wollte nicht viel Geld ausgeben für das Bett, wozu auch, er würde es ja doch nur wegschmeißen, sobald er wieder zuhause eingezogen wäre, also hat er ein günstiges schmuckloses Metallgestell gewählt, das auch noch quietscht, wenn er sich schlaflos hin und her wälzt. Eine Hässlichkeit von einem Bett, aber es bekommt ohnehin niemand zu sehen.

      Wenger tastet nach dem Wasserglas, öffnet halb die verklebten Augen, trinkt und fällt zurück ins Kissen. Er sollte die Bettwäsche wechseln, das hat er nicht gemacht, seit er hier eingezogen ist. Immerhin klebt kein Sperma drauf. Nicht wie bei Spin, als er dreizehn wurde und Patrizia nichts Besseres eingefallen war, als ihm schwarze Bettwäsche