Das Licht ist hier viel heller. Mareike Fallwickl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mareike Fallwickl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783627022747
Скачать книгу
vibriert. Nachricht von Stefan.

      On my way, schreibt er, 20 mins. Und drei Kuss-Smileys.

      Ich antworte nicht, schiebe das Handy zurück. Ich habe gehofft, dass sein Vater sich weigert, ihn hier rauszubringen an den See. Ich habe ihm mehrmals gesagt, dass er nicht herzufahren braucht.

      »Lass uns raufgehen«, murmle ich.

      »Kommt der Alte auch?«, fragt Spin.

      Ich zucke mit den Schultern.

      Seit der Scheidung nennt Spin Papa den Alten. Reto nennt er den Schweizer und Mama die Schöne. Es wirkt, als wollte er emotionale Distanz herstellen, wo keine ist. Aber andere Scheidungskinder gehen Komasaufen oder lassen sich life sucks tätowieren, soll er sie nennen, wie er will.

      »Bestimmt taucht er auf«, sagt Spin, »er steht doch so gern im Rampenlicht.«

      »Aber wenn er kommt, werden alle über ihn reden. Ihn beobachten, hinter seinem Rücken über ihn lästern. Ihn mit Reto vergleichen.«

      »Wir können ja wetten. Um hundert Euro.«

      »Ach, das ist langweilig.«

      »Dieser ganze Abend wird langweilig.«

      »Lass uns was anderes machen. Irgendwas … Krasses.«

      »Und was?«, fragt er mit amüsiertem Blick.

      Er sieht älter aus als sechzehn. Mein Bruder ist ein Magnet, blond wie Mama und ich, groß, und er hat dieses Lächeln. Manchmal bin ich weit weg, dann holt sein Lächeln mich zurück, er muss gar nichts sagen. Diese Art von Lächeln ist das. Spin ist mein Co-Pilot. Wir steuern dieses Flugzeug, das nur noch trudelt, aus dem Rauch quillt, Spin sitzt neben mir, gleich werden wir springen müssen. So ist das mit uns beiden, und seit der Scheidung noch mehr. Wir haben nur einen Fallschirm, wir müssen uns aneinander festhalten.

      »Ich denk mir was aus«, sage ich, »ich denk mir was aus, um diese Scheißparty aufzumischen.«

      Ich bin in Jonathan verliebt. Sein Name hat den schönsten Klang. Da schwingt etwas in mir, wenn ich ihn höre, schwingt sehr tief und leise. Ich bin in Jonathan verliebt. Ich sage das nie, ich denke es nicht einmal konkret, man rennt ja nicht rum und hat so einen Satz im Kopf. Trotzdem ist er immer da. Mein Körper atmet im Takt dieses Satzes, pocht in seinem Rhythmus, ist durchströmt von dem Gefühl. Das zieht von unten nach oben, kommt aus dem Bauch, und in meiner Brust ist es dann heiß. Genau an der Stelle, an der sich bei Traurigkeit die Tränen sammeln. Wenn Liv mir einen Zettel zuwirft, wenn Stefan das Kondom aus der Packung zieht, wenn die Gmeiner mir die Französischschularbeit mit einem enttäuschten Blick auf den Tisch wirft, ist ein Teil von mir unkonzentriert. Hört ein Teil von mir einen anderen Ton. Immer ist das so, egal, was ich mache und mit wem. Ich bin in Jonathan verliebt. So stark ist das, dass die anderen es merken müssten. Wie ein Duft, der von mir ausgeht, wie eine Vibration. Als stünde es sichtbar auf meiner Haut, als schlüpfte es aus meinem Mund, zusammen mit den harmlosen Wörtern. Aber niemand sieht etwas, niemand hört etwas. Jonathan am allerwenigsten.

      Im Garten liegt Schnee. Mama stakst auf High Heels herum, schwankt und krallt die Finger in die Schultern der Leute, die an den Tischen unter den Lampions stehen und Champagner schlürfen. Sie wird mit Gelächter und Komplimenten empfangen.

      »Die Aussicht auf den See ist ein Traum.«

      »Das vegane Buffet, einfach toll, wir sollten ja alle viel gesünder essen, gell.«

      »Du schaust keinen Tag älter aus als neunundzwanzig, ein Mann wie der hält jung, nicht wahr?«

      Überall das gleiche Blabla. So mancher Kerl nutzt die Gelegenheit, Mama festzuhalten, damit sie nicht ausrutscht. Sie macht sich dann los, aber sanft, fast entschuldigend. Überhaupt, das mit dem Körperkontakt, das hab ich noch nicht verstanden. Menschen sind in dieser Hinsicht schwer zu lesen. Manche meiden ihn, andere erzwingen ihn, und oft fassen sich zwei, die mal zusammen waren und die Finger nicht voneinander lassen konnten, gar nicht mehr an, als würde der Kontakt ihnen wehtun. Manchmal mag ich es auch nicht, wenn Stefan mir zu nah kommt, aber das liegt daran, dass er der Falsche ist. Wenn Mama meinen Körper berührt, dann nur, um ihn zu kritisieren. Ein Stupser zwischen die Schulterblätter, damit ich gerade sitze. Ein Zwicken in meinen Oberarm, wenn ich noch ein Stück Kuchen nehmen will. Umarmungen gab es eher von Papa, weil er fast nie da war und sich, wenn er nachhause kam, versichern wollte, dass wir das auch wirklich mitbekamen. Er mochte es, wenn wir ihm entgegenflogen und um den Hals fielen. Doch seit er ausgezogen ist und beschlossen hat, zu verkümmern, umarmt er mich nicht mehr. Vermutlich ist ihm inzwischen egal, was ich von ihm mitbekomme.

      Einer der Catering-Typen hält mir ein Tablett mit kleinen Tomaten-Bruschette unter die Nase. Mama würde nicht wollen, dass ich abends Brot esse, deswegen nehme ich gleich zwei. Es ist dunkel geworden, der Wolfgangsee ein schwaches Schimmern. Es hat null Grad, und die Leute finden es exzentrisch, eine Gartenparty im März zu feiern. »Im Sommer kann ja jeder«, sagen sie und: »Trixie ist eben immer für was Besonderes gut.« Morgen, beim Frühstück zuhause, werden sie jammern, wie kalt es gewesen sei und wie verrückt, zu seinem Vierzigsten in die Sommerresidenz einzuladen, wenn Winter ist. Man darf den Menschen nicht trauen, und was sie einem ins Gesicht sagen, das darf man nicht glauben. Alles an ihnen ist fake, ihre Worte, ihr Lächeln, ihre Gefühle.

      Zwei Pressefotografen habe ich gesehen und einen Kerl mit einer Filmkamera. Ich frage mich, ob Mama diese Leute extra eingeladen hat, damit sie in den Klatschspalten auftaucht, strahlend im roten Kleid, Arm in Arm mit Reto, oder ob jemand die geschickt hat. Die Magazine und Gossip-Websites sind geil auf sie, und das liegt nicht an ihrem Alter, sondern an dem von Reto. In der Hinsicht hat sie alles richtig gemacht, als Onlinemedienprofi weiß sie, wie man im Gespräch bleibt. Zuerst die hässliche Scheidung, das viele Geld, die Häuser, die Sorgerechtsfrage. Und dann der neue Mann an ihrer Seite. Sie hat ihn auf einer Gala präsentiert, auf irgendeinem roten Teppich in Berlin, wo ein Blitzlichtgewitter über sie niederging. Wenn ich im Mai achtzehn werde, bin ich von Reto genauso weit entfernt wie sie, elf Jahre. Sie ist vierzig, er neunundzwanzig.

      »Es ist Liebe«, hat sie in die Kameras auf dem roten Teppich gesagt.

      Da hab ich ihn zum ersten Mal gesehen, im Fernsehen.

      Eine Woche später wohnte er bei uns.

      Ich friere und gehe wieder rein. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Mama winkt und fuchtelt, bestimmt will sie die Schwesternnummer abziehen. Ich ignoriere sie und schließe die große Glasschiebetür. Drinnen ist die Musik der Liveband, die über Boxen in den Garten übertragen wird, viel lauter. Ein paar Gäste tanzen im Wohnzimmer der Villa, sie tanzen wie alte Leute, paarweise, mit Männerhänden an Frauensteißbeinen und aufeinander abgestimmten Schritten. Ich kann nicht so tanzen, und es fasziniert mich, dabei zuzusehen. Die Männerhände sind bestimmt schwitzig.

      Papa steht mit einem Bier in der Hand an der Bar und redet mit niemandem. Er beobachtet Reto, der an der Wand lehnt und sich mit einer Schwarzhaarigen unterhält, tut dabei aber so, als würde er ihn nicht beobachten. Für Papa muss das sein wie für mich, wenn ich Maja sehe. Ich versuche dann auch immer, sie nicht zu sehen. Maja ist ein Jahr älter als Jonathan, geht aber in unsere Klasse, weil sie sitzengeblieben ist, und hat ein Auto. Sie trägt ständig eine Sonnenbrille, sogar wenn es regnet. Jeden Tag nach der Schule steigt er zu ihr ein, und dann schiebt sie die Sonnenbrille rauf in ihre Haare, um ihn zu küssen. Das ist so eine unbewusste, coole Bewegung, an der ich erkenne, dass sie eine von denen ist, die sich sicher sind.

      Papa hat mich entdeckt und rührt sich nicht, doch er hat diesen flehentlichen Ausdruck im Gesicht. Ich mache eine Geste, die ausdrücken soll, dass ich aufs Klo muss, und gehe raus ins Vorzimmer. Ich muss gar nicht, aber ich kann jetzt nicht mit ihm reden.

      Die Villa ist groß, ein protziger Kasten am See, mit einem eigenen Steg und einem Zaun, auf einer kleinen Anhöhe, mit Garten und zwei Balkonen, ein Haus, das man nur bekommen kann, indem man es erbt. Niemand, der bei Verstand ist, würde eine Residenz am Wolfgangsee verkaufen. Papa hat es einer Wiener Großtante zu verdanken, die noch vor meiner Geburt gestorben ist, doch das hat er nie jemandem erzählt. Er tut gern so, als wäre die Villa allein auf seinen Erfolg zurückzuführen,