Das Licht ist hier viel heller. Mareike Fallwickl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mareike Fallwickl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783627022747
Скачать книгу
haben.

       Als er an meinen Tisch kommt, deutet er auf sich selbst und sagt: »Francesco.«

       Ich mache es ihm nach und lege die Hand für einen Moment auf meine Brust.

       »Marlena.«

      #22UhrNonMention

      Jonathan trägt ein rotes Shirt, Jeans und weiße Chucks. Die militärgrüne Jacke hat er über seine Schulter gelegt, er lehnt am Zaun, der den Schulparkplatz umgibt, und tippt auf seinem Handy. Die Sonne scheint, der Schnee schmilzt, es gluckert hinter den Bäumen. Ich sehe mich um, fast alle sind schon weg. Freitags haben sie es eilig, sie wollen eintauchen in den zwei Tage breiten Streifen Freizeit, zum Tanzen und Saufen und Kiffen. Ich muss heute zu Papa, deswegen hab ich mir Zeit gelassen. Für mich ist das Wochenende sowieso gelaufen.

      »Hi«, sage ich.

      Jonathan schaut auf. Er lächelt und schiebt das Handy in die Hosentasche.

      »Hi, Miley«, sagt er.

      Auf meinen fragenden Blick hin zeigt er auf meine Haare.

      »Ach so«, entgegne ich und bin ein bisschen enttäuscht.

      Miley Cyrus hat auch einen Undercut. Oder hatte einen, ich bin bei Promifrisuren nicht auf dem aktuellen Stand. Vielleicht denkt er, ich hätte das ihretwegen gemacht.

      »Sieht gut aus«, sagt er.

      Ich weiß nicht, was ich antworten soll. Das ist das erste Mal seit letztem Jahr vor den Sommerferien, dass ich mit Jonathan allein bin. Damals war er noch mein bester Freund, zumindest dachte ich das. Ich dachte auch, dass wir in den Ferien wieder jeden Tag zusammen abhängen würden, im Freibad und am Stausee, abends in der Stadt, am Salzachkai vor dem rauschenden Fluss, um »magische Gewürzmischung« zu rauchen, wie Jonathan es nannte, und zu reden. Dass ich vielleicht sagen könnte, lass uns mehr sein als Freunde, dass ich ihm eine Hand auf den Oberarm legen könnte, anders als sonst, verbindlicher, mit klopfendem Herzen und Hoffnung im Bauch, und, wenn er die Hand nicht abschütteln würde, mich hinüberlehnen könnte zu ihm. Aber dann hat Jonathan auf dem Schulabschlussfest von Simon mit Maja geknutscht, und ab da war alles anders. Er hat den Sommer mit ihr verbracht, im Freibad hab ich ihn nicht gesehen und am Stausee auch nicht. Liv meinte im August, die beiden seien zum Campen nach Slowenien gefahren. Als die Schule wieder anfing, waren sie ein Paar und wir keine Freunde mehr.

      »Danke«, murmle ich.

      Seit September habe ich mir eine Begegnung wie diese gewünscht. Seit September sehne ich den Tag herbei, einen einzigen Tag, an dem Maja nicht da ist. An dem es zwischen Jonathan und mir wie früher ist. Damit er sich erinnert, wie gut das war.

      »Wo ist Maja?«, frage ich und würde mir die Worte am liebsten zurück in den Mund stopfen. Warum rede ich in diesen kostbaren Minuten ausgerechnet von ihr?

      »Krank«, sagt Jonathan und zuckt mit den Achseln.

      »Mhm«, mache ich.

      »Hat sich wohl erkältet«, sagt er.

      Mein Körper kribbelt so, ich kann mich nicht konzentrieren. Das Herz slammt sich weg in meiner Brust, springt auf und ab, in meinem Magen winden sich einhunderttausend Zitteraale. Schmetterlinge sind ein Scheiß dagegen.

      »Und das bei dem schönen Wetter«, sage ich, und Jonathan fängt an zu lachen.

      Es ist ein liebes Lachen, kein fieses, es verletzt mich trotzdem. Er könnte mir doch auch helfen hier. Er mit seinen sauberen Chucks und diesem Grinsen, das mir die Gedanken aus dem Hirn brennt. Es ist das beschissenste aller Gefühle, wenn man unbedingt etwas sagen, etwas loswerden möchte und die Angst sich zu entblößen einem gleichzeitig alle Worte aus dem Mund schneidet. Ich will so sehr zu Jonathan hingehen und so sehr von ihm weglaufen, dass mein Körper in Hilflosigkeit erstarrt. Ich spüre, wie das Handy in meiner Jackentasche vibriert. Das ist bestimmt Spin, der an der Bushaltestelle auf mich wartet.

      »Was Gutes vor am Wochenende?«, fragt Jonathan, und ich denke daran, wie vertraut wir einmal waren. Wir haben nie Small Talk gemacht, und wenn ein Schweigen zwischen uns aufkam, war das nicht peinlich. So eine Art Freunde waren wir. Seit der Unterstufe, seit wir zwölf waren, eine arschlange Zeit. Wir haben über alles geredet, nicht übers Wetter.

      Dass ich zu Papa muss, sage ich nicht. Vielleicht bietet er mir ja an, was gemeinsam zu unternehmen.

      »Du?«

      »Ich werd wohl Maja besuchen«, sagt er und lächelt, »hab gerade gegoogelt, wie man Hühnersuppe macht.«

      »Du bist ein guter Freund«, sage ich, mühsam schiebe ich die Worte vorbei an der Sperre in meinem Hals, auf Höhe meiner Kehle. Die Zitteraale in meinem Bauch ballen sich zusammen.

      »Das stimmt«, sagt er und grinst. »Einen besseren Freund kannst du dir nicht wünschen.«

      Die Sonne lässt seine Locken schimmern. Seine Augen sind braun. Ich will ihn fragen, ob wir gemeinsam zur Bushaltestelle gehen oder vielleicht in ein Café, und im selben Moment klingelt sein Handy.

      Er hebt einfach ab. Er schaut mich nicht an, lächelt nicht entschuldigend, sagt nicht »Sorry, da muss ich rangehen«. Zack, hat er das Handy am Ohr. Er macht ein paar Schritte weg von mir, hört ihr zu, der anderen, es gibt eine andere, eine andere als mich.

      Ich warte.

      Jonathan wendet sich ab, er lacht. Und da weiß ich, dass ich gehen muss. Ich darf nicht hier stehen bleiben, es ist unmöglich, hier stehen zu bleiben. Es verrät mich, es sagt alles, auch wenn ich selbst nichts sage.

      Schnell drehe ich mich um und laufe die Stufen zur Hauptstraße hinunter.

      Wo bist du??, hat Spin geschrieben.

       Bin nicht in den Bus eingestiegen.

       Warte auf dich.

       Ich fahre nicht allein zum Alten!!

      Ich schaue auf die Uhr, der nächste Bus kommt in fünfzehn Minuten, das schaffe ich.

      Sry, antworte ich.

       Coming!

      Ich sehe nicht zu Jonathan zurück, und doch habe ich das Rot seines Shirts noch vor Augen.

      Ich war fünfzehn bei meinem ersten Kuss, und niemand darf das wissen. Es passierte im Urlaub, sein Name war Torben, er kam aus Duisburg. Er war jünger als ich, ein halbes Jahr nur, auch das kann ich niemals jemandem erzählen. Ich wollte es hinter mich bringen, ich wollte es nicht tun, sondern getan haben, um es abhaken zu können auf dieser Liste, die immer länger wurde, für die ich beinahe schon zu alt war und auf der alle anderen mich längst überholt hatten. Er war mit seiner Familie im selben Hotel, er trug morgens ein Shirt mit dem Aufdruck Whatever bye, das fand ich cool. Seinen Namen weniger und seinen deutschen Akzent sowieso nicht, aber er war da, und er war gelangweilt. Wir haben uns am Strand geküsst, wo sonst, beim Spazierengehen haben wir sehr angestrengt vermieden, Händchen zu halten, und als die Sonne untergegangen ist, habe ich vor lauter Klischeekitsch kaum hinsehen können. Ich hab an Jonathan gedacht, immer an Jonathan, und ich war voller Trotz, ich war voller Wut, weil ich das hier nicht mit ihm tun konnte, weil er mich in diese unmögliche Situation gebracht hatte, die sich anfühlte wie ein Neunzigerjahre-Poster, nur in echt. Ich war kurz davor zu kneifen, doch dann hat Torben gesagt: »Du riechst gut«, und ich wollte mir beweisen, dass ich das kann, gleichgültig sein. Er hat nach Minze geschmeckt und nach Fremdheit. Mein Herz hat nicht schneller geschlagen, nicht einmal ein bisschen, vielleicht war das die größte Enttäuschung. Beim Zurückgehen war es dunkel, und als Torben meine Hand nehmen wollte, hab ich sie in meine Hosentasche geschoben. Ich wollte erleichtert sein, es hinter mich gebracht zu haben, doch angefühlt hat es sich nicht, als sei ich um eine Erfahrung reicher, sondern als hätte ich etwas verschenkt. Und ich würde es nie mehr zurückbekommen.

      Im Bus ist es laut und muffig und es stinkt. Spin und ich haben einen Platz ergattert, wir sitzen nebeneinander, ich starre aus