Das Licht ist hier viel heller. Mareike Fallwickl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mareike Fallwickl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783627022747
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an Peinlichkeit nicht zu überbieten ist. Sie ist beschwipst und rührselig, bedankt sich bei allen, die sie kennt, für die Unterstützung. Als ob irgendwer für sie da gewesen wäre. Ich meine, wirklich da gewesen. Abseits von den Kameras und den Likes. An den Abenden, an denen sie allein zuhause war, ungeschminkt, ungekämmt, mit Weinglas in der Hand und Einsamkeit im Blick.

      Plötzlich spüre ich eine Hand, die sich um meine schließt.

      »Da bist du ja«, raunt Stefan in mein Ohr.

      Er drückt seine Lippen auf meinen Hals, ich lächle ihn an.

      »Sorry«, flüstere ich, »so viele Leute.«

      Er schiebt sich halb hinter mich, umarmt mich halb. Es ist wie immer, alles mit Stefan ist halb. Mama, die im Zentrum der Aufmerksamkeit und neben der Band steht, zieht Reto an sich und küsst ihn vor allen Leuten. Bestimmt hat sie gerade gesagt, wie gut er ihr tut und wie glücklich sie ist.

      »Deine Mom ist so cool«, sagt Stefan.

      Er lässt meine Hand nicht los. Ich gebe keine Antwort und betrachte die Geburtstagstorte. Sie ist ein dreistöckiges Gebilde mit viel Obst. Reto ist Fitnesstrainer und Veganer, und Mama ist hinter allem her, was im Trend ist. Früher hat sie manchmal Schokolade genascht, je süßer, desto besser, und wenn ich sie dabei erwischt habe, hat sie mir lachend auch ein Stück in den Mund geschoben.

      »Kann ich dann hier bei dir schlafen?«, fragt Stefan, und ich tue so, als hätte ich ihn nicht gehört.

      Während die Gäste klatschen und die Band Happy Birthday spielt, bitte ich ihn, mir was zu trinken zu holen, und verspreche ihm, derweil hier zu warten. Kaum ist er im Gedränge verschwunden, bahne ich mir einen Weg zur Verandatür. Papa steht allein draußen im Garten, wo ich ihn vermutet habe. Er lehnt am Zaun und sieht in die Dunkelheit. Er hat eine dicke Daunenjacke an, in der er fast verschwindet. So eine bräuchte ich auch.

      »Hi«, sage ich.

      »Hi«, sagt er.

      An seinen Pupillen sehe ich, dass er was genommen hat, und da erfasst mich eine unerwartete Welle der Zuneigung. Er hätte sich wohl sonst nicht hergetraut.

      »Auch auf der Flucht?«, fragt er, und ich könnte ihn fast sympathisch finden in diesem Moment.

      Doch dann wendet er sich im selben Augenblick ab und trinkt sein Bier aus, als wäre er an meiner Antwort nicht interessiert. So ist das mit ihm. Er ist eine Tür, und ich probiere einen Schlüssel nach dem anderen, einen ganzen verfickten Schlüsselbund hab ich, und keiner passt. Nicht ein einziger.

      Die Glasfront, die den Blick freigibt auf das rauschende Fest, haben wir im Rücken. Papa sieht nicht hin.

      »Reto hat deine Bücher verkauft«, sage ich unvermittelt.

      Papa fährt herum.

      »Was hat er?«

      »Ein paar, nicht alle. Ich glaube, er wusste nicht, welche wertvoll sind, er hat einfach mal angefangen und auf gut Glück einige versteigert. Aber für die, die du Mama geschenkt hast, hat er nicht viel bekommen, da war er enttäuscht.«

      Papa starrt mich entgeistert an.

      »Ich dachte nur, das solltest du wissen«, sage ich, und für einen Augenblick bin ich überzeugt, dass er einfach gehen wird. Dass er sich verkriechen, noch mehr trinken und traurig aus dem Fenster seiner versifften Wohnung schauen wird.

      Er schmeißt seine Bierflasche in den Schnee, lässt mich ohne ein Wort stehen, stapft zur Glastür, schiebt sie auf die Seite, stürmt hinein in die Gästemeute, in deren überraschtes Rufen, er schnappt Reto, der neben Mama steht und Torte isst, und schlägt ihm ins Gesicht. Das geht so schnell, dass keiner reagieren kann, am allerwenigsten der Schweizer. Sein Teller zerbricht, als Reto zu Boden geht. Mama fängt an zu schreien.

      Das war einfacher als gedacht, er hat nicht einmal nachgeschaut, ob es wahr ist, was ich da behaupte. Wahrscheinlich wollte er ihn sowieso schon längst schlagen. Die ganze Zeit war Papa das aufgedrehte Gas, und ich war der Funken.

      Reto springt auf und stürzt sich auf Papa, der rückwärts in den Kuchen fällt wie in einem Slapstick-Movie. Es sieht lustig aus, aber ich kann nicht lachen. Ein bisschen tun sie mir leid, alle da drin, wie sie von ihrer Gefallsucht dirigiert werden und von ihrem Hierarchiedenken, das mit Geld zu tun hat und mit Titeln und Besitz. Es ist einer dieser Augenblicke, in denen ich genügend inneren Abstand habe, um klar zu sehen, um das gesamte Gefüge zu erkennen, in das wir verstrickt sind. Ich wollte nicht, dass Papa und Reto sich prügeln, dass Mama einen Schreikrampf bekommt. Aber ich wollte, dass alle, wirklich alle, sehen können, was wir sehen. Was für Arschlöcher sie sind.

      »Die Party«, sagt Spin, »war gar nicht so langweilig wie gedacht.«

      Er hat das Haus durch die Vordertür verlassen und steht auf der anderen Seite des Zauns. Ich klettere darüber. Er reicht mir meine Jacke und meinen Helm. Wir sehen uns kurz an, wir lächeln nicht. Er startet das Moped, ich steige hinter ihm auf, halte mich an ihm fest und schiebe die Hände in seine Jacke.

      Er gibt Gas, die Luft ist kalt.

      9

      Wenger sitzt nackt auf dem Bett und googelt sich selbst. Das Kokain hat sich verwaschen, fadet aus, er ist im Zwischenstadium. Noch beflügelt, berauscht, aber nicht mehr aufgestachelt und heiß wie vor wenigen Stunden, nicht mehr überzeugt von sich und mutig, nicht mehr high. Das Runterkommen hat eingesetzt, das Ächzen der Knochen, das Kratzen im Hirn, die nicht länger unterdrückte Müdigkeit. Neben ihm auf dem Nachtkästchen liegen die Downer, er wird zwei oder drei schlucken, damit er schlafen kann, später. Als er jung war, hat er gekifft, um den Übergang vom Koks sanft zu machen, aber jetzt ist er alt, jetzt weiß er, dass das Kiffen ihn nur hinhält, dass er achtundvierzig Stunden später die Nachwirkungen trotzdem fühlt, heftiger sogar. Sein Körper verzeiht ihm nichts mehr. Tagelang ist er dann träge und unwillig, mit Schmerzen an Stellen, an denen einst Leichtigkeit war.

      Wenn Wenger seinen Namen eingibt und auf News klickt, sieht er sich selbst, wie er in die Geburtstagstorte fällt. Er sieht sich Reto schlagen, ein ungeschickter, unpräziser Schlag war das, dessen Wirkung nur von der Wucht ausging und vom Überraschungseffekt. Es gibt Bilder von Reto, der am Boden liegt und sich die Nase hält, aus der Blut läuft, es gibt Bilder von Wenger, der die Augen aufgerissen hat und den Mund. Sein Blick ist grimmig, ein bisschen irr, die Zähne sieht man so deutlich, als hätte er jemanden beißen wollen, und wenn Wenger die Fotos vergrößert, glaubt er sogar Speichel zu erkennen, der in Tropfen um sein Kinn fliegt. Er weiß nicht mehr, was er geschrien hat. In dem Video auf YouTube kann er es nicht verstehen, zu laut ist das Gekreisch der Leute.

      Patrizia ist die Mimik entglitten, entsetzt ist sie, schief und verzogen, nicht grad attraktiv. Das hat sie nicht geplant, mit Sicherheit nicht, sie hat auf jedem Foto schön aussehen wollen an diesem Abend, und wahrscheinlich ist sie aus diesem Grund noch wütender auf ihn.

      Er hat nicht an die Kameras gedacht. In keinem Moment war ihm bewusst, dass er gefilmt werden würde, dass Dutzende Handys bereits auf Patrizia und Reto gerichtet waren, um festzuhalten, wie die beiden den Kuchen anschnitten, so einträchtig, er sieht das jetzt, als wäre es eine Hochzeitstorte. Er hat gar nicht richtig hingeschaut in diesem Augenblick, der ihm im Nachhinein wie losgelöst erscheint, er hat Zoey stehen gelassen und ist hineingestürmt ins Haus, weißen Zorn im Kopf und die Hand schon zur Faust geballt.

      Er kann nicht aufhören zu klicken. Die Schlagzeilen wiederholen sich, eine Plattform kopiert von der anderen, zwei oder drei Zitate von Gästen hat er gelesen, auch immer dieselben.

      »Er hat Reto den ganzen Abend belauert«, soll Jacqueline Hermann gesagt haben, eine botoxgespritzte Kackbratze, die nichts kann, außer mit einem Bankdirektor verheiratet zu sein. Belauert, von wegen, er hat sich doch ferngehalten von dem muskelbepackten Hohlhirn, hat nicht ertragen, wie der sich in der Villa bewegt hat, als gehöre sie ihm, und hat deswegen den Blick abgewendet.

      »Ein Pulverfass, dieser Mann, gemeingefährlich«, hat sich ein gewisser Emanuel Gissbert empört, ein Schönheitschirurg, auf dessen