Das Licht ist hier viel heller. Mareike Fallwickl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mareike Fallwickl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783627022747
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an, das ich dir gekauft hab?«

      »Nein.«

      Mama dreht sich um und sieht mich erstaunt an. Das hat sie nicht erwartet. Ihre Party, ihre Wünsche. So ist das in ihrem Kopf.

      »Ich seh darin aus, als wäre ich nackt.«

      »Ach, Blödsinn. Nude-Töne sind total angesagt. Wir hatten auf Moutou gerade einen Beitrag über Pastellfarben.«

      »Das ist mir egal, ich zieh es nicht an.«

      »Es ist von Ralph Lauren, es war teuer.«

      »Und wenn ich mit Edding einen Strich in den Schritt male, sieht es aus, als hätte ich einen Landingstrip. Willst du, dass alle deine siebzehnjährige Tochter anstarren und sich Gedanken über ihre Intimrasur machen?«

      »Ist das deine Art, mit deiner Mutter zu reden?«

      Sie macht die Schnute, drückt das Kleid an sich.

      »Dann behalt ich es eben selbst«, sagt sie.

      »Kannst es ja als Nachthemd anziehen.«

      Jetzt wird sie gleich sauer, ich sehe es in ihrem Gesicht. Die Falte zwischen ihren Augen verfügt über verschiedene Tiefengrade, ich kenne das Spiel ihrer Brauen und Mundwinkel. Nicht nur lesen kann ich ihre Launen, steuern kann ich sie auch. Ich weiß, welche Knöpfe ich drücken muss, damit es bei ihr raufknallt wie bei Hau den Lukas am Kirtag. Sie wieder runterzuholen ist ein bisschen schwieriger, aber auch dafür gibt es Triggerwörter. Und Entschuldigungen. Und Geschenke.

      »Nur heute, Chloé, okay? Das wirst du doch wohl hinkriegen. Heute ist mein Geburtstag, da will ich nicht streiten.«

      Ich könnte alles noch schlimmer machen, sagen, dass sie das Kleid sicher bloß von einem Shooting hat, dass es wohl niemand sonst mitnehmen wollte, aber ich schweige. Dann zwinge ich mich zu einem Lächeln. Die Leute sagen, ein Lächeln tue niemandem weh, doch das stimmt nicht.

      »Ach«, sie zupft an den kurzen Haaren hinter meinem linken Ohr, »schade um deine schönen Locken. Du warst so hübsch!«

      Sie legt die Hand auf meinen ausrasierten Nacken, der bis vor zwei Tagen noch bedeckt war von einer üppigen blonden Rapunzelwelle.

      »Du siehst fremd aus«, sagt sie.

      »Ich sehe nicht mehr aus wie du«, entgegne ich.

      Ihre eigenen Locken hat sie auf spezielle Wickler gedreht, damit sie voluminöser werden, die Party beginnt in zwei Stunden. Ihre Nägel sind schon lackiert, geschminkt hat sie sich noch nicht. Sie wird besonders viel Make-up nehmen heute, da bin ich mir sicher, das gute, teure Zeug, damit niemand merkt, dass sie jetzt vierzig ist. Alle werden ihr sagen, dass sie keinen Tag älter aussieht als neunundzwanzig, sie wird abwinken und lachen dabei, die Komplimente aber aufsaugen wie Atemluft. Ihr Kleid wird eng sein und zu kurz, nur einen Tick zu kurz, sodass es noch als schick durchgeht. »Man könnte euch für Schwestern halten« wird der Satz sein, den ich am häufigsten zu hören bekomme. Sie wird lachen, jedes Mal, und mich festhalten, direkt neben ihr, sodass man uns gut vergleichen kann, gegen meinen leichten Widerstand drücken, ohne ein Wort zu sagen. Ich werde die Zähne sehr fest aufeinanderbeißen, damit mein Mund nicht aufgeht.

      Sie seufzt und macht einen Schritt zurück. Wir haben uns zwei Stunden lang angeschrien, als ich vom Friseur zurückgekommen bin. Seither herrscht eine Art erschöpfte Waffenruhe, die wir aufrechterhalten, weil sie Geburtstag hat. Und über hundert Gäste erwartet, die sich nicht fragen sollen, warum ihre Tochter aussieht, als hätte sie geweint.

      »Soll ich dir die Nägel machen?«, fragt sie und beäugt kritisch meine Hände.

      »Die bleiben so«, antworte ich.

      »Du könntest so viel aus dir –«

      »Mama«, falle ich ihr ins Wort, »du wolltest doch nicht mehr streiten.«

      »Schon gut«, sagt sie eingeschnappt und wendet sich zum Gehen. »Komm in einer halben Stunde runter in den Garten, du musst mir mit den Lampions helfen.«

      »Es ist März«, murmle ich.

      Als sie halb aus der Tür ist und ich das Gefühl habe, wieder Luft zu bekommen, schaut sie über die Schulter zu mir: »Und zieh dich um, du sollst doch schön aussehen heute Abend.«

      Das ist es, was sie will. Noch mehr aber will sie schöner sein als ich.

      Als ich sieben Jahre alt war, habe ich gebrannt. Das war in der Volksschule, ich ging in die zweite Klasse. Im Religionsunterricht haben wir einen Sesselkreis gebildet. Hinter mir stand eine Osterkerze, und ich weiß noch, dass ich mich plötzlich wunderte über den Geruch. Er war angesengt, aschig. Ich spürte nichts, noch nicht. Meine langen Locken waren zu einem Zopf geflochten, das Kleid hatte hinten eine Schleife. Als die Kinder anfingen zu schreien und mit dem Finger auf mich zeigten, drehte ich mich um. Ich sah das Flackern. Ich wusste, dass ich es war, die brannte. Aber ich war starr, wie in einem Vakuum, ich konnte nicht reagieren. Das Kleid brannte gut, am oberen Rücken habe ich eine walnussgroße Narbe. Trotz der Schmerzen fühlte es sich an, als würde ich nur zusehen, als wäre ich nicht Teil der Situation, nicht Teil meines Lebens. Und manchmal kommt es mir so vor, als hätte ich diesen Zustand seitdem nicht mehr verlassen.

      Spin kifft im Keller.

      »Hast du keine Angst, dass sie was riecht?«

      »Sie kommt doch nie hier runter. In den Keller schickt sie nur Barbara. Oder uns.«

      »Auch wieder wahr.«

      Ich atme den würzigen Duft ein. Ich höre die Stimme von Mama, die oben mit jemandem schimpft. Die Marmeladengläser von Barbara sind ordentlich nebeneinander aufgereiht. Rhabarber. Marille. Erdbeer.

      Spin gibt mir den Ofen, ich nehme einen Zug, behalte den Rauch eine Weile im Mund.

      »Wie hat sie dich dazu gebracht?«, frage ich und deute auf die Fliege, die um seinen Hemdkragen gebunden ist.

      »Das geringere Übel«, sagt er, »sonst hätte sie es mir wieder eine Woche lang vorgeworfen, und so hab ich stattdessen einen Pluspunkt.«

      Er nimmt den Joint aus meinen Fingern und setzt ihn an seine Lippen. Die Glut leuchtet im Halbdunkel. Im Keller ist es muffig, ein wenig feucht, ich habe Gänsehaut an den Armen. Vielleicht kriechen Spinnen über die Kellerdecke. Ich sehe nicht nach oben.

      »Und sobald ich alle begrüßt hab, zieh ich mich sowieso um.«

      Dann mustert er mein Outfit.

      »Das ist sicher nicht das, was du heute anziehen solltest.«

      Er hustet kurz, fängt dann an zu lachen.

      Ich streiche grinsend über mein schwarzes Shirt mit der Aufschrift Bevor du fragst: Nein.

      Das Gras macht die Umrisse weicher, als wäre die Welt gar nicht so scharfkantig, dass man sich verletzen kann an ihr. Ich spüre heitere Gelassenheit in mir aufsteigen. Bekifft kann ich die Party vielleicht überstehen. Spin reicht mir den Spliff für einen letzten Zug. Als ich danach greife, stoße ich mit dem Ellbogen gegen die Marmeladengläser. Das Regal wackelt, die Gläser klimpern leise, aber keines fällt um. Ich lache, vor Schreck und aus Erleichterung. Es überrascht mich, dass Dinge auch mal heil bleiben.

      »Ich mag deine neue Frise«, sagt Spin.

      »Danke«, sage ich und fahre mit den Fingern durch die Strähnen, die über dem Undercut liegen. Es fühlt sich ungewohnt an und luftig. Als würde etwas fehlen, aber auf eine gute Art.

      »Am coolsten find ich, dass es dir egal ist, dass du dafür Ärger bekommen hast. Dass du es trotzdem getan hast.«

      »Sind ja meine Haare«, sage ich.

      Spin versteckt den Rest des Joints unter einem losen Ziegelstein in der Ecke. Als er ihn hochhebt, krabbelt ein winziges Tier heraus, eine Assel vermutlich. Das ist ein richtiger Keller, kein aufgemotzter Raum mit Fliesen und Fußbodenheizung und Sauna und Dusche wie in unserem Haus in der Stadt, sondern einer mit Schimmel in den Ecken, staubigen Spinnweben und unheimlicher