Dr. Daniel Staffel 9 – Arztroman. Marie Francoise. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Francoise
Издательство: Bookwire
Серия: Dr. Daniel Staffel
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740951320
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genug glücklich!« entgegnete Harald haßerfüllt. »Es hat mir gut getan, sie alle leiden zu sehen!«

      »Herr Jung…«, begann Dr. Daniel besänftigend, doch Harald drehte sich abrupt um und rannte aus der Klinik. Erst in diesem Moment entdeckte Dr. Daniel die junge Frau, die im Morgenmantel an der undurchsichtigen Glastür stand, die zur Gynäkologie führte. Rasch ging er auf sie zu, sah in ihre vor Entsetzen geweiteten Augen und legte tröstend einen Arm um ihre Schultern.

      »Auf diese Weise hätten Sie es nicht erfahren sollen, Frau Jung«, meinte er.

      Hannelore war stumm vor Entsetzen. Was sie gerade unfreiwillig mitbekommen hatte, hatte ihr ganzes Leben merklich erschüttert.

      Wie aus dem Nichts stand plötzlich Lena Kaufmann neben ihnen. Dr. Daniel war nicht sicher, ob auch sie etwas von Haralds Worten mitbekommen hatte, aber er war froh, daß sie gerade jetzt zur Stelle war.

      »Mama«, flüsterte Hannelore mit bebender Stimme.

      Sanft streichelte Lena über ihre Wange und nahm ihre Stieftochter liebevoll in den Arm. Im Moment waren zwischen ihnen keine Worte nötig. Eine ernste Aussprache mußte später erfolgen.

      Dr. Daniel spürte, daß er hier nicht mehr gebraucht wurde und zog sich diskret zurück. Beide Frauen wußten, daß er zur Verfügung stehen würde, wenn sie ihn brauchten; es bestand für Dr. Daniel keine Veranlassung, ihnen das extra noch zu sagen.

      Erneut machte er sich auf den Weg zum Ausgang, doch er wurde auch diesmal aufgehalten – von Chefarzt Dr. Scheibler.

      »Robert, ich habe mitbekommen, daß Sie noch nach München fahren wollen.«

      Dr. Daniel schmunzelte. »Eigenartig, wie rasch sich so etwas herumspricht. Aber Sie haben recht, Gerrit, ich bin tatsächlich auf dem Weg nach München. Ich möchte Karina abholen, weil ich meine Tochter ja sonst überhaupt nicht mehr zu Gesicht bekomme.«

      »Das bedeutet, daß Sie zur ThierschKlinik fahren«, folgerte der Chefarzt, dann reichte er Dr. Daniel eine Krankenakte. »Wären Sie so lieb, diese Akte an Professor Thiersch weiterzugeben? Ich werde ihn in der Zwischenzeit anrufen und den Patienten gleich morgen früh nach München schicken.«

      Dr. Daniel warf einen Blick auf die Akte und erstarrte förmlich.

      »O mein Gott«, entfuhr es ihm, dann blickte er Dr. Scheibler entsetzt an. »Krebs?«

      Der Chefarzt seufzte leise. »Ich kann es leider nicht ausschließen, aber selbst wenn – bei Thiersch hat er noch die besten Chancen.«

      »Weiß Oberschwester Lena es schon?« fragte Dr. Daniel.

      Der Chefarzt nickte. »Herr Kaufmann hat gerade mit ihr gesprochen.« Mit dem Handrücken fuhr er sich über die Stirn. »Ich wünschte, ich hätte ihm etwas anderes sagen können.«

      Dr. Daniel blickte noch einmal auf die Akte, dann sah er Dr. Scheibler wieder an. »Ich könnte ihn mitnehmen.«

      Der Chefarzt nickte nachdenklich. »Das wäre nicht das schlechteste. Ursprünglich dachte ich daran, ihn über Nacht hierzubehalten, aber… ja, Robert, es wäre wohl tatsächlich besser, ihn heute noch nach München zu bringen.«

      Eine Viertelstunde später fuhr Dr. Daniel zusammen mit Horst Kaufmann los.

      »Wenn es Krebs ist… dann ist es aussichtslos, nicht wahr?« fragte Horst nach einer langen Weile bedrückenden Schweigens.

      »Absolut nicht, Herr Kaufmann«, entgegnete Dr. Daniel ernst. »Nierenkrebs kann durchaus heilbar sein, und Professor Thiersch hat auf diesem Gebiet die größte Erfahrung. Er wird alles tun, um Ihnen zu helfen.«

      Horst nickte niedergeschlagen. »Das hat Dr. Scheibler auch gesagt, aber… ich habe Angst. Gerade jetzt ist alles so schwierig…«

      »Ich weiß schon, Herr Kaufmann, in Ihrer Familie gibt es auch andere Probleme«, meinte Dr. Daniel. »Aber ich glaube, die Zeichen stehen gut, daß sich diese Probleme lösen lassen.« Er schwieg kurz. »Was Ihre Angst betrifft – die ist mehr als verständlich. Die mögliche Diagnose Krebs jagt jedem Menschen Angst ein.«

      Horst wollte noch etwas erwidern, doch da bog Dr. Daniel schon in die Parkplatzeinfahrt der ThierschKlinik. Mit gemischten Gefühlen betrachtete Horst den wuchtigen Bau, der so wenig Ähnlichkeit mit der WaldseeKlinik hatte.

      »Dr. Scheibler hat gesagt, der Professor wäre etwas ruppig«, murmelte Horst und konnte noch immer keinen Blick von der für ihn furchteinflößenden Fassade wenden.

      »Das ist sogar noch untertrieben«, bestätigte Dr. Daniel. »Sie werden den Professor als streng und unfreundlich empfinden, aber ich kann Ihnen versichern, daß er alles tun wird, um Ihnen zu helfen.«

      *

      Lena Kaufmann und Hannelore Jung hatten sich nach dem ersten Überschwang der Gefühle in Hannelores Zimmer zurückgezogen. Nun saß die junge Frau in ihrem Bett, während Lena an der Bettkante Platz genommen hatte und sanft die Hand ihrer Stieftochter hielt.

      »Es war schrecklich«, flüsterte Hannelore. »Ich war mir Harrys Liebe immer so sicher, doch jetzt… irgendwie habe ich das Gefühl, als würde ich im luftleeren Raum stehen. Als er sagte, er hätte es genossen, uns leiden zu sehen…« Sie schluchzte auf. »Was soll ich jetzt nur tun?«

      »Vielleicht hat er es nicht so gemeint«, wandte Lena tröstend ein.

      »Doch«, entgegnete Hannelore leise. »Er hat es ganz sicher so gemeint. Mama, ich glaube… ich glaube, er hat mich nie geliebt. Er wollte nur unsere Familie zerstören…«

      Lena schüttelte den Kopf. »Das ergibt doch keinen Sinn, Hanni. Anfangs wußte er doch gar nicht, daß du nicht meine leibliche Tochter bist. Ihr wart doch schon fast ein Jahr zusammen, als wir dir die Wahrheit sagten.« Sie seufzte. »Ich fürchte, wir haben damals einen Fehler begangen. Wir haben dich allein gelassen, dabei hätten wir uns gerade in dieser Situation um dich kümmern müssen.«

      »Ich war achtzehn«, wandte Hannelore ein. »Und ich hatte Jahre voller Liebe und Geborgenheit hinter mir. Ich war gefestigt… in meiner Familie, in meinem Beruf…« Sie lächelte schwach. »Auch wenn ich gerade erst meine Lehre abgeschlossen hatte. Aber es war das, was ich immer tun wollte.« Für einen Moment blickte sie zu Boden. »Ja, es war ein Schock. Zu erfahren, daß meine Mama, die ich liebte…« Sie brachte den Satz nicht zu Ende.

      Impulsiv nahm Lena sie in die Arme. »Dich Stück für Stück zu verlieren, hat so schrecklich weh getan. Hilflos zusehen zu müssen, wie sich deine Liebe in Haß verwandelte. Dich immer seltener zu sehen… darunter hat auch dein Vater ganz schrecklich gelitten.« Ein schmerzlicher Zug flog über Lenas Gesicht. In ihrer Freude darüber, daß sie ihre verlorene Tochter wiederbekommen hatte, hatte sie Horsts schreckliche Krankheit verdrängt, doch nun kehrte der Kummer darüber mit aller Gewalt zurück. Trotzdem versuchte Lena, sich nichts anmerken zu lassen. Hannelore hatte so sehr glitten – die Fehlgeburt, die schreckliche Geschichte mit Harald… zumindest im Augenblick wollte Lena ihr die Sorge um den Vater ersparen. Wenn die Diagnose endgültig feststand, war noch immer Zeit, um mit ihr darüber zu sprechen.

      »Jetzt wird alles wieder gut«, versprach Hannelore und war erneut den Tränen nahe. »Wir werden wieder eine Familie.«

      Lena nickte nur und hatte dabei Mühe, nicht aufzuschluchzen. Wenn Horst wirklich Krebs hatte… Lena wagte es nicht, diesen Gedanken zu Ende zu denken.

      *

      Als Dr. Daniel und Horst Kaufmann die ThierschKlinik betraten, kam ihnen der Professor bereits entgegen.

      »Scheibler hat mich schon informiert«, erklärte er im üblichen barschen Ton und ohne eine Begrüßung, doch das war Dr. Daniel schon gewohnt. Immerhin kannte er den Professor seit über fünfundzwanzig Jahren.

      Ungeduldig winkte er seinem neuen Patienten zu. »Kommen Sie mit.«

      Horst warf Dr. Daniel einen fast hilfesuchenden Blick zu. Obwohl er den Professor um Haupteslänge überragte, hatte ihn der untersetzte, kleine Mann mit der dicken Hornbrille total eingeschüchtert.