»Wir wird er reagieren?« fragte sie, und in ihrer Stimme schwang Angst mit. »Ich war so… ungerecht… habe entsetzlich viele Fehler gemacht…«
»Du wirst es nur herausbekommen, indem du hinein
gehst«, meinte Uschi.
Hannelore nickte, dann atmete sie tief durch, klopfte an und trat schließlich ein. Ihre Schwester folgte ihr.
Lena, die am Bett ihres Mannes gesessen hatte, drehte sich um, dabei schlug ihr Herz plötzlich heftiger. Wie lange war es her, daß ihre beiden Töchter so einträchtig zur Tür hereingekommen waren? Dabei machte es für Lena keinen Unterschied, daß Hannelore nicht ihre leibliche Tochter war.
Ein Blick in das Gesicht ihres Mannes zeigte Lena, daß Horst das gleiche empfand. Die Angst vor der anstehenden Operation schwand plötzlich aus seinem Gesicht und machte gelassener Zufriedenheit Platz.
»Hanni, Uschi«, murmelte er und streckte lächelnd beide Arme aus. Im nächsten Moment standen seine Töchter an seinem Bett, Hannelore ergriff die eine, Uschi die andere Hand.
»Papa, ich bin gekommen, um dir zu sagen… es tut mir so leid«, flüsterte Hannelore und war dabei schon wieder den Tränen nahe. Manchmal hatte sie das Gefühl, als hätte sie in ihrem ganzen Leben noch nicht so oft und so viel geweint, wie in den Tagen, seit sie ihr Baby verloren hatte.
Wortlos nahm Horst sie in die Arme und drückte sie liebevoll an sich. Danach bezog er auch Uschi in die Umarmung mit ein. Zutiefst bewegt betrachtete Lena dieses Bild, das endlich wieder von der Harmonie einer glücklichen Familie zeugte.
»Ich werde mich von Harry trennen«, erklärte Hannelore nach dem ersten Überschwang der Gefühle. »Nicht ohne ein ernstes Gespräch, aber… mein Entschluß steht fest. Ein Mann, der sich am Leid meiner ganzen Familie weiden konnte, kann mich niemals wirklich geliebt haben.«
Dabei bereitete ihr der Gedanke, nach fast acht Jahren wieder völlig allein dazustehen, große Angst. Sie war erst siebzehn gewesen, als sie Harry kennengelernt hatte, mit zwanzig hatte sie ihn geheiratet, und nun… fünf Jahre nach der Eheschließung sollte eine Scheidung ihr gemeinsames Leben beenden. Es war traurig, aber noch schlimmer wäre die Fortsetzung dieser Ehe, die wohl von Anfang an nur eine Farce gewesen war. Genau das wollte Hannelore allerdings noch herausbekommen… sie wollte wissen, ob es von seiner Seite tatsächlich nie auch nur einen Funken Liebe gegeben hatte…
*
Im Operationssaal der
ThierschKlinik war eine illustre Starbesetzung vertreten – so nannten es die Schwestern scherzhaft, wenn Professor Thiersch und Oberarzt Dr. Heller gemeinsam am OPTisch standen. Allerdings hüteten sich alle davor, das Wort »Starbesetzung« in Anwesenheit des Chefarztes zu verwenden. Hätte der Professor so etwas vernommen, wäre ein mittelstarker Tornado durch die Klinik gefegt.
Jetzt trat Professor Thiersch mit seinem OPTeam in den Raum. Umgehend herrschte beinahe andächtige Stille, die nur vom Piepsen der Apparate unterbrochen wurde. Der Professor verschaffte sich einen raschen Überblick über den Zustand des Patienten, dann streckte er die rechte Hand aus.
Die OPSchwester reagierte sofort und reichte ihm das Skalpell. Routiniert führte Professor Thiersch den Schnitt durch. Karina Daniel zögerte keine Sekunde, sondern setzte gleich die Operationshaken an. Der Professor warf ihr einen kurzen, anerkennenden Blick zu, dann konzentrierte er sich auf das Operationsfeld.
»O mein Gott«, stieß Dr. Heller in diesem Moment hervor. »An der Innenseite der linken Niere befindet sich ja auch ein Tumor.«
Professor Thiersch nickte. »Der war weder auf Ultraschall noch auf dem Röntgenbild zu sehen.« Vorsichtig entfernte er den Tumor von der linken Niere. »Schnellschnittverfahren.«
Der junge Assistenzarzt, der den Tumor in einer keimfreien Schale entgegengenommen hatte, wußte sofort, was er zu tun hatte. Eiligst brachte er den Tumor ins Labor und wartete hier auf die Auswertung.
Währenddessen ging Professor Thiersch schon daran, die rechte Niere samt Tumor vollständig zu entfernen, da hier kein anderer Weg mehr möglich war. Er war gerade damit fertig, als der Assistenzarzt zurückkehrte.
»Positiv«, meldete er.
»So ein Mist«, entfuhr es Professor Thiersch. Ein positives Ergebnis bedeutete, daß sich im Tumor bösartige Zellen gefunden hatten.
»Wenn Sie ihm die zweite Niere auch herausnehmen, ist er auf die Dialyse angewiesen«, gab Dr. Heller zu bedenken.
»Das weiß ich auch«, raunzte der Professor unwirsch zurück. »Wenn ich sie ihm drinnlasse, ist er in einem Monat wieder hier und hat womöglich Metastasen. Dialyse ist immer noch besser als ein langsamer Krebstod. Im übrigen werde ich ihn gleich auf die Liste für Organempfänger setzen.«
Trotzdem nahm der Professor die zweite Niere nur schweren Herzens heraus, und als der Eingriff beendet war, blieb er persönlich bei dem Patienten, bis dieser dann aus der Narkose erwachte.
»Herr Kaufmann, können Sie mich hören?« fragte er.
Horst blickte in die blauen Augen hinter der dicken Hornbrille und nickte schwach.
»Werde ich… wieder… gesund?« wollte er mit heiserer, unsicherer Stimme wissen, doch der Professor wurde einer Antwort enthoben, weil Horst nahezu im gleichen Augenblick unter den Nachwirkungen der Narkose wieder einschlief.
Professor Thiersch betrachtete ihn eine Weile, dann trat er auf den Flur, wo Lena Kaufmann unruhig auf und ab ging. Ihre Tochter Uschi leistete ihr dabei Gesellschaft, während Hannelore ja wieder in der WaldseeKlinik lag.
Der Professor zögerte einen Moment, dann ging er mit raschen, energischen Schritten davon. Das Gespräch mit Ehefrau und Tochter würde er seinem Oberarzt überlassen. Dr. Heller war dafür geeigneter, denn Professor Thiersch wußte wirklich gut genug, daß er selbst nicht über den nötigen einfühlsamen Ton verfügte.
Dr. Heller, der mit diesem »Auftrag« schon gerechnet hatte, hatte sich seine Worte auch bereits zurechtgelegt.
»Frau Kaufmann«, sprach er Lena behutsam an.
Sie fuhr herum und erkannte an dem ernsten Gesicht des Arztes, daß sich ihre Hoffnung nicht erfüllen würde. Horst würde nicht mehr gesund werden.
»Metastasen?« fragte sie leise und wunderte sich selbst darüber, daß sie es schaffte, ihre Fassung zu bewahren.
Dr. Heller schüttelte den Kopf. »Nein, Frau Kaufmann, Ihr Mann hat glücklicherweise keine Metastasen, aber… es war nicht nur der Tumor an der rechten Niere, sondern… Professor Thiersch war gezwungen, beide Nieren zu entfernen.«
Erschüttert preßte Lena eine Hand vor den Mund. »Das bedeutet… Dialyse… ein Leben lang…«
»Ihr Mann steht bereits auf der Liste für Organempfänger, allerdings… ich will ehrlich sein: Es wird nicht ganz leicht sein, für ihn einen Spender zu finden. Er hat einen sehr ausgefallenen Gewebetyp.«
Lena sackte förmlich zusammen. »Weiß er es schon?«
Dr. Heller schüttelte den Kopf. »Nein, im Moment steht er noch unter der Einwirkung des Narkosemittels. Diese Wahrheit kann man ihm erst zumuten, wenn er sich von der Operation ein bißchen erholt hat.«
»Kann ich meinem Vater denn eine Niere spenden?« mischte sich Uschi in diesem Moment ein. »Ich bin seine Tochter… ich meine, da müßte ich doch eigentlich denselben Gewebetyp haben.«
»Das muß nicht zwangsläufig so sein«, entgegnete Dr. Heller. »Aber wir können den Test gern durchführen.« Er schwieg kurz. »Bevor Sie sich allerdings endgültig entscheiden…«
»Ich habe mich bereits entschieden«, fiel Uschi ihm ins Wort. »Wenn mein Gewebetyp mit dem meines Vaters übereinstimmt, werde ich ihm eine Niere spenden.«
Dr. Heller erkannte,