Der Deutsch-Französische Krieg: 1870/71. Jochen Oppermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jochen Oppermann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783843806657
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welches täglich die Volkssouveränität im Mund führt, verirrt sich hier bei der spanischen Thronfrage in den Anschauungen und den Aberglauben der zopfigsten Diplomatie. Da wird von Karl V. gefaselt, von der Wiederherstellung seines Weltreiches, von der Störung des europäischen Gleichgewichts, von der Umschnürung und Erdrückung Frankreichs […]« (National-Zeitung Nr. 311 vom 08.07.1870, o. S.).

      Seltsamerweise richtete sich der französische Groll nur gegen Preußen. Immerhin hätte man in Paris auch gegen Spanien einen aggressiven Ton anschlagen können, doch man wollte die guten Verbindungen nicht gefährden. Gramont wies sogar den Botschafter in Madrid an, sich zurückzuhalten (Hawig, S. 325 f.). Oberstes Ziel war ein diplomatischer Triumph über Preußen nach den Rückschlägen der letzten Jahre. Zeitgleich trieb der Außenminister die Kriegsvorbereitungen voran, indem er am 9. Juli die französischen Truppen aus Nordafrika nach Europa einschiffen ließ. Am Tag zuvor schickte Napoleon III. an Österreich und Italien ein Telegramm mit der Bitte um Waffenhilfe, so wie er annahm, dass es vereinbart sei (Ohnezeit, S. 61). Italien und Österreich erklärten sich jedoch für neutral, ebenso England und Russland, denen die ehrgeizigen Pläne Napoleons III. sowieso zu weit gingen. Dänemark, das man noch kurz vor Kriegsbeginn an die alte Feindschaft zu Preußen erinnernd in militärische Überlegungen miteinbeziehen wollte, lehnte ebenfalls ab. Frankreich war im Juli 1870 isoliert.

      Botschafter Benedetti hatte am 7. Juli die Order Gramonts erhalten, König Wilhelm aufzufordern, sich öffentlich hinsichtlich eines Thronverzichtes zu äußern. Wilhelm war darüber äußerst verärgert, weil er ja nicht derjenige war, der Leopold zum Thron riet. Auch ließe er sich als souveräner Monarch nicht so einfach von einem fremdländischen Außenminister bedrängen (Bremm, 2019, S. 44). Vielleicht hatte er auch die Heuchelei im Kopf, mit der Frankreich auf der Souveränität der spanischen Thronkandidatur pochte – hatte Napoleon III. doch wenige Jahre zuvor einen mexikanischen Kaiser gegen jedes Selbstbestimmungsrecht installiert. Wahrscheinlich aber dachte Wilhelm gar nicht in diesen Dimensionen, sondern es war schlichtweg gegen seine Würde, die Forderungen Gramonts zu erfüllen. Dennoch war er – mal wieder – vor allem zornig auf Bismarck, und wollte einen Krieg unter allen Umständen vermeiden (Howard, S. 52). Der preußische Botschafter in Paris, Karl Freiherr von Werther (1809–1894), verstand sich überraschend gut mit dem »Preußenfresser« Gramont und warnte diesen, es mit der Provokation Wilhelms nicht zu übertreiben (Arand, S. 100). Der König war nämlich, sehr zum Verdruss Bismarcks, bereit, alles für den Erhalt des Friedens zu tun, nur musste seine monarchische Würde gewahrt bleiben. Auch in Madrid war mittlerweile die Erkenntnis gereift, dass man sich mit der Thronkandidatur Leopolds einen europäischen Krieg heranzüchtete, und man gab nun auch zu verstehen, dass der Hohenzollern von sich aus verzichten solle. Im fernen Paris atmete Minister Ollivier erleichtert auf, da er, trotz martialischer Rhetorik, kein wirkliches Interesse an einem Krieg hatte (Dittrich, Ursachen, S. 84). Nur sein Außenminister sah dies anders.

      Am 10. Juli bat König Wilhelm I. den Vater Leopolds, diesen zum Verzicht zu bewegen. Die Kriegsdrohungen Gramonts zeigten beim König Wirkung. »Es grenzt an Wahnsinn« (Arand, S. 100), schrieb er an Karl Anton und zeigte damit sein Unverständnis hinsichtlich der eskalierenden Entwicklung. Zwei Tage später war es dann tatsächlich geschafft! Der Frieden war gerettet. Denn am 12. Juli 1870 erklärte Karl Anton von Hohenzollern den Verzicht auf den spanischen Thron im Namen seines Sohnes Leopold, der gerade in den Alpen wanderte und von all dem nichts mitbekam.

      Währenddessen wurden die Anweisungen Gramonts, die er Benedetti zukommen ließ, immer drängender. Wie die am 10. Juli: »Sie müssen alle Ihre Kräfte einsetzen, um eine entschiedene Antwort zu erhalten; denn wir können nicht warten angesichts der Gefahr, daß Preußen unseren Vorbereitungen zuvorkommt. Der Tag darf nicht zu Ende gehen, ohne daß wir beginnen« (zitiert nach: ebd., S. 101). Im Prinzip hatte Gramont am 12. Juli schon seinen und damit Napoleons außenpolitischen Erfolg über Preußen erhalten. Der Kaiser war zufrieden. Auch Ollivier, der liberale Ministerpräsident, sah nun ebenfalls die spanische Angelegenheit als erledigt an. Napoleon III. schrieb am 12. Juli an Ollivier. »Das Land wird enttäuscht sein, aber was soll man machen?« (zitiert nach: Ohnezeit, S. 65). Damit wäre alles gut gewesen. Die Stimmung war allerdings in weiten Kreisen Frankreichs derart aufgeheizt, dass der Preis eines Thronverzichtes als zu gering angesehen wurde. Phalanx dieser überreizten Bewegung war weiterhin Gramont, der den Krieg oder zumindest Preußen weiter demütigen wollte (Howard, S. 52). Diesem ebenfalls nicht abgeneigt war Bismarck, der am 12. Juli von seinem Gut Varzin nach Berlin reiste, um sich mit Moltke und Kriegsminister Albrecht von Roon (1803–1879) zu beratschlagen. Er war alles andere als glücklich über die, seiner Meinung nach, zu lasche Haltung seines Königs, und er bekam Schützenhilfe aus Paris. Gramont gab Benedetti den Auftrag, vom König das Zugeständnis zu erhalten, dass nie wieder ein Hohenzollern Ansprüche auf den spanischen Thron erheben würde. Eine solche Erklärung sollte dann in der Kammer in Paris verlesen werden. Auch Kaiser Napoleon III. bestand nun plötzlich auf einer solchen Erklärung. Der Verzicht aus Sigmaringen war kein offizielles Schriftstück und beinhaltete zudem einen Seitenhieb auf Frankreichs Einmischung in innerspanische Angelegenheiten, sodass man in Paris auf eine offizielle, aus Berlin stammende Verzichtserklärung bestand (Benedetti, S. 372).

      Am 13. Juli traf Graf Benedetti morgens den König auf der Promenade von Ems. Wilhelm spazierte in Zivil und wurde vom Franzosen fern jeglicher Etikette bedrängt, die von Gramont erwünschte Erklärung abzugeben. Obwohl Wilhelm, der stets großen Wert auf standesgemäßes Verhalten legte, empört war, sprach er dennoch mit dem Botschafter. Im Prinzip teilte der König ihm mit, dass er mit der ganzen Sache wenig zu tun habe und der falsche Ansprechpartner sei. Die geforderte Verzichtserklärung, die Benedetti kannte, wurde Wilhelm erst gegen 13 Uhr vorgelegt. Auf Rat des preußischen Innenministers, den er kontaktierte, sollte er auf ein weiteres Treffen mit Benedetti verzichten. Er ließ ihm die Verzichtserklärung zukommen und schlug die Bitte für ein weiteres Gespräch aus. Die Angelegenheit war für den König damit erledigt. Konsequenterweise verweigerte er sich auch einem dritten Wunsch auf ein Treffen (Ohnezeit, S. 66). Selbst wenn er es gewollt hätte, hätte Wilhelm die Garantie auf einen zukünftigen Thronverzicht der katholischen Hohenzollern gar nicht geben können. Doch genau dies wollte Paris, ansonsten würden sie ihre Kriegsvorbereitungen nicht einstellen. Um die erregte Volksstimmung in Frankreich zu besänftigen, verlangten Gramont und Ollivier über die preußische Gesandtschaft in Paris am Abend, dass sich Wilhelm I. in einem persönlichen Brief an Napoleon III. entschuldige (ebd.). Dies war selbst für den ansonsten beherrschten Wilhelm zu viel: »Hat man je eine solche Insolenz [= Unverschämtheit, Anm. d. Autors] gesehen? Ich soll also als reuiger Sünder vor der Welt auftreten in einer Sache, die ich gar nicht angeregt, geführt und geleitet habe, sondern Prim, und den läßt man ganz aus dem Spiel?« (Brief an Königin Augusta, zitiert nach: Deuerlein, S. 38).

      Doch da war ein Telegramm über das morgendliche Treffen auf der Emser Kurpromenade bereits in Berlin eingetroffen. Über das Gespräch mit Benedetti hatte Wilhelm eine Abschrift anfertigen lassen und sie zu Bismarck geschickt. Er könne diese veröffentlichen, falls er es für notwendig erachte. Heinrich Abeken (1809–1872) war von Wilhelm beauftragt worden, Bismarck über die Vorgänge in Ems genauestens zu informieren. Die Erlaubnis zur Veröffentlichung befindet sich am Ende des dreiteiligen Berichtes und war der Zündstoff, den Bismarck benötigte (Deuerlein, S. 37). Um 18:09 Uhr traf das Telegramm in Berlin ein, wurde zwei Stunden lang entziffert und beim Abendessen gereicht. Hier saßen Bismarck, Moltke und Roon zusammen. »Nachdem mir die Entzifferung überbracht war, welche ergab, daß Abeken das Telegramm auf Befehl Sr. Majestät redigiert und unterzeichnet hatte, las ich dasselbe meinen Gästen vor, deren Niedergeschlagenheit so tief wurde, daß sie Speise und Trank verschmähten.« (Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, S. 364). Doch Bismarck las aufmerksam. Am Ende stand, dass er ermächtigt sei, »ganz oder teilweise« zu veröffentlichen. Den anwesenden Moltke fragte er nach dem Stand der Rüstung des preußischen Militärs und nachdem dieser angab, dass ein rascher Kriegsausbruch gar von Vorteil sei, holte Bismarck seinen Stift heraus. Er verfälschte nicht – er kürzte. Ganz so, wie es das königliche »teilweise« erlaubte. Heraus kam die sogenannte »Emser Depesche«. Und diese schlug ein wie eine Bombe.

      Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung druckte diese bereits am 13. in der Abendausgabe um 22 Uhr. In der französischen Zeitung Soir wurde Bismarcks Version zum ersten Mal in Frankreich am 14.