Der Deutsch-Französische Krieg: 1870/71. Jochen Oppermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jochen Oppermann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783843806657
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krassen Gegensatz zur schwindenden körperlichen Verfassung des Kaisers steigerte sich die Kriegsrhetorik in den einzelnen französischen Parlamenten (Arand, S. 89). Ob er wollte oder nicht – immerhin nahm Bismarck in einem Gespräch Ende März 1867 mit dem Grafen Bethusy-Huc (1829–1893) an, dass der Kaiser keinen Krieg wollte –, musste Napoleon einen möglichen Krieg in seine Außenpolitik mit einbeziehen (Ohnezeit, S. 40). Deswegen versuchte er, die süddeutschen Staaten von Preußen zu entfremden, und warb um Österreich. Den Süddeutschen machte er klar, dass der Plan des Erwerbs linksrheinischer Gebiete durch Frankreich vom Tisch sei, während Österreich als Kriegsverlierer 1866 trotz preußischer Mäßigung beim Frieden naturgemäß an einem Bündnis interessiert war (Canis, S. 36). Immerhin konnte Frankreich bei einem erfolgreich verlaufenden Waffengang gegen Preußen Wien ohne Schwierigkeiten Schlesien versprechen, das im vorigen Jahrhundert von den Preußen erobert und annektiert worden war. Doch auch in Österreich hatte der Nationalismus keinen Winterschlaf gehalten, und so agierte man in Wien diesbezüglich vorsichtig, weil es sonnenklar war, dass Napoleon III. bei einem gemeinsamen Sieg gegen Preußen Gebiete annektieren würde, die von Deutschen bewohnt werden. Dies würde in den süddeutschen Ländern, die den Habsburgern durchaus wohlwollend gegenüberstanden, sehr verstörend wirken (Ohnezeit, S. 41). Im Herbst 1869 kam es zu einem intensiveren brieflichen Austausch zwischen den Monarchen Frankreichs, Österreichs und Italiens bezüglich eines Bündnisses. Jedoch scheiterten konkrete Vereinbarungen an den unterschiedlichsten Streitpunkten. Zwar war eine grundsätzliche Abneigung Preußen gegenüber bei allen Anwesenden erkennbar, jedoch kam es zu keiner vertraglich abgesicherten antipreußischen Koalition. Im folgenden Jahr trafen sich ebenfalls nochmal französische und österreichische Offiziere, um ein gemeinsames Vorgehen gegen Preußen zu besprechen. Dem nunmehr ungeduldigen Drängen Napoleons III., der bereits einen Feldzugsplan in der Tasche hatte, der Österreicher und Italiener miteinbezog, gab weder Wien noch Florenz (wo zu diesem Zeitpunkt die Hauptstadt Italiens lag) nach (Howard, S. 46). Bismarck war derweil ebenfalls nicht untätig geblieben.

      Schon Ende März 1866 war es zwischen Preußen und Russland zu einem diplomatischen Schriftwechsel gekommen, bei dem es im Gegensatz zu Frankreichs Bemühungen zu einer konkreten Vereinbarung gekommen war. Im Falle eines preußisch-französischen Krieges sollte Russland Truppen an die gemeinsame Grenze mit Österreich verlegen, um dieses davon abzuhalten, in den Krieg zugunsten der Franzosen einzugreifen. Im Gegenzug verpflichtete sich Preußen, Truppen an die Grenze zu Frankreich zu entsenden, falls es zu einem russisch-österreichischen Krieg käme, um eben Napoleon von einer Waffenhilfe abzuhalten (Ohnezeit, S. 41). Es handelte sich zwar auch hier um kein festes Bündnis, wie es sie beispielsweise 1914 geben sollte, jedoch zeigte sich bald, dass Preußens diplomatische Vorkehrungen wirksamer waren. Um wirklich »Rache für Sadowa« nehmen zu können, hätte es für Frankreich des Bündnisses mit Österreich bedurft. Bismarck wusste dies und arbeitete dem wirkungsvoll entgegen. In den Jahren vor 1870 machte sich der persönliche Einsatz, Wien im Sommer 1866 nicht gedemütigt zu haben, bezahlt. Dennoch war die Gefahr eines Eingreifens Österreichs niemals gebannt. Auch ein anderer Kriegsverlierer sollte mit seinen Revanchegedanken die französische Geheimdiplomatie beschäftigen. Im Norden beobachtete Dänemark die Entwicklung zwischen Frankreich und Preußen aufmerksam (Buk-Swienty, Dinesen, S. 256). Würde es vielleicht eine Chance bekommen, Schleswig zurückzuerhalten? Als das Jahr 1870 begann, war vieles möglich, nur eines war recht sicher. Es würde bald zum Krieg zwischen Frankreich und Preußen kommen. Dass dieser ausgerechnet in einem Kurstädtchen an der Lahn seinen Ausgang nehmen würde, ahnte niemand.

      III. JULIKRISE 1870

      »Nichts fröhlicher, nichts friedlicher als die

      Mittsommerzeit der 70er Saison im schönen Ems.«

      Theodor Fontane

      Trotz allen Gottesgnadentums und aller mittelalterlichen Vorstellungen vom gottgleichen Herrscher, die auch von der Französischen Revolution 1789 nicht vollends beseitigt werden konnten, war eine Tatsache zu jeder Zeit völlig plausibel: Ein König ist auch nur ein Mensch. Und als ein solcher Mensch brauchte er hin und wieder Erholung. Nun war König Wilhelm I. von Preußen im Jahr 1870 73 Jahre alt, also in einem Alter, in dem man gemeinhin seinen Ruhestand genießt. Die Auszeit vom mühsamen Regierungsgeschäft nahm der alternde Monarch seit dem 20. Juni in Ems, ab 1913 mit dem Zusatz »Bad«, wo er traditionell zum Kururlaub verweilte. Hier war er nicht alleine, wenn er sich den heilenden Wassern hingab, sondern wurde neugierig von anderen Kurgästen beäugt, sodass man den Eindruck haben konnte, eine »normale«, wenn auch berühmte Person genieße einige ruhige Tage (Fontane, Bd. I., S. 3 f.). Auf die anderen Gäste wirkte die erhabene Gestalt des Preußen den Schilderungen nach beruhigend. »Ueber alle aber kam auf Augenblicke eine Ruhe im Gemüth, wenn die hohe Gestalt König Wilhelms, hinausragend über das Kleine und Krankhafte, grüßend an ihnen vorüberschritt« (ebd.).

      Dass ein Krieg aber ausgerechnet in Gestalt des französischen Botschafters Benedetti in die Kuridylle von Ems einbrechen würde, hätte wohl niemand geahnt. Genauso wenig wie der Umstand, dass dieser etwas mit Spanien zu tun haben würde, das bisher in diesem schwelenden preußisch-französischen Konflikt keinerlei Rolle gespielt hatte.

      Dort war es im September 1868 zu einer Revolution gekommen, die Königin Isabella II. (1830–1904) den Thron gekostet hatte. Spanien war im 19. Jahrhundert weit entfernt von den glorreichen Tagen der Habsburgerherrscher des 16. Jahrhunderts und hatte mit großen ökonomischen und sozialen Problemen zu kämpfen. In Madrid rangen England und Frankreich um ihren Einfluss auf die immer noch, zumindest hinsichtlich ihrer Geschichte strahlende spanische Krone. Innenpolitisch herrschte in Spanien immenses Chaos. Isabella II. stammte aus dem Hause der Bourbonen und stand deswegen Frankreich nahe. Nach dem Sturz der Königin wechselten innerhalb kurzer Zeit 55 Kabinette einander ab – eine Zeit, die »Sexenio Revolucionario« genannt wurde (Ohnezeit, S. 43). In den zwei Jahren nach ihrem Sturz wurde ein König gesucht, der kein Spanier sein musste.

      Für Napoleon III. war Spanien ökonomisch besonders wichtig, weil dieses mithilfe französischen Geldes und französischer Ingenieure das Land modernisierte. Vor allem der Eisenbahnbau stand unter großem französischem Einfluss und beide Schienennetze sollten miteinander verbunden werden, was große wirtschaftliche Vorteile brachte (Kleinmann, S. 133). Auch politisch sollte das Land an Paris gebunden werden und dabei nur die Rolle einer Hilfsmacht spielen. Jedoch zeigte sich bereits beim Mexikoabenteuer, dass Spanien nicht gewillt war, nur den Juniorpartner zu geben. Daher suchte es auch Kontakte nach England. Als nun die für Frankreich bequeme Isabella II. gestürzt wurde, beobachtete Paris die Nachfolgesuche sehr genau. Der Sohn Isabellas, Alfons (1857–1885), war für Paris zwar nicht die ideale, dafür aber eine akzeptierte Lösung. Deswegen bemühte sich Napoleon III., diesen auf den Thron zu bringen. Damit wäre an der französischen Südgrenze in einem eventuellen Krieg mit Preußen für Ruhe gesorgt (Ohnezeit, S. 45). Nur war die neue spanische Regierung nicht gewillt, abermals einen Bourbonen auf den Thron zu setzen.

      In Berlin beobachtete Bismarck die Entwicklung in Madrid genau. Grundsätzlich war Preußen froh, dass die franzosenfreundliche Königin ihren Thron verloren hatte. Der neue starke Mann Spaniens, Ministerpräsident Juan Prim (1814–1870), galt Preußen gegenüber als durchaus freundlich gesinnt. Für Prim kamen zunächst einige Kandidaten für die Krone in Frage. Der aus dem Hause Sachsen-Coburg stammende Ferdinand II. von Portugal (1816–1885), der Herzog von Montpensier, Antoine Marie Philippe Louis von Orléans (1824–1890), oder Prinz Amadeus (1845–1890), Herzog von Aosta, waren im Gespräch und wurden von Napoleon III. abgelehnt und von Frankreich aus publizistisch bekämpft (ebd., S. 45). Doch der Thronkandidat, der nun ernsthaft diskutiert wurde, ließ das Pariser Blut völlig in Wallung geraten: Prinz Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen (1835–1905).

      Prinz Leopold war mit einer portugiesischen Prinzessin verheiratet und mit Napoleon III. durch seine Großmutter sogar enger verwandt als mit dem preußischen Herrscherhaus. Er entstammte der katholischen Linie der Hohenzollern mit ihrem Stammsitz Sigmaringen und damit aus einem Land, das auf den spanischen Thron keine antifranzösische Politik exportieren würde. Dennoch wirkte der Name »Hohenzollern« wie ein rotes Tuch auf die Franzosen – natürlich wusste dies Bismarck. Für ihn war es die Gelegenheit, seine Geheimdiplomatie in Madrid von der Leine zu lassen