Der Deutsch-Französische Krieg: 1870/71. Jochen Oppermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jochen Oppermann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783843806657
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spätestens im Deutsch-Deutschen Krieg von 1866 die Überlegenheit des Hinterladers, vor allem weil dieser Typ eine höhere Schussfrequenz aufwies. Die in Schützenreihen anrennenden Österreicher mussten dies schmerzlich erfahren. Dreyse versah den Lauf bei seinen Gewehren mit »Zügen«, also spiralförmig eingearbeiteten Rillen im Inneren des Laufes, die dem Projektil einen Drall und damit eine stabilere Flugbahn und größere Reichweite gaben. 1840 wurden die ersten Gewehre dieser Bauart für die preußische Armee bestellt. Der Soldat konnte nun aus der Deckung schießen und nachladen, während man sich beim Einführen von Patrone und Schießpulver bei einem Vorderlader aufstellen musste. Auch geschah das Laden nun viel schneller, sodass geübte Schützen auf zwölf Schuss in der Minute kamen. Dies konnte aufgrund der Technik des »Dreyse« nicht lange durchgehalten werden, weil sich in der Kammer immer wieder Rückstände sammelten, die mühsam entfernt werden mussten. Die dünne Zündnadel, die dem Gewehr seinen Namen gab, deformierte schnell, da sie der ständigen Explosion ausgesetzt war. Sie musste je nach Schussrate häufiger gewechselt werden. Probleme konnten auch beim Abschuss des »Langbleis« – so wurden die preußischen Projektile genannt – auftreten, wenn dieses nicht mittig im Lauf lag. Wenn die Kammer nicht völlig dicht war, entwichen Explosionsgase, deren Energie dem Langblei fehlte (Arand, S. 141). Verlust an Präzision und Reichweite waren die Folge. Generell war das »Dreyse« nur bis rund 250 Meter recht präzise, auch wenn es bis zu 600 Meter weit schießen konnte. Die preußische Armee war sich dieser Mängel durchaus bewusst und arbeitete an Verbesserungen, hatte die Schwächen im Jahre 1870 jedoch noch nicht behoben. Dennoch wurde das Kampfgeschehen durch das Dreyse dramatisch verändert.

      Aufgrund der hohen Schussrate entwickelte die Armeeführung das Prinzip des Schnellfeuers. Der Soldat durfte ohne Befehl so schnell und häufig wie möglich schießen, wenn es die Umstände verlangten. Hier hielten sich Vor- und Nachteile einigermaßen die Waage, weil dieses Prinzip zwar sehr effektiv war, jedoch ebenso rasch die 60 mitgeführten Patronen verbraucht wurden. Als erzieherische Maßnahme, sinnvoll mit den Patronen umzugehen, wurden dem Schützen deswegen nur wenige Zündnadeln mitgegeben, deren Ersatz er sich beim nächsten Offizier besorgen musste (Arand, S. 143). Dies war während des Gefechts in jeglicher Hinsicht kein angenehmer Gang!

      Bessere Gewehre als die Preußen hatten die Bayern im Kriegsjahr 1870. Ihr Podewilsgewehr – benannt nach dem bayerischen Generalleutnant Philipp Freiherr von Podewils (1809–1885) – war ursprünglich ein Vorderlader gewesen. Nach den Erfahrungen 1866 rüsteten die Bayern ihr Podewils nach dem Vorbild erbeuteter preußischer Zündnadelgewehre zum Hinterlader um. Das beste Gewehr aller deutschen Truppen besaßen die bayerischen Jägerbataillone mit dem Werder-Gewehr, bei dem standardmäßig Metallpatronen verschossen wurden (Kühlich, S. 329). Dieses »Werder« war sogar dem französischen Hinterlader überlegen. Und dieser sollte den deutschen Soldaten das Fürchten lehren.

      Der französische Erfinder Antoine Chassepot (1833–1905) hatte bereits Anfang der 1860er-Jahre eine Kopie des Dreyse dem Kriegsministerium vorgelegt. Aber erst nach 1866 interessierte man sich in Paris für diesen Hinterlader und führte ihn in der Armee unter der Bezeichnung fusil modèle 1866 ein (Shann, S. 34). Schon 1868 war die gesamte französische Armee mit dem Chassepot ausgerüstet, nachdem es im Jahr zuvor bei der Schlacht bei Mentana erstmals erfolgreich eingesetzt worden war. Im Vergleich zum Dreyse hatte das Chassepot eine besser abgedichtete Treibkammer und die Zündnadel nutzte sich weniger schnell ab. Die Schussweite war mit 1200 Meter doppelt so hoch wie beim Dreyse, was den französischen Gedanken, in der Defensive auf den anrückenden Feind zu warten, begünstigte (Chandler, S. 23). Bereits ab einer Entfernung von 1500 Meter gaben französische Infanteristen ein ungezieltes Streufeuer ab, das natürlich, je näher die Feinde kamen, effektiver wurde. Die Preußen ließen dagegen die Gegner auf bis zu 150 Meter herankommen, um gezielt schießen zu können (Dierks, S. 142). Die französischen Befehlshaber hatten aufgrund ihres Gewehres sogar ihre Taktik geändert, die traditionell auf Offensive ausgerichtet war. Die Schussweite ließ die Infanterieregimenter nun defensiver agieren, indem sie Schützengräben und andere Feldbefestigungen anlegten, aus denen nur selten ein Gegenangriff gestartet wurde. Die deutschen Soldaten, die sich ab 1500 Meter in Feuerentfernung befanden, konnten sich beim Beschuss aus dieser Distanz sogar noch rechtzeitig ducken. Rund drei Sekunden benötigte die Kugel aus dieser Entfernung. Beim weiteren Annähern entfiel diese Möglichkeit natürlich. Daraus resultierte die Absicht, sich möglichst schnell den französischen Linien zu nähern.

      Wie auch das Dreyse hatte das Chassepot seine Schwächen, die beim französischen Fabrikat hauptsächlich in den Dichtungsringen lagen. Schon nach wenigen Schüssen konnten diese Kautschukringe porös werden und mussten gewechselt werden. Drei Ersatzringe trug jeder Soldat zusammen mit 68 Schuss stets bei sich. Der Rückstoß des Chassepot war so stark, dass viele Franzosen aus der Hüfte schossen, weil sie keine »Ohrfeige« haben wollten (Kühlich, S. 328). Die Treffgenauigkeit war dementsprechend gering. Mobilgardisten und Nationalgardisten hatten selten das Chassepot und waren stattdessen mit umgebauten Vorderladergewehren ausgerüstet.

      Wirklich Angst verbreitete jedoch zu Beginn des Krieges eine andere Waffe bei den deutschen Truppen. Im Amerikanischen Bürgerkrieg waren schon erste verschiedene Modelle eines Maschinengewehres benutzt worden. Die Union Repeating Gun und etwas später die Gatling Gun wurden per Handkurbel bedient und fanden nur begrenzten Einsatz auf den Schlachtfeldern Amerikas. Berühmtheit erlangte dagegen die Mitrailleuse der Franzosen, die bereits 1850 in Belgien entwickelt worden war. Von den französischen Soldaten erhielt sie den Namen »Moulin à café« (Kaffeemühle) und wurde von den Preußen unter anderem etwas uninspiriert »Kugelspritze« genannt (Haselhorst, Waffe, S. 231). Bis heute ist in Frankreich »Mitrailleuse« die Bezeichnung für Maschinengewehre. Die Mitrailleuse war während des Krieges der Artillerie unterstellt, was sich als taktisch schwerer Fehler herausstellen sollte, weil es ihren Einsatz beschränkte. Die Entwicklung dieser Waffe unterlag in den Jahren vor dem Krieg allerstrengster Geheimhaltung. Anfang Juli 1870 besaß das französische Heer mehr als 190 Mitrailleusen, doch die Mannschaften wurden erst ab August in diese eingewiesen (Kühlich, S. 330). Das Bronzerohr mit seinen 25 Läufen lag auf einer Holzlafette und wurde von hinten bedient, indem die Besatzung die 25 Kugeln mithilfe eines Patronenrahmens in die Rohre einführte (Chandler, S. 26). Diese wurden fast gleichzeitig abgeschossen, während ein Soldat an einer Kurbel drehte. Geriet man in den Streubereich der Salven war die Mitrailleuse tatsächlich eine furchtbare Waffe, doch genau darin lag das Problem für die Franzosen. Den deutschen Soldaten gelang es, nachdem sie erste Erfahrungen mit der Waffe gemacht hatten, den Streubereich einfach zu umgehen. Die Mitrailleuse war derart schwerfällig, dass es kaum gelang, sie rasch neu auszurichten. Meist feuerte sie starr auf einen ganz bestimmten Bereich. Auch das Knarren der Kurbel verriet den anrückenden Gegnern die Anwesenheit der gefürchteten französischen Geheimwaffe. Nur die wenigen gut ausgebildeten Bedienungsmannschaften konnten das halten, was sich die französischen Militärs versprochen hatten, nämlich Tod und Verheerung in die anrückenden deutschen Soldaten zu tragen. Insgesamt aber lebte die Mitrailleuse von ihrer Symbolkraft, besonders nach dem Krieg, als sie als Beute und Denkmalschmuck Verwendung in der staunenden, nun geeinten deutschen Heimat fand. Auf den Schlachtfeldern sollte sich zeigen, dass zu wenige Soldaten an ihr ausgebildet waren und die anstürmenden deutschen Truppen deshalb schnell die Furcht vor ihr verloren.

      Ganz konkrete Wirkung entfaltete dagegen die Artillerie, die ähnlich wie das Gewehr in den Jahrzehnten vor dem Krieg eine große Entwicklung mitgemacht hatte. Besonders die Umstellung von glatten Rohren, mit einer durchschnittlichen Schussweite von 1500 Metern, auf gezogene Läufe, die bis zu 3800 Meter weit schießen konnten, war signifikant. 1867 hatte die preußische Armee alle glatten Rohre ausgetauscht und durch gezogene Hinterlader ersetzt. Obwohl die Feuergeschwindigkeit mit zwei bis drei Schuss pro Minute gleichblieb, stieg die Treffgenauigkeit. Die französischen Vorderlader hatten wie bei den Gewehren das Problem, dass durch das Einführen des Projektils von vorne das Rohr etwas breiter als das Projektil selbst sein musste, was wiederum einen Verlust an Energie bedeutete. Auch wurden die Granaten mit Zeitzündern versehen, die diese auf eine bestimmte Entfernung zum Explodieren brachten. Damit hatte die Armeeführung versucht, die Aufprallwirkung mit der Splitterwirkung zu kombinieren. In der Praxis zeigte sich jedoch, dass die Aufprallwirkung völlig über-, die Splitterwirkung unterschätzt worden war (Arand, S. 145). Seltsamerweise hatte Napoleon III., immerhin gelernter Artillerist, diese Waffengattung vernachlässigt.