Der Deutsch-Französische Krieg: 1870/71. Jochen Oppermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jochen Oppermann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783843806657
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den Kaiser her. Jedoch befand er sich in der Lage, dass er einen weiteren Krieg nicht so leicht im Volk durchsetzen konnte nach dem kostspieligen Mexikoabenteuer. Der Erfolg musste also auf einem anderen Weg her, und der französische Kaiser gedachte, sich den Deutsch-Deutschen Krieg 1866 zunutze zu machen (Ohnezeit, S. 35). Als militärisch stärkste Macht auf dem Kontinent hatte Frankreich bei jedem militärischen Konflikt gewissermaßen ein Mitspracherecht. Die rasche Entscheidung im Deutsch-Deutschen Krieg verhinderte dieses zwar nicht, schränkte aber die Möglichkeiten des Kaisers ein. Immerhin konnte er durch Einspruch verhindern, dass sich Preußen Sachsen einverleibte und seinen Machtbereich südlich des Mains ausdehnte.

      Bismarck hatte Kaiser Napoleon III. Kompensationen in Aussicht gestellt für den Fall, dass das Kaiserreich eine Intervention im Krieg gegen Österreich unterließ. Ohne konkrete Zusage stellte Bismarck Belgien und Luxemburg als möglichen französischen Erwerb dar; genau wie es der französische Botschafter in Berlin, Graf Vincent Benedetti (1817–1900), im August 1866 vorgeschlagen hatte (ebd., S. 34). Einzige Bedingung: Preußens Beteiligung musste geheim bleiben. Der Kuhhandel, der diskutiert wurde, war ganz simpel und völlig im Geiste der Zeit: Frankreich könne sich Belgien und Luxemburg aneignen, wenn es selbst wohlwollend einer Eingliederung der süddeutschen Staaten in den Norddeutschen Bund gegenüberstehe. Doch bald erhöhte der französische Botschafter die Forderungen nach linksrheinischen Territorien. Angedacht waren die Grenzen von 1814, was unter anderem die französische Annexion Saarbrückens, Saarlouis’ und Landaus bedeutet hätte (Nipperdey, Band II., S. 17). Von Österreich hatte sich Napoleon im Falle dessen Sieges als möglichen Preis die Errichtung eines Klientelstaates links des Rheines versprechen lassen, was aber mit der Niederlage von Königgrätz hinfällig geworden war. Inwiefern der Kaiser in die Gespräche in Berlin involviert war, ist unklar, immerhin sollte sich im Sommer 1870 zeigen, dass Benedetti ganz gerne Anordnungen des Kreises um die Kaiserin entgegennahm, die einen Krieg durchaus begrüßten. Er selbst legte nach dem Krieg dar, dass die gesamte französische Regierung involviert gewesen sei (Benedetti, S. 177). Jedenfalls gab Bismarck deutlich zu verstehen, dass das Abtreten linksrheinischer Gebiete nicht infrage komme. Hinsichtlich Luxemburg und Belgien blieb er vage, ohne abzulehnen (Ohnezeit, S. 34).

      Im Frühjahr 1867 kam nun der Kauf Luxemburgs ins Spiel, nachdem sich die Einverleibung Belgiens zunächst als unmöglich erwiesen hatte. Strategisch machte es für Frankreich durchaus Sinn, Luxemburg zu erwerben, da man bei einem eventuellen Aufmarsch der deutschen Truppen deren rechten Flügel bedrohen könnte, andererseits hatte man eine gute Ausgangsposition, um Belgien zu erobern. Dementsprechend konnte Benedetti im Überschwang ausrufen: »Sind wir erst in Luxemburg, so sind wir auf dem Wege nach Brüssel« (zitiert nach: ebd., S. 35).

      Generell schien der Erwerb Luxemburgs der einfachste Weg für Napoleon III., einen dringend benötigten außenpolitischen Erfolg in einen innenpolitischen umzumünzen. Prinzipiell würde dieser am wenigsten Schaden in der Beziehung zu den anderen Mächten anrichten. Deswegen wandte man sich ganz offiziell an den König der Niederlande und unterbreitete ihm das Angebot. Dieser wusste nichts von den Geheimverhandlungen zwischen Frankreich und Preußen und fragte pflichtschuldig in Berlin nach, da er prinzipiell zu einer Abtretung bereit sei. Das Großherzogtum Luxemburg war Teil des »Deutschen Zollvereins«. Die Niederlande waren gerüchteweise mit ihrer Provinz Limburg selbst in den Fokus einer preußischen Annexion geraten, weshalb diese einerseits vermeiden wollten, Berlin zu verärgern und einen Einmarschgrund zu liefern, andererseits mit einem Verkauf Luxemburgs erhofften, in Frankreich eine ihnen wohlgesonnene Schutzmacht zu bekommen. Frankreich würde in diesem Fall für die Unabhängigkeit der Niederlande vom »Norddeutschen Bund« garantieren. Jedoch erwiesen sich diese Gerüchte bald als das, was sie waren, und die Niederlande nahmen Abstand von dem französischen Garantieversprechen.

      Als die Anfrage aus Den Haag in Berlin eintraf, reagierte Bismarck wieder unverbindlich. Er lehnte nicht ab, gab auch keine bindenden Zusagen; stattdessen bemühte er abermals die Geheimdiplomatie. Dieses Mal nahm er Kontakte mit England und Russland auf, indem er diese in einem Telegramm vom 30. März 1867 aufforderte, der geplanten Abtretung Luxemburgs an Frankreich zu widersprechen (Gall, 1980, S. 405 f.). Gerade England sah sich als Schutzmacht Belgiens – was die Deutschen im Jahre 1914 völlig unterschätzen sollten! –, und konnte sich deshalb an einer Hand abzählen, dass nach Luxemburg eben Belgien in den Fokus einer französischen Annexion geraten würde. Das besagte Telegramm hatte ebenso die Funktion, von den Verhandlungen Preußens mit den norddeutschen Staaten abzulenken, die während dieser Zeit stattfanden. Gerade Frankreich fiel auf diese Hinhaltetaktik herein. Doch jedes Geheimnis sickert irgendwann in die Öffentlichkeit durch. Und diese war äußerst erregt. Am 1. April 1867 wurde eine Anfrage im Reichstag an die preußische Regierung gerichtet, ob man gewillt sei, die deutschen Ansprüche auf Luxemburg zu wahren. Selbstverständlich war die Anfrage des Nationalliberalen Rudolf von Bennigsen (1824–1902) mit Bismarck abgesprochen. Die Öffentlichkeit wusste davon natürlich nichts und erging sich, wie geplant, in nationaler Leidenschaft (Winkler, S. 196). Bismarck selbst blieb bei der Antwort unbestimmt wie eh und je, um sich alle Optionen offen zu halten. Damit war Napoleon III. bloßgestellt, weil er nun als Monarch galt, der sich seine Erfolge, die ja in dem Geist der Zeit in Gebietsgewinnen bestanden, erkaufen musste. Auch der König der Niederlande war blamiert, da er nun als Handlanger des französischen Kaisers gesehen wurde. Er ließ unverzüglich den Rücktritt vom Verkauf in Paris bekanntgeben. Nun tobte auch in Frankreich die Öffentlichkeit, die sich gedemütigt fühlte (Arand, S. 88).

      Mittlerweile hatte Bismarck die »Schutz- und Trutzbündnisse« mit den süddeutschen Staaten nicht nur ausgehandelt, sondern im Wortlaut veröffentlicht, was Frankreich vor aller Welt deutlich die Grenzen seiner Annexionswünsche aufzeigte. Napoleon III. stand wie ein Tölpel in der Weltöffentlichkeit dar. Ebenfalls zeigte sich, dass er die Stimmung in Deutschland unterschätzt hatte. Die deutsche Öffentlichkeit war keineswegs bereit, deutschsprachige Gebiete an Frankreich abzutreten, und besonders seine Vorstellung, Preußen gäbe sich als zweitrangige Macht zufrieden und ordnete sich kleinlaut und bescheiden in Europa hinter Frankreich unter, durfte nun ins Reich der Fantasie geschoben werden. Es gab jetzt eigentlich nur noch einen Weg für Frankreich und insbesondere den Kaiser: Krieg. Diesen konnte indes die Zweite Londoner Konferenz noch verhindern (Winkler, S. 196).

      Preußen in Person Bismarcks vollzog danach eine plötzliche Wende. Statt auf weitere Demütigung und Provokation zu setzen, ließ er über das Auswärtige Amt die regierungsnahe Presse den Zweiten Londoner Vertrag als französischen Erfolg darstellen. Dies geschah natürlich nicht aus völliger Selbstlosigkeit, sondern aus einfachen, kühlen Überlegungen. Denn zunächst war König Wilhelm I. strikt gegen einen Krieg mit Frankreich. Besonders die noch nicht gefestigten Beziehungen zu den süddeutschen Staaten machten ihm Sorgen, während im Norden noch nicht einmal die Verfassung des Norddeutschen Bundes verabschiedet war (Arand, S. 89). Dennoch war Bismarck nicht so blauäugig, um zu denken, dass mit einigen netten Worten in der Presse die Kriegsgefahr gebannt war. Bereits Anfang Juli 1867 sagte er: »Luxemburg war das Äußerste unserer Friedfertigkeit, ist der Friede damit nicht gesichert, dann ist er nicht zu halten« (zitiert nach: Gall, 1980, S. 408). Insgesamt konnte Preußen im Sommer 1867 mit dem Ausgang der Luxemburg-Krise zufrieden sein und genüsslich beobachten, wie es in Paris weiterging. Dort tobte weiterhin die öffentliche Meinung.

      Die nationalistische Presse, die mit der Kriegspartei am französischen Kaiserhof im Bunde war, sah den Grund allen Übels im preußischen Sieg bei Königgrätz, bei dem Frankreich hinsichtlich seiner Belohnung für die Neutralität betrogen worden sei. Auch die Deutung, dass bei Königgrätz die Österreicher stellvertretend für Frankreich besiegt worden seien, waberte durch die Gazetten und setzte den Ausruf in die Welt, dass man Rache nehmen müsse. Jedoch nicht für Königgrätz, weil man dies in Frankreich nicht gut aussprechen konnte, sondern für das Dörfchen 15 Kilometer davor. »Sadowa! … – Voilà le grand, le vrai, le seul mot de la situation dont nous gémissions.«, ›Sadowa! Das ist das große, das wahre, das einzige Wort, das uns in unserer Situation aufstöhnen lässt.‹ (T***, S. 9, Übers. d. Autors).

      Die Forderung »Rache für Sadowa« (Vengeance pour Sadowa) bestimmte fortan einen Großteil der öffentlichen Meinung. Dabei ging fast unter, dass es auch andere, weniger martialische Stimmen gab, die zur Durchsetzung französischer Interessen für eine Zusammenarbeit mit Preußen warben. Gerade die Wirtschaft