Jochen Oppermann
Der Deutsch-Französische Krieg
1870/71
»Warum bleiben die Leute nicht einfach zu Hause,
statt in die Fremde zu ziehen
und sich gegenseitig abzuschlachten?«
William Howard Russell, Kriegsreporter der Times
INHALT
I.RINGEN UM DIE DEUTSCHE NATION
II.DAS ZWEITE FRANZÖSISCHE KAISERREICH
EXKURS: WAFFEN, TRUPPEN, PLÄNE
EXKURS: HEIMATFRONT UND KRIEGSWIRTSCHAFT
EXKURS: DAS ROTE KREUZ UND DAS SANITÄTSWESEN
IX.DIE AUSRUFUNG DER DRITTEN REPUBLIK
XVII.DAS REICHSLAND ELSASS-LOTHRINGEN
VORWORT
»Bei euren Taten, euren Siegen
wortlos, beschämt hat mein Gesang geschwiegen:
und manche, die mich darum schalten,
hätten auch besser den Mund gehalten.«
Eduard Mörike
Am 30. Januar 1933 ernannte der Reichspräsident Paul von Hindenburg (1847–1934) Adolf Hitler (1889–1945) zum Reichskanzler. Mit diesem Datum begann die Geschichte des »Dritten Reiches«, die für immer mit dem Namen des aus altem ostpreußischen Adel stammenden Generalfeldmarschall verbunden sein wird. Auch bei der Gründung des »Zweiten Reiches« am 18. Januar 1871 war Hindenburg als Statist zugegen (Pyta, S. 16). Als Vertreter seines Regiments, des 3. Garderegimentes zu Fuß, erlebte er im Spiegelsaal zu Versailles die Geburt eines Reiches, das er als propagierter Held 1914 im Osten verteidigte und letztlich als alternder »Ersatzkaiser« demjenigen anvertraute, der es und die ganze Welt in eine Katastrophe stürzen sollte.
Eben diese Katastrophen des 20. Jahrhunderts haben dazu beigetragen, dass man sich fast gar nicht an den Deutsch-Französischen Krieg erinnert. Auch in der Schule wird dieser kaum gelehrt, ist oftmals nur einen Satz im Schulbuch wert. Zugleich stolpert man in vielen deutschen Dörfern oder Städten über die Mahnmale zur Erinnerung an den Krieg der Jahre 1870/71. Die wenigen, völlig überdimensionierten Monumente aus dem Deutschen Kaiserreich dienen noch als Kuriosum für Gruppen in- und ausländischer Touristen, jedoch kaum als geschichtliches Memorial. Wenn man in Rüdesheim am Rhein durch die engen Gassen schlendert, bei einem Glas Wein einkehrt, gehört eine Fahrt mit der Seilbahn zum Niederwalddenkmal dazu. Wenn man in Koblenz am Deutschen Eck dem Zufluss der Mosel in den Rhein zuschaut, hat man das Reiterdenkmal Kaiser Wilhelms I. (1797–1888) im Nacken. Wenn man den Ort der antiken Teutoburger Schlacht durchwandert, vielleicht sogar in Gedanken an die drei römischen Legionen, die hier einst mehrere Tage um ihr Leben kämpften, stößt man bei Detmold auf das Hermannsdenkmal, das Schwert mahnend nach Frankreich hin erhoben. Und die »Goldelse« auf der Berliner Siegessäule hatte jahrzehntelang vor dem Reichstag den Abgeordneten vor Augen geführt, wie das Reich geschaffen wurde, bevor man sie zur Verzierung der geplanten Welthauptstadt Germania versetzte. Heute wird sie gerne als Staffage für Großveranstaltungen genutzt, wobei oftmals die wenigsten Anwesenden wissen, woher die vergoldeten Kanonenrohre eigentlich stammen. Ist dies aber eigentlich wichtig? Warum lohnt sich die Beschäftigung mit dem letzten der sogenannten Einigungskriege?
Militärisch gesehen war der Deutsch-Französische Krieg der erste moderne Krieg auf dem europäischen Kontinent (Nipperdey, Machtstaat, S. 64). Als solcher war er ein Vorgeschmack auf den Ersten und den Zweiten Weltkrieg. So gingen mit der Kapitulation von Metz an einem Tag fast 200 000 französische Soldaten in deutsche Kriegsgefangenschaft (Moltke, S. 114). Diese Zahl sollte erst im Spätsommer 1941 beim deutschen Überfall auf die Sowjetunion übertroffen werden, wie bei der Doppelschlacht von Białystok und Minsk mit 300 000 russischen Gefangenen (Hart, S. 210). Dabei zeigte sich der Unterschied, dass man sich 1870 gemäß der Genfer Konvention von 1864 um die französischen Soldaten kümmerte, während man 72 Jahre später nicht nur den Tod der Gefangenen in Kauf nahm, sondern oftmals gezielt herbeiführte. Den Hass auf den anderen Soldaten als Folge einer rassistischen Indoktrinierung gab es 1870 nicht. Es gab Vorurteile vor allem deutscher Soldaten gegen die nordafrikanischen Truppen der Franzosen, die mit rassistischen Stereotypen einhergingen. Diese offenbarten jedoch keinen Willen zur Vernichtung (vgl. Ganschow, S. 338 ff.). Die Aktionen, die wir heute als Kriegsverbrechen bezeichnen, waren meistens der eigenen Hilflosigkeit und Überforderung geschuldet und lösten bereits bei einigen Zeitgenossen Empörung aus, unabhängig von der Nationalität.
Mit Paris wurde ab dem 19. September 1870 auch erstmals in der Weltgeschichte eine Millionenstadt vollständig von einem Heer eingeschlossen und belagert (Howard, S. 325). Erst am 8. September 1941 wurde mit Leningrad wieder die Bevölkerung einer Millionenstadt von der Außenwelt abgeschnitten. 1870 wollte man im deutschen Hauptquartier damit einen schnellen Friedensschluss herbeiführen und stritt monatelang heftig darüber, ob man die Stadt beschießen sollte. Das Ziel 1941 war die vollständige Vernichtung der Menschen und des Ortes.