Alfred Krupp (1812–1887) wurde im Nachhinein gerne als deutscher Patriot dargestellt, der seinen Anteil an der Entstehung des Deutschen Kaiserreiches hatte. Doch in den 1860er-Jahren war er nur eines: Ein Geschäftsmann, der sich überall auf der Welt den Spitznamen »Kanonenkönig« erworben hatte. Obwohl er seine Kanonen auf besagter Weltausstellung dem Kaiser persönlich vorführen konnte, ließ dieser sich von seinem Kriegsminister Edmond Lebœuf (1809–1888) überzeugen, lieber auf den französischen Stahlmagnaten Eugène Schneider (1805–1875) zu setzen (ebd., S. 195). Stattdessen bemühten sich danach Bismarck und König Wilhelm I. um Krupp, der im Juli 1870 ein großes Geschäft witterte. Nun entdeckte er auch seinen Patriotismus und bot Kriegsminister von Roon an, ihm Kanonen im Wert von einer Million Talern zu schenken. Von Roon lehnte deswegen dankend ab, weil der fein ausgearbeitete Aufmarschplan dadurch durcheinandergekommen wäre. Dennoch begann Krupp mit der Produktion weiterer Kanonen auf eigene Faust.
Von Roon hatte aber auch Bedenken gegen Krupps Ingenieurkunst, weil sich dessen Kanonen im Deutsch-Deutschen Krieg noch als einigermaßen unzuverlässig erwiesen hatten (Bremm, 2019, S. 64). Es gab ferner Probleme bei den Hinterladern und ihren Verschlüssen, die für die Bedienungsmannschaften lebensgefährlich werden konnten. Bei den Bronzerohren war die Gefahr eines »Rohrkrepierers«, also der Explosion des Geschosses im Lauf, deutlich geringer. Man sah in der Armeeführung in Berlin deshalb die gusseisernen Geschütze aus Essen mit großem Misstrauen. Deswegen hatte man noch Bronzekanonen mit Vorderladertechnik in der Planung – doch Krupp konnte schließlich überzeugen.
Mit der Feldkanone C/67 hatte Krupp das anfällige Modell C/64, das 1866 zum Einsatz gekommen war, weiterentwickelt und die Probleme im Guss behoben. Ebenfalls wurde die Möglichkeit zur Ausrichtung verbessert und die Beweglichkeit erhöht (Solka, S. 39). Wenn gegen die Chassepot-Gewehre der Franzosen der Angriff ins Stocken geriet, wurde eine C/67 nach vorne gerollt und in Stellung gebracht. Neben den 8,75-Pfund-Granaten konnte man Kartätschen mit 7,5 Pfund Gewicht verschießen, die großen Schaden anrichteten. Theoretisch betrug die Feuerrate der C/67 bis zu zehn Schuss in der Minute, doch eine Schussfrequenz von drei Schuss die Minute wurde üblich (Hormann, S. 42).
Die Franzosen vertrauten auf Geschütze des Typs »La Hitte«, benannt nach dem General Jean-Ernest Ducos de La Hitte (1789–1878), der 1858 das System des gezogenen Laufes in der Artillerie einführte (Chandler, S. 28). Auch hier war eine Steigerung der Schussweite und Treffgenauigkeit die Folge. Insgesamt aber mussten die Franzosen feststellen, dass ihre »La Hitte« den Krupp’schen Geschützen in allen Belangen unterlegen war. Deswegen konnte Napoleon III. voller Überzeugung nach der Schlacht von Sedan sagen: »C’est votre artillerie, qui a gagné la bataille; l’artillerie prussienne est la première du monde«, ›Es ist Eure Artillerie, die die Schlacht gewonnen hat; die preußische Artillerie ist die beste der Welt.‹ (zitiert nach: Revue D’Artillerie, S. 435, Übers. d. Autors).
Hinsichtlich der Kommandostrukturen gab es zwischen Franzosen und Preußen mehrere große Unterschiede. Zunächst einmal hatte Preußen seit der ersten Reform in den Napoleonischen Kriegen einen Generalstab, womit die höchsten Kommandobehörden vereint waren (Howard, S. 23 ff.). Jeder Infanteriedivision wurde ein Verbindungsoffizier zugeteilt, der im Generalstab seinen Dienst tat. Dies ermöglichte die Koordination komplexer militärischer Manöver wie in der Schlacht bei Königgrätz. Dennoch war in den einzelnen Ebenen eigenständiges Handeln nicht nur erlaubt, sondern erwünscht. Beim Aufeinandertreffen riesiger Heere, wie eben bei Königgrätz, mussten die einzelnen Unterführer situativ reagieren, um das höhere Ziel zu erreichen. In der französischen Armee gab es dies so nicht. Hier musste die Befehlshierarchie streng eingehalten werden. Dadurch wurde diese insgesamt unflexibler (Shann, S. 24). Doch auch die preußische Auftragstaktik hatte ihre Nachteile. Nicht selten handelten einzelne Generäle trotz Unkenntnis der Gesamtlage eigenmächtig, was einen hohen Blutzoll zur Folge hatte. Dies sollte sich schon in den ersten Schlachten des Krieges von 1870/71 zeigen.
Unabhängig von der Entscheidungsfreiheit der unteren Kommandoebene musste es einen übergreifenden Plan geben. Bereits seit 1857 arbeitete Moltke unablässig an verschiedenen Szenarien eines Krieges mit Frankreich. Zunächst war der angedachte preußische Aufmarsch noch rein defensiv. Gerade die Stärke des napoleonischen Zweiten Kaiserreiches machte dabei eine enge Bindung an Österreich notwendig, so wie es 1815 auch gegen das napoleonische Erste Kaiserreich notwendig war. Doch nach 1866 sahen sich die Preußen nicht als Schutzsuchende, sondern mindestens auf Augenhöhe, wenn nicht sogar als Führungsmacht einer solchen Allianz. Gerade die Erweiterungen Preußens im Westen machten eine solche Schutzmachtstellung gegenüber den kleineren deutschen Staaten vor allem im Süden folgerichtig (vgl. Nipperdey, Band II, S. 23 ff.). Aber war die Verteidigung der Bündnisstaaten am Rhein durch Preußen überhaupt realistisch? Wenn wir uns die Zeit für eine Mobilmachung Preußens in der Mitte des 19. Jahrhunderts anschauen, so stellen wir fest, dass eine Armee, die mit Aussicht auf militärischen Widerstand im Rheinland aufgestellt wird, rund 33 Tage benötigte. Berechnungen, die von einer Ausgeglichenheit der Kräfte ausgingen, gaben 7 Wochen für die Mobilisierung in Preußen an (Howard, S. 42 f.). In das Konzept der Verteidigung drang unweigerlich der sinnvolle Gedanke, die linksrheinischen Gebiete aufzugeben und sich hinter dem Rhein und dem Main zu verschanzen. Damit aber würde man im Kriegsfall garantiert keine patriotische Begeisterung auslösen. Dies war zwar auch nicht die Absicht Moltkes zu Beginn seiner Planungen, doch die politische Realität der späten 1860er-Jahre ließ ihn umdisponieren, da ein Preußen, das die deutsche Führungsmacht sein wollte, keinesfalls die linksrheinischen Gebiete aufgeben durfte.
Jedoch gab es eine Besonderheit. Der Generalstabschef von Moltke hielt von Feldzugsplänen nicht viel. Dies verwundert zunächst, da er ja Initiator eines exakt ausgearbeiteten Aufmarschplanes war. Er musste in seiner Position natürlich seinem König einen Plan vorlegen, der im Großen und Ganzen das Ziel ausgab, »den Feind, wo man ihn traf, unverzüglich anzugreifen« (Moltke, S. 5) und die französische Streitmacht vom ressourcenreichen Süden abzuschneiden. Wie genau das geschehen sollte, konnte er dem König indessen nicht sagen. »Durch welche besonderen Maßnahmen diese Ziele zu erreichen seien, blieb der Entschließung an Ort und Stelle vorbehalten, nur der erste Vormarsch bis an die Landesgrenze war bis in das Einzelne im Voraus geregelt« (ebd.). Dies war die Auftragstaktik auf höchster Ebene, die das preußische Militär so flexibel machte. Denn nach der ersten Schlacht sei Vieles »unausführbar, was man beabsichtigt haben mochte, Manches möglich, was vorher nicht zu erwarten stand« (ebd.).
In den Gedankenspielen der französischen Generäle wurde der Annahme viel Platz eingeräumt, dass die süddeutschen Staaten und Österreich auf der Seite Frankreichs in den Krieg eintreten würden (Nipperdey, Band II, S. 20). Dazu musste diesen rasch vor Augen geführt werden, wie stark Frankreich war, um jeden Zweifel an einer Koalition auszuräumen. Deswegen sahen die Planer vor, in einer Blitzoffensive über den Rhein zwischen Germersheim und Rastatt, beides Festungsstädte, an den Main vorzustoßen (Howard, S. 45). Dies sollte am 16. Tag der Mobilmachung geschehen – also im Falle von 1870 bereits Ende Juli. Die Zuversicht dabei war so groß, dass die französischen Offiziere nur Karten von Deutschland erhielten; keine vom französischen Gebiet in Lothringen oder dem Elsass (Moltke, S. 3).
Was eine Invasion nach Deutschland hinein betraf, gab die Topographie deren Stoßrichtung im Prinzip vor. Einen großen Anteil der Grenze hatte der Rhein, dessen rasches Überqueren der Feind leicht verhindern konnte. Dazu sind bei gelungenem Übersetzen der angreifenden Truppen die Vogesen im Westen und der Schwarzwald im Osten massive Hindernisse. An der Mosel hingegen befindet sich der Hochwald, der ebenfalls ungeeignet für größere Truppenbewegungen ist. So bleibt im Grunde nur der Raum zwischen Mosel und Rhein, der ja bereits in den Jahrhunderten zuvor Durchmarschgebiet war. Von diesem sollte im umgekehrten Falle auch eine Invasionsarmee von Osten her in Frankreich eindringen. General Charles Auguste Frossard (1807–1875) hatte zu diesem Szenario einen rein defensiven Plan erarbeitet, der von einem Angriff Preußens durch die Pfalz mit 470 000 Mann ausging (Howard, S. 45). Er rechnete mit dem Moseltal und dem Elsass als Stoßrichtung und nahm an, dass eine geringe Anzahl französischer Truppen den Angriff zunächst stoppen könnte. Im Elsass würde ein neuralgischer Punkt bei Frœschwiller liegen, den es zu verteidigen gebe, und das Hochplateau bei Forbach. Im Großen und Ganzen entsprach dies