Mein Leben als Schneekönig. Reinhard Lutz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reinhard Lutz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783905896428
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er komplett verschwitzt herein, warf den Koffer auf meinen Schreibtisch und dazu die Knete.

      «Oh mein Gott. In welche Scheisse bin ich da reingeraten?», fragte Fritz in den Raum, der Schock war ihm ins Gesicht gezeichnet. «Beruhige dich Fritz», unterbrach ich ihn, «was ist denn genau passiert?»

      Fritz erzählte mir die kuriose Geschichte, die selbst meine gewagteste Erwartung übertraf. Als ich mich dann erkundigte, weshalb er dem Deutschen nicht zu Hilfe geeilt sei, meinte Fritz leise mit blassem Gesicht: «Ich glaube nicht, dass ich ihm noch hätte helfen können, er sah bereits ziemlich tot aus. Zudem wollte ich nicht riskieren, ebenso vorzeitig das Zeitliche zu segnen, für ein paar Kilo Hasch.»

      Anschliessend bat ich Chrigi, mit dem Motorrad zum Bahnhof Uerikon zu fahren. Sie sollte sich dort vor Ort über die Geschehnisse ein Bild machen. Als Chrigi dort ankam, war bereits der gesamte Bahnhof abgesperrt, unzählige Polizisten anwesend und es existierte keine Möglichkeit mehr, nur in die Nähe des Toten zu gelangen. Sie sah nur noch von weitem, wie man umständlich einen Zinnsarg in einen Kastenwagen schob. Bis zum heutigen Tag wurden diese Mörder nicht gefasst, auch die genauen Hintergründe blieben im Dunkeln. Ob die beiden Angreifer sich den Deutschen zufällig oder bewusst ausgewählt hatten? Man weiss es nicht. Aber nicht, dass die Polizei nicht gründlich ermittelt hätte, nein, das hatte sie. Und wie konnte es anders kommen, als dass auch ich noch verdächtigt wurde.

      Es klopfte an der Tür. Als ich öffnete, standen am Eingang zwei Polizisten mit einem Vorführungsbefehl in der Hand.

      «Jetzt sitze ich wirklich das erste Mal unschuldig in einem Polizeiwagen», ulkte ich noch, als man mich auf dem Rücksitz platzierte.

      Es stellte sich bei der Befragung im Nachhinein heraus, dass irgendjemand im Restaurant Brückenwaage in Stäfa herumerzählt hatte, dass der Deutsche mir noch Geld schuldig gewesen wäre, wofür ich eine Abreibung angeordnet hätte, die am Ende aber aus dem Ruder gelaufen sei und so in einem Mord endete. Schlussendlich war dies nur eine Lügenthese eines besoffenen Stammtisch-Märchenerzählers und ich konnte die Wache wieder verlassen und nach Hause gehen. Die ganze Geschichte hatte am Ende einen Vorteil für mich, denn sie verbreitete sich auf der Strasse wie ein Lauffeuer. Plötzlich wurden alle Schulden bezahlt, selbst solche die noch hätten warten können. Der Irrglaube der Kunden, ich hätte dem Deutschen eine Abreibung beschert, schien sie so sehr eingeschüchtert zu haben, dass sie lieber vorzeitig bezahlten, als dasselbe Schicksal zu riskieren. Im Milieu sagt man ja gerne: egal ob von dir gesprochen wird, sei es positiv oder negativ spielt keine Rolle, Hauptsache man spricht den Namen richtig aus, so bleibt es gratis Werbung.

       AJZ die einstige Hochburg der Junkies

      Das AJZ war ein Gebäude, das auf dem heutigen Carparkplatz nahe des Zürcher Hauptbahnhofes stand. Vom Ambiente her könnte man es mit den sogenannten Gammel Häusern an der Neufrankengasse bei der Langstrasse vergleichen. Es wurden im AJZ viele Zimmer besetzt. Man konnte dieses Haus und das Areal davor mit einer Tragtasche gefüllt mit hundert «Lappen Piece» betreten und benötigte meist keine Viertelstunde, um alles an den Mann zu bringen. An einem regnerischen Tag jedoch wurden von der Polizei genau dort bei dem schnellen Deal zwei meiner Dealer verhaftet. Sie wurden mit zwei unterschiedlichen Kastenwagen abgeführt, damit sie sich nicht mehr absprechen konnte. Wie erwartet, erzählten beide bei der Einvernahme unterschiedliche Geschichten. Die Polizei konfrontierte die beiden mit dieser Feststellung und forderte die Wahrheit. Einer der beiden auf dem Verhörstuhl war Wieni. Wieni war der gewiefteste Dealer, den ich je kennengelernt habe.

      «Was hat ihnen denn der Miguel erzählt?» erkundigte sich Wieni ohne eine Miene zu verziehen.

      Der Polizist begann ihm die Version des anderen zu erzählen, wobei Wieni beinahe schmunzeln musste, denn die Version seines Kollegen war wirklich diametral zu seiner. Als der Polizist fertig gesprochen hatte, meinte Wieni ganz cool:

      «Ja, das ist die Wahrheit.»

      «Was ist die Wahrheit?» erkundigte sich der Beamte.

      «Die Geschichte von Miguel, so ist es gelaufen» präzisierte Wieni mit ernster Miene.

      «Und wieso haben sie dann gestern gelogen?»

      «Schauen Sie Herr Polizist. Gestern regnete es und heute scheint die Sonne. Somit sind es zwei verschiedene Tage und deshalb sind auch meine Aussagen so verschieden.»

      Wieni war wirklich gewieft. Er konnte in Verhören ein Durcheinander anrichten, konnte Polizeibeamte verwirren, konnte Ablenken bis zum geht nicht mehr und dies so gut wie immer mit Erfolg gekrönt. Meistens waren seine Geschichten so unglaublich kreativ, dass sie beinahe wie ein Film wirkten, doch gelang es der Staatsanwaltschaft nie zu belegen, dass es nicht so gewesen sein könnte, wodurch er immer und immer wieder davonkam. Am Tag nach dem Verhör, gingen Wieni und Miguel bereits wieder für mich auf Tour.

      Eine weitere Anekdote mit Wieni war die mit dem Dach. Einmal traf ich ihn mit einer Leiter und einem blauen Überanzug auf der Strasse an. Sein Auftritt irritierte mich. Als ich mich nach seinem Vorhaben erkundigte, musste ich laut lachen. Wieni hatte in dem Haus, indem er zuvor wohnte, auf dem Dach unter einem Ziegel ein Kilo Kokain als Notreserve versteckt, nun wollte er da mal vorbeischauen und das Zeugs abholen. Wie ich im Nachhinein erfuhr, erinnerte er sich nicht mehr ganz genau unter welchem Ziegel er den Stoff versteckt hatte, so entwendete er Ziegel für Ziegel und erst als mehr oder weniger das ganze Dach abgedeckt war, kam der Stoff zum Vorschein. Die Familie die in der obersten Wohnung wohnte, staunte nicht schlecht, als das halbe Dach abgedeckt war.

       Das Drama um den «Goldenen Afghan»

      Eine weitere Anekdote, die in diesem Buch nicht fehlen darf, ereignete sich an der Eichstrasse in Stäfa. Dort arbeitete ein Zöllner nebenbei für mich, der mir jeden Monat dreissig Kilogramm Haschisch von Indien, aus der Kaschmir Region organisierte. Diese Haschsorte galt in der damaligen Zeit als der beste Stoff. Die Lieferung bekam ich immer mit einem Goldsiegel, wie es bei Lieferungen aus bestimmten Regionen üblich war. Das Hasch in der dortigen Region musste ich stets frühzeitig vorbestellen, denn die Händler ernteten, respektive produzierten immer nur die Ware, die vorbestellt wurde. Etwas speziell, doch war das ihre Geschäftsphilosophie, die ich auch nie tiefer hinterfragte. Eines Tages, als ich eine dreissig Kilo Lieferung erhielt, gingen achtundzwanzig davon direkt weg, auf zwei blieb ich jedoch überraschenderweise kurz hocken. Da es Samstag war, liess ich den Stoff bei mir, verzichtete also darauf, deswegen extra ins Lager zu fahren, da ich es am Wochenende eh problemlos losgeworden wäre; dachte ich zumindest. Ich begab mich auf eine Einkaufstour, gönnte mir neue Kleidung, ging fein essen, schmiss für Freunde ein paar Runden und genoss das Leben. Am nächsten Morgen als ich aufgestanden war und mich ins Badezimmer begab, blickte ich, als ich mich auf den Thron setzen wollte, aus dem Fenster. Zu sehen war ein grosser Kran, das Nachbarsgebäude wurde renoviert. Als ich mich definitiv hinsetzen wollte, fiel mir ein Blitzlicht auf. Ich erhob mich näher ans Fenster, spähte nach unten und erlitt beim Anblick der Strasse beinahe einen Herzinfarkt. Unten auf der Strasse wimmelte es von Polizei. Unzählige Streifenwagen, rund herum Beamte die gerade die Strasse absperrten. «Fuck!», rief ich laut. Die kommen jeden Moment hoch, wurde mir bewusst und genau heute, wo ich noch rund zwei Kilo Material dabeihatte. Es durfte doch nicht wahr sein. Ich stürmte ins Schlafzimmer, weckte Chrigi auf und erklärte ihr in Kurzform die drastische Sachlage. Ich wies sie an, mir beim Verschwinden von allem belastenden Material zu helfen, was sie sofort tat. Ich selbst machte mich auf zum Aktenvernichter, um das eine oder andere Papier zu vernichten, das mir unschöne Konsequenzen hätte bescheren können. Während der Schredder bereits die ersten Papiere vernichtet hatte, zog ich mir meine Brille an, denn ich bin ja bekanntlich kurzsichtig, machte mich nochmals auf zum Fenster, und was ich dank Brille erkannte, war eine Erleichterung und ein Schock zugleich. Ich verstand nun die Sachlage richtig. Die Polizei war gar nicht wegen uns hier, sondern wegen der Hausbesitzerin von nebenan. Die ist in der Nacht auf den Kran geklettert, und hat sich anschliessend Kopf voran heruntergestürzt. Es war ein schlimmer Anblick und er stimmte uns höchst traurig. Unglaublich. Wie schlimm es dieser Frau wohl gegangen sein mochte, lässt sich nur erahnen.