Mein Leben als Schneekönig. Reinhard Lutz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reinhard Lutz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783905896428
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Obergericht in der Höhe von über 30’000 Franken ins Haus. Dieses Stück Papier, mit einer Hiobsbotschaft sondergleichen, zog mir nicht nur den Boden unter den Füssen weg, sondern es liess all meine neu geschmiedeten Pläne, weit weg von Kriminalität und Unsinn zerplatzen, wie Luftballons die sich in der Luft zerrissen und nach dem Knall nichts mehr waren, als ein Häufchen Gummifetzen. Wieder einmal erkannte ich, wie bereits zuvor im Gefängnis, dass der Ehrliche, der Typ Mensch, der es gut meint, der alles richtigmachen will, nie zur Ruhe kommen wird, dass er immer gezwungenermassen dem Geld nachjagen muss, um seine Existenz zu sichern, um seine Pflichten, aber auch die Erwartungen zu erfüllen. Und als wäre dies alles nicht genug, gibt es auch solche wie mich, die noch die Geier von der Justiz im Nacken haben, die einem finanziell aussaugen wollen, wie Dracula das Blut am Halse seiner Opfer.

      Ich war also erneut an einem Tiefpunkt angelangt, mein Weg wurde in eine Bahn von Abzahlung, Einschränkungen gezerrt, wo sämtliche zukünftigen Perspektiven aus Muss-Traktanden bestanden hätten. Nicht nur der Druck, das Geld irgendwann einzahlen zu müssen, stand nun im Raum, nein, laut Rechnung blieben mir gerade mal dreissig Tage Zeit um die Unsumme zu tilgen, was beinahe schon ein Wunder erforderte. Rational betrachtet, bedeutete meine Perspektive, nicht um eine Betreibung herumzukommen, dann vom Existenzminimum leben zu müssen, sowie vom Sozialamt abhängig zu werden. Dies in einer Zeit, in der man mit Betreibungen oder als Sozialhilfeempfänger, wie ein arbeitsscheuer Lump angesehen wurde. Schulden wurden verachtet, genauso wie die, welche sie auf ihren Schultern trugen. In meiner Verzweiflung suchte ich nach Ablenkung, indem ich durch die Zürcher Strassen schlenderte, dabei hin und wieder in einem der Lokale einkehrte. Ich benötigte frische Luft, Ablenkung und etwas Kühles für die Kehle. Bei diesem Rundgang traf ich auf einen alten Freund aus meiner «Studienzeit» hinter Gittern. Es war der Zürcher Drogendealer Rolf. Er schien mir auf den ersten Blick anzusehen, dass es mir in der grossen freien Welt gerade nicht so gut ging und ich wohl im Knast noch zufriedener dreingeschaut hatte. Wir begannen uns zu unterhalten. Bei meiner Erzählung wurde Rolfs Lächeln nach jedem Satz breiter. Dann begann er auf mich einzureden, mich aufzuklären, mir die Augen zu öffnen, mich davon zu überzeugen, dass es nur eine Lösung geben würde, um aus dem Schlammassel herauszukommen.

      «Reini, ich kenne deine Situation nur zu gut. Doch ich versichere dir, wenn du es weiter auf dem rechtschaffenen Weg versuchst, wirst du stets in der Kreide bleiben. Dein Start in ein unabhängiges Leben hast du bereits verspielt.»

      Ich hörte zu, widersprechen konnte ich nicht, denn seine Argumentation traf den Nagel auf den Kopf.

      «Reini, ich sage dir jetzt, wie wir das machen. Ich gebe dir zwanzig Kilo Haschisch auf Kommi (Kommission) und du verkaufst es, händigst mir meinen Anteil aus und mit deinem Anteil bezahlst du diese Rechnung von 30’000.–.»

      Rolfs Gerede klang verlockend. Es schien mir die ersehnte Lösung und der einzige Weg, zurück auf eine Bahn voller Chancen zu gelangen. Raus aus der Misere. Raus aus den Schulden. Ich willigte Rolfs Vorschlag zu und begann fortan mir einen Kundenkreis aufzubauen. Ironischerweise wurde ich damals eigentlich nur erneut kriminell, um wieder ins bürgerliche Leben, ohne Schulden, ohne Gesichtsverlust, zurückzukehren.

      Nach kurzer Zeit hatte ich mir in Zürich bereits einen Namen gemacht. Ich wurde ein bekannter Haschdealer, im Milieu bereits eine Nummer. Ich kam aus den Schulden raus, doch anstatt die kriminelle Tätigkeit einzustellen, kam der Drang nach mehr und mehr. Denn wenn es ja möglich war die Schulden auf null zu setzen, konnte man ja auch gleich seine Taschen etwas auffüllen, nur um eine Reserve zu haben, für schlechte Zeiten, als Absicherung quasi. So redet man es sich ein, bis man es selber glaubt, während sich die Taschen füllten und füllten. Irgendwann nach unzähligen Deals stand ich mit vollen Taschen da, mehr als ich je besessen hatte, und zum ersten Mal verfügte ich über die glückliche Option einer Wahl. Einer Wahl darüber was ich machen wollte, denn mit Geld öffnen sich Türen, es eröffnet einem Chancen, es ermöglichte mir nicht nur zu träumen, sondern auch meine Träume zu leben. So beschloss ich, in die Gastronomie einzusteigen und erwarb zusammen mit Bryan, Mike und Alois ein grosses Gebäude. Dazu gehörte ein kleines Restaurant, das «Piccolo Giardino» (Kleines Gärtchen), mit einer schönen Gartenterrasse, das rund hundert Meter von der Zürcher Langstrasse entfernt lag. Ich besass ab da eine Zentrale für meine Deals, man wusste wo man mich fand, und man hatte eine Gartenterrasse, auf der man zugleich auch noch kiffen durfte. Der Andrang nach der Eröffnung war so gewaltig, dass wir anfänglich sogar auf einen Türsteher angewiesen waren, der uns die wartenden Gäste im Zaum hielt. In den ersten Monaten hatten wir zudem eine Razzia nach der andern. Zu verdanken hatten wir dies höchst wahrscheinlich der Konkurrenz, die aus vielen Neidern bestand, denen unser gutlaufendes Lokal, das im Nu aus dem Boden gestampft wurde, nicht passte. Das Motto: «Leben und leben lassen», dem ich gerne folge, schien meiner Konkurrenz nicht viel zu sagen. Sie schienen sich lieber mit ihrem Drumherum zu streiten, sich um den Garten anderer, statt um den eigenen zu kümmern. Nach einer gewissen Zeit verleidete es den Nachbarn wie der Polizei und sie begannen uns in Ruhe zu lassen, uns anzuerkennen. Meine damalige Freundin Chrigi führte für mich die Buchhaltung für das Lokal, den legalen Teil, wie auch für die illegalen Geschäfte, separiert versteht sich. Unser Geschäft florierte, das illegale um ein Vielfaches mehr als das legale, trotz unzähliger Gäste. Immer mehr kamen Grossverteiler zu mir, die mir Hasch daliessen, um es für sie an den Mann zu bringen. Ich sagte selten nein, nahm die Ware an und Peng, nach einem kurzen Moment war bereits alles verteilt. Sämtliche Sorten gingen durch unser Netzwerk, vom goldigen Libanesen, über feinen marokkanischen, schwarzen Jarras, Zero Zero, gepresster Blütenstaub, grünem Türken, bis hin zum roten Hasch, dem man nachsagte, er solle enorm «spitz» machen. Oft wusste ich nicht mal selbst, was ich gerade alles in meiner Schatztruhe gebunkert hatte, oft klärten mich meine Kunden darüber auf, was für Schätze bei mir lagerten. Der Fachkundige war ich nie, sondern der Ein- und Verkäufer, mir lag der Handel, oh ja, der lag mir. Ich selbst frass nie einen Narren an dem Zeugs, klar kiffte ich mal mit, dabei blieb es jedoch immer bei zwei bis drei Zügen. Ein ganzer Joint hätte ich nicht mal in jungen Jahren geschafft. Die Zeit des Piccolo Giardino war nicht nur eine Zeit der Geschäfte, nein, es war auch eine Zeit der Partys und der Mädels. Aus allen Schichten kamen die Kunden zu uns. Es herrschte eine lockere Stimmung und nur selten gab es ernsthafte Probleme. Nicht wie heute, bei denen es bald an jeder Party zu Pöbeleien, Schlägereien oder Messerstechereien kommt. Mit meinen Gästen ergaben sich auch viele Verknüpfungen, es entstanden Beziehungen, seien es kollegiale wie geschäftliche. Meine Geschäftskontakte weiteten sich aus, zuerst über Kantone, dann über das Land hinaus.

       Der unbekannte Deutsche im Zinnsarg

      Einer meiner damals treusten und besten Mitarbeiter, war der Fritz. Zum einen hat er für mich Hasch vertickt, zum andern aber auch allerlei andere Sachen für mich erledigt. Er war mein Allrounder, auf den ich mich stets verlassen konnte. Eines Tages kam Fritz zu mir, mit einem Lächeln im Gesicht, dass daherkam, dass er einen neuen Abnehmer an Land gezogen hatte. Ein Deutscher der angeblich vier Kilo von meinem feinsten Hasch kaufen wolle. Der Deal sei bereits arrangiert, festgelegt sei er an einer Unterführung, nahe des Bahnhofs Uerikon. Mir war der Treffpunkt recht, denn ich wohnte damals in Stäfa und fremde Leute wollte ich eh nie bei mir zu Hause, geschweige denn, in dem Dorf treffen, wo ich wohnte. Da kam mir das Nachbarskaff mit seinem winzigen Bahnhof gerade recht. Fritz kam am Tag des Deals zu mir, holte die Ware ab und machte sich auf zum Bahnhof, während ich mit Chrigi zu Hause blieb und auf die Kohle wartete. Fritz traf wie vereinbart bei der Unterführung auf den Deutschen, händigte ihm den Stoff aus und der Deutsche ihm die Kohle. Gerade als der Deal zum Abschluss kam, erkannte Fritz von Weitem zwei Gestalten die mit äusserst unfreundlichen Gesichtern auf den Deutschen zu gerannt kamen. Als der Deutsche sich umdrehte und die zwei auf ihn zu rennenden Männer erkannte, warf er den Hasch zurück in die Arme von Fritz, obschon der das Geld schon hatte. Die Panik schien den Deutschen überkommen zu haben.

      «Verschwinde schnell! Die wollen mich überfallen. Weg, los, weg, schnell …», rief der Deutsche völlig gestresst.

      Fritz lief los, lief und lief. Nach einigen Metern blickte er nochmals zurück. Alles was er sehen konnte, war, wie der Deutsche von den zwei düsteren Gestalten niedergestochen wurde, was die Adrenalinausschüttung von Fritz erhöhte, seinen Beinen