Mein Leben als Schneekönig. Reinhard Lutz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reinhard Lutz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783905896428
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Stand und in heutigen Mengen überall vorhanden waren, was bereits erahnen lässt, was nun kommen wird, dass nämlich meine Freundin schwanger wurde. Wie es sich damals gehörte, heiratete ich meine Freundin, um die Erwartungen der Gesellschaft zu erfüllen, aber natürlich auch dem Kind zu liebe, damit es christlich getauft werden konnte.

      Bei unserer Hochzeit waren von der Familie meiner Frau rund fünfundzwanzig Angehörige anwesend, während von meiner Seite her gewollt keiner da war. Denn nach dem Ableben meiner Mutter trennte ich mich von allen Verwandten. Das Ganze hatte mit dem zuvor bereits losen Verhältnis zu tun, aber auch mit der Beerdigung meiner Mutter. Keiner meiner Familie unterstützte mich bei der Organisation der Trauerfeier, nicht einmal bei der Finanzierung des Grabsteins, was bereits damals rund fünftausend Schweizer Franken kostete. An der Beerdigung selbst, waren sie dann aber alle wie Geier anwesend, wie es in der Schweiz üblich ist, wird an einer solchen Veranstaltung «gefressen» und «gesoffen», so, dass mir der traurige An-lass beinahe wie eine Party vorkam, alles andere als was ich mir gewünscht hätte. Lieber wäre es mir gewesen, an der Beerdigung allein mit einem Pfarrer zu sein, aber es kam anders und so sah ich die Beerdigung nicht nur als Abschiedsehrung meiner Mutter, sondern zugleich als Schlussstrich unter der Beziehung zu meinen Verwandten.

      Danach arbeitete ich sehr viel, doch das Geld reichte hinten und vorne nicht. Ich erkannte, wie mein Leben von einem Tag auf den anderen bestimmt worden war. Ich wurde als junger Ehemann und Vater, der kurz zuvor zum Vollwaisen wurde, in ein Leben aus Verantwortung, Pflichten gesteckt, aus dem es kein Entrinnen gab. Ich war wie einbetoniert, bevor ich jemals gelebt hatte. Meine Unzufriedenheit wuchs täglich an, so konnte ich durch die viele Arbeit mein Kind so gut wie nie sehen und wenn, dann versaute mir meine Frau diese freudige Zeit mit Streitereien bezüglich des Geldes, das immer knapper als knapp war. Nicht, dass sie geldgierig war, nein, sie war charakterlich in Ordnung, doch musste sie den Haushaltsplan erstellen und kalkulieren, sodass ihre Vorwürfe ja irgendwie verständlich waren. Ich fühlte mich machtlos, überfordert, gefangen in einer Zelle namens Leben und war alles andere als zufrieden mit den Umständen. Die einzige Lösung dem zu entfliehen, schien mir das Geld zu sein. Mit Geld dachte ich mir, kann ich mir Zeit mit meinem Kind erkaufen, aber auch Ruhe von meiner Frau und irgendwie dadurch ja auch ein Stück Zufriedenheit. Und wer weiss, vielleicht hätte dies auch meine Sehnsüchte gestillt, denn insbesondere zu Reisen stand auf meinem Plan des Lebens, von dem ich zu diesem Zeitpunkt jedoch meilenweit entfernt war.

      Mein Ziel hiess also Geld. Nun galt es mich zu fokussieren und einen Weg zu finden, der mich dahin führte, wo die vielen Scheine gestapelt auf mich warteten.

       Ein Versuch mir mit Geld Glück zu erkaufen

       1975

      Ein guter Freund kam mit einer in der damaligen Zeit, irrsinnigen Idee auf mich zu und zwar, Drogen von Holland in die Schweiz zu importieren. Seine Erklärung über den Ablauf hörte sich simpel und der Gewinn vielversprechend an. Es galt nichts anderes zu tun, als nach Holland zu fahren, den Stoff einzuladen, dann in die Schweiz zurückzufahren, wo damals fast niemand an der Grenze kontrolliert wurde, und der Coup wäre geschafft gewesen. Selbst ein Abnehmer für den Stoff hatte mein Kumpel bereits organisiert. Leider machte ich mit, und leider funktionierte es. Dadurch hatte ich ein bisschen mehr Geld als zuvor, die Hürde war übersprungen und die Taschen etwas voller. Meine Rechnung schien zudem aufzugehen, denn die Streitereien mit meiner Frau nahmen durch die zusätzliche Geldeinnahme deutlich ab und ich konnte endlich mehr Zeit mit meinem Kind verbringen. Für einen kurzen Zeitpunkt war ich glücklich, so redete ich es mir zumindest ein. Als das Geld knapper wurde, stand bereits die nächste Tour an. Mein Lebensstandard begann sich zu erhöhen, doch meine Probleme blieben beständig, denn desto grösser Auto und Haus wurden, umso grösser der Unterhalt, umso grösser die benötigten Geldbeträge. Das Auto musste getankt, das Haus renoviert oder neu möbliert werden und die Rechnungen wiesen immer mal wieder, ein paar Zahlen mehr auf. So wurden aus dreistelligen schnell einmal vierstellige Beträge. «More money, more problems» wäre wohl die prägnanteste Betitelung dessen, was ich bitter lernen musste. Nebst dieser Problematik kam auch der Umstand dazu, dass ich nun offiziell kriminell war und somit stets auf der Hut sein musste, um nicht unnötig aufzufallen. Trotz jeglicher Vorsicht wurde ich dann nach einiger Zeit doch verhaftet, aber nicht etwa wegen eines eigenen Fehlers, sondern durch den meines damaligen Partners. Später habe ich in meinem Leben gelernt, dass man stets alles alleine durchziehen sollte, will man auf der sicheren Seite stehen, denn so mancher, der sich als knallhart und auf den Verbrecher-Codex schwörender Gauner darstellt, bricht schnell einmal ein, wenn der Staatsanwalt von Kooperation und Strafmilderung spricht, wobei es nichts anderes als Verrat und Verarsche ist, denn die Strafe bleibt meistens dieselbe. Jede Kette ist nur so stark, wie sein schwächstes Glied. Unser schwächstes Glied war ein Kumpel meines Kumpels, der verhaftet wurde und meinen Kumpel während der Strafuntersuchung verraten hatte, was schlussendlich dazu führte, dass auch ich verpfiffen wurde. Eine Kettenreaktion die nicht mehr zu bremsen war. Die Wut die man als Opfer von Verrat spürt, ist enorm. Mir war es unerklärlich wie man so falsch sein konnte, sich für die Aussicht auf zwanzig Prozent Strafmilderung den Judas Stempel aufdrücken zu lassen. Nein, sowas kann man in der Kriminalbranche nicht verstehen. Eines schwor ich mir zu dieser Zeit selbst; nie würde ich einen Menschen verraten, egal wie sehr ich unter Druck stehen würde, wie verlockend das Angebot eines Staatsanwaltes auch je sein könnte. Nie und nimmer!

       Erste Verhaftung, ab ins Gefängnis

       1976

      So kam es, dass ich zum ersten Mal in Handschellen und hinter Gitter kam. Es waren andere und viel schrecklichere Umstände als heutzutage. Damals wurde ich in Alt Pfäffikon ZH inhaftiert. Dort steckte man mich in eine Zelle ohne Fernseher oder Radio, lediglich mit einem Krug, einem Glas, einem Bett und einer dünnen Matratze, die fürchterlich stank und nach deren Benutzung man am ganzen Körper Juckreiz bekam. Ungefähr so, wie heutzutage die Arrestzellen aussehen, war damals der allgemeine Zellenstandard. Das Schlimmste stand jedoch in der Zellenecke. Ein weisser Kübel mit einem Deckel drauf. Zustände wie im Mittelalter. Ich ging am ersten Tag davon aus, damit das Gesicht und die Füsse waschen zu können, doch als mir ein Aufseher erklärte, dass es sich dabei um die Toilette handelte, mit der netten Zwischenbemerkung, man könne es aber durchaus auch zum Waschen benutzen, musste ich mich beinahe übergeben. Um den Kübel zu entleeren, musste man sich morgendlich in einer Reihe anstellen, wobei einem der Gestank Tränen in Augen trieb. Auch die Spaziergänge waren damals keine Momente der freien Bewegung, sondern man trottete wortlos hintereinander her, beinahe schon wie in den alten Western Filmen, nur die Metallkugel, mit einer Kette am Fussgelenk fehlte. Auch die menschlichen Qualitäten der Aufseher waren sehr unterschiedlich. So gab es solche, die ihre Menschlichkeit während der Arbeit unter der Uniform anbehielten, wie beispielsweise Herr Widmer. Unvergessen bleiben aber auch die Vollpfosten von Aufsehern, die ihre Menschlichkeit vor dem Überziehen der Uniform ablegten, wie damals zum Beispiel Herr Häberli. Ich erinnere mich, als wäre es erst gestern gewesen, als ich an meine Zellentür klopfte, da ich dringendst einen Brief abgeben musste. Aufseher Häberli knallte die Tür auf und schrie mich an, wie es nur selten zuvor ein Mensch gewagt hatte. Was mir denn einfalle und ich sei noch viel frecher als ihm der Bezirksanwalt vor dem Haftantritt beschrieben hätte. Die gute Seele Herr Widmer hingegen war anders. Nie vergesse ich ihm, wie er mir anbot, mit einer Gruppe Insassen in den Wald zum Holzhaken mitgehen zu können, was ich, ohne nur einen Moment des Überlegens zu verschwenden bejahte. So hoffte ich fortan immer wieder darauf, dass bald wieder Holz benötigt wurde, denn die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Meine Frau kam mich jede Woche besuchen und die Zeit begann zu laufen, wenn auch stockend. Aus Platzmangel wurde ich nach einer Weile in eine Dreierzelle versetzt, wo ich mit einem alkoholsüchtigen Berufseinbrecher zusammengesetzt wurde. So war ich zumindest nicht mehr allein, und die Zeiger der Uhr begannen sich etwas weniger ruckartig, beinahe schon fliessend zu bewegen. Der Alkoholiker kannte nichts. Gut erinnere ich mich, wie er einmal den Auftrag bekam, mit Brennsprit die Fenster im Korridor zu reinigen. Nach zehn Minuten ging ihm der Brennsprit aus, so meldete er sich beim diensthabenden Aufseher, der dann schockiert darüber war, dass der Liter Brennsprit bereits