Mein Leben als Schneekönig. Reinhard Lutz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reinhard Lutz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783905896428
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alles die Kehle runtergespült wurde. Ich musste lachen, zugleich aber auch damit beginnen, mein Rasierwasser in der Zelle zu verstecken, denn der Süffel schluckte wirklich alles, was nur ansatzweise Alkohol beinhalten konnte, selbst wenn man es im weissen Kübel gelagert hätte. Als ich ihn einmal auf sein Leben ansprach, ob er zum ersten Mal einsitzen würde, stellte sich heraus, dass er vierundzwanzig Vorstrafen auf dem Buckel hatte, was mich sprachlos machte.

      Nach rund sechs Monaten in der Zürcher Guantanamo Hölle kam ich endlich vor Gericht. Der Richter brummte mir eine Strafe von zweieinhalb Jahren auf, verbunden mit einer ambulanten Therapie, was so viel bedeutete, wie einmal wöchentlich bei einem Seelenklempner vorbeischauen zu müssen. Zudem wurde mir ein Bewährungshelfer aufgetragen, da meine Strafe auf Bewährung ausgesetzt wurde. Wäre ich in nächster Zeit wieder straffällig geworden, hätte ich die zweieinhalb Jahre noch absitzen müssen. Der Schock sass tief, als ich meine Füsse wieder auf dem Boden der Freiheit aufsetzte. Ich nahm mir vor, nie aber gar nie mehr, in diese Hölle zurückzukehren. Bald begann ich wieder zu arbeiten, ganz im guten Vorsatz, keinen Blödsinn mehr anzustellen. Ich war wieder dort, wo ich angefangen hatte, nämlich beim Überstunden schinden, um den Kühlschrank vollzukriegen. Trotz allem erschien mir dies nicht mehr so schlimm wie früher vor meiner Delinquenz, denn ich kannte nun ein Leben, das noch unerträglicher war, das Leben hinter Gittern.

      Was nun geschah, war der absolute Super-GAU und etwas, was klar auf meinen Werdegang Einfluss hatte. Der Staatsanwalt, Herr Schmid, legte Berufung gegen mein Gerichtsurteil ein, denn ihm passte es nicht, dass ich meine Strafe nicht hinter Gittern verbüssen musste und auch die wöchentlichen Therapiesitzungen erschienen ihm als Witz. So ging er nicht nur in Berufung, nein, er kam damit sogar durch, sodass ich erneut aus meinem Leben gerissen und in die Hölle retourniert wurde, wo ich fortan nicht nur einen Teil, nein, gar die ganze Strafe abhocken musste. Staatsanwalt Schmid war es nicht recht, dass ich resozialisiert in die Welt zurückkehrte, den rechten Weg wiederaufnahm, indem ich für meine Familie mit ehrlicher Arbeit sorgte, offenbar war es ihm lieber, dass ich auf Kosten der Steuerzahler hinter Gittern schmorte. Kriminalisierung statt Resozialisierung, schien sein damaliges Motto zu sein. Wenn man eine Haftstrafe verbüssen muss, aufgrund eines frustrierten Staatsanwaltes, der mehr nach seinem persönlichen Befinden und seiner Antipathie dem Straftäter gegenüber handelt, als nach Menschenverstand und rechtlichen Normen, entwickelt sich ein Hass auf die Justiz. Ein Hass, der sich anstaut, der sich während des Verbüssens der Strafe aber gerne auch ausweitet, beinahe wie ein Geschwür. Auch heute noch, rege ich mich über Schmids Handeln auf, gerade unter Betrachtung des heutigen Umstandes, wo jemand für dasselbe Urteil wie damals, gerade noch etwa drei Monate einsitzen müsste.

      Zwischen mir und meiner Frau begann es mehr denn je zu kriseln. Zudem wurde meine Frau auch noch eifersüchtiger denn je. Mühsam versuchte ich, mein zerrüttetes Familienleben wieder wie ein Puzzle zusammenzubauen. Ich versuchte die Puzzleteile aneinanderzufügen, doch es wollte einfach nicht mehr gelingen. Es schienen Teile zu sein, die sich gar nicht mehr zu einem kompletten, einheitlichen Bild zusammenfügen liessen. Die Eifersucht meiner Frau wurde immer intensiver, erst recht, wenn mal eine alte Freundin oder einfach überhaupt eine Frau bei uns anrief und sich nach mir erkundigte, tickte meine Frau komplett aus, immer im Glauben, es wäre kein Zufall und ich hätte mich kurz zuvor mit der Anruferin getroffen. Es ging sogar so weit, dass wenn ich von Überstunden nach Hause kam, und es waren wirklich Überstunden (!), ich schon beinahe wie von den Aufsehern im Zürcher Guantanamo durchsucht und wie von Aufseher Häberli angeschrien wurde. Wo ich denn gewesen sei, mit wem ich mich getroffen und mit wem ich es getrieben hätte. Meine Lust auf Diskussionen neigte sich dem Ende zu, sodass ich meist nur noch mit einem schroffen «halt doch mal die Klappe» geantwortet habe. Als sich wieder mal so eine Situation ergab und ich so unwirsch reagierte, lief ich ins Badezimmer, liess mir ein Bad ein und legte mich zur Erholung in die Badewanne. Da kam meine Frau wie eine Furie herein, steckte den Stecker des Föhnkabels in die Steckdose und hielt mir den Föhn anschliessend drohend übers Wasser. Sie drohte mir, wenn ich nur noch ein Wort sage, würde sie den Föhn fallen lassen und so mein Leben auslöschen. Noch nie in meinem Leben bin ich so schnell aus einer Badewanne ausgestiegen, wie an diesem Tag. Die ganze Situation konsternierte und bedrückte mich immer mehr. Bald waren meine Energiereserven schneller aufgebraucht, als ich sie wieder aufladen konnte. Obschon ich zu der Zeit treu war, weit entfernt von dem Charmeur und Frauenheld der ich später noch werden sollte, unterstellte mir meine Frau Dinge, die sich lediglich in ihrer Fantasie abspielten, nicht aber im wahren Leben. Inwiefern ich zu ihrem Misstrauen beitrug, weiss ich nicht, vielleicht hatte ich mich während der Zeit im Gefängnis auch unbewusst verändert, wer weiss, jedenfalls braucht es meistens zwei für einen Streit. Es kam jedenfalls, wie es kommen musste, da ich nicht vorhatte gegen mein Naturell gewalttätig zu werden, landeten wir vor dem Scheidungsgericht. Erstaunlicherweise verzichtete meine Frau während des Scheidungsverfahrens auf die Zahlung von Alimente, da sie wohl irgendwie zur Besinnung kam und erkannte, dass ich wohl doch treu war und sie sich in ihrer Fantasie des Öfteren massiv verrannt hatte. Die Frechheit kam dann wieder mal von der Justiz, respektive ihre aktuelle Verkörperung, eben der Scheidungsrichter, der meine Frau noch vier Mal in Folge fragte, ob sie denn wirklich keine Alimente beantragen wolle, wobei ich nur dachte, «halt mal die Klappe, bevor sie es sich noch anders überlegt», was sie dann aber gottseidank nicht tat. Ich wurde geschieden und von der Verpflichtung der Alimenten Zahlungen verschont.

       Aus dem Ehegefängnis ins Saxerriet

       1978

      So kam es also, dass ich zum erneuten Strafantritt, diesmal in die halboffene Strafanstalt Saxerriet musste. Eine Anstalt, die durch ihren halboffenen Status nicht besonders sicher und lediglich für Strafgefangene geeignet ist, bei denen weder von einer Fluchtgefahr noch einer Gefahr für die Öffentlichkeit ausgegangen wird. Es vergingen nur einige Tage als meine mittlerweile Ex-Frau mich in der Anstalt besuchen kam. Sie erklärte, dass die Scheidung ein Fehler gewesen sei, dass sie mich noch liebe und sie zu mir stehen wolle, in dieser schweren Zeit, so wie danach. Obschon ich mein Kapitel mit dieser Frau eigentlich abgeschlossen hatte, gab ich der Beziehung noch eine Chance, um ehrlich zu sein, einzig aus Liebe zu meiner Tochter, denn mir war es immer ein Anliegen, dass sie mit Mutter und Vater zusammen aufwachsen kann und keines dieser vielen Scheidungskinder werden muss, von denen es heutzutage leider viel zu viele gibt. Ich wollte kein Kind, dass zwischen den Elternteilen hin und hergeschoben wird und keines Falls wollte ich Termine vereinbaren müssen, wann und wo ich mein Kind für wie lange sehen darf. Die Beziehung zu meiner Exfrau hatte ich also wieder aufgenommen. Im Hafturlaub ging ich stets nach Hause und bei meinen Ausgängen kam sie zu mir in die Nähe. Ich gelangte somit anfänglich, trotz unsinniger Rückversetzung in Haft, wieder auf die geregelte Bahn, die eines normalen Bürgers, beinahe schon der eines Bünzlis. Zu meinem Pech jedoch, lernte ich im Saxerriet neue Koryphäen aus dem Milieu kennen, so zum Beispiel die Sihlposträuber und Rolf Brunner, einer der grössten und damals berüchtigtsten Drogendealer aus dem Kanton Zürich. Rolf Brunner ist übrigens einer der wenigen, dem die Flucht vor einer neuen Untersuchungshaft gelang und bei dem mittlerweile alles verjährt ist, sodass er ohne Probleme zu bekommen, wieder in die Schweiz einreisen könnte. Was mich betrifft, wurde aus meiner eigentlichen Resozialisierung leider eine Kriminalisierung. Statt mit einem blauen Auge davonzukommen und wieder ins Berufsleben einzusteigen, steckte man mich ausgerechnet in die pompöse Verbrecheruniversität, das Gefängnis. Um dies richtig zu verstehen, gerade wenn man nie selbst in Haft war, muss man sich das so vorstellen. Man wird nicht von einem Tag auf den anderen kriminell. Kriminalität ist auch keine Krankheit, von der man angesteckt werden kann. Es ist etwas, dass meist im Kleinen beginnt, sich dann aber rasch ausbreitet, beinahe wie ein Geschwür, das wächst und wächst, bis es gefährlich wird. Ich musste damals schnell erkennen, dass wie im Übrigen auch heutzutage noch, die ehrlichen und guten Menschen, es am Schwersten haben, im Gefängnis noch mehr als in der Freiheit. Fragen sie ehrlich nach etwas, wird es ihnen meist verwehrt, lügen sie hingegen, kriegen sie meist das Doppelte von dem, was sie sich eigentlich vorgestellt haben. Der Genfer Drogenguru Rolf Brunner zum Beispiel machte sich an jeden Neuankömmling im Saxerriet ran, schickte ihn zum Arzt, wo der Insasse die von ihm befohlenen Symptome vorspielen musste, um genau die Medikamente zu erhalten, die Rolf benötigte. Ein Teil davon für den Eigenkonsum, der andere Teil