Mein Leben als Schneekönig. Reinhard Lutz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reinhard Lutz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783905896428
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dass wir die Situation noch rechtzeitig deuten konnten und nicht erst, nachdem wir auch den Stoff vernichtet hatten.

       Die neue Realität hiess: Kokain

       1982

      Ungefähr um das Jahr 1982 kam das erste Kokain nach Zürich. Als sich dieser Stoff neu etablierte, fand man es anfänglich auf sämtlichen Bürotischen, meist waren einzelne Linien auf einem Teller aufgereiht, sodass man sie nur noch schnupfen musste. Am Anfang war es das Pulver der Börsianer, der Reichen und Schönen, eine Art Luxusdroge könnte man sagen. Am Anfang rechtfertigte man den Konsum hauptsächlich durch seinen Effekt der Leistungssteigerung, sodass gerade die Top Manager von dem Zeugs angetan waren. Ich selbst war bereits am Anfang vorsichtig mit dem Konsum und beschränkte mich auf zwei bis drei Linien pro Jahr. Denn wenn man mit dem weissen Pulver Geld machen wollte, war der Ruin vorprogrammiert, würde man selbst sein bester Kunde werden. Somit galt es für mich stets, Distanz zu dem Teufelszeug zu halten. Rolf, der Genfer, brachte mich auf die Idee, selbst mit dem Stoff zu handeln. Sein guter Riecher war mir bekannt und so willigte ich schnell ein. Von da an begann ich leider mit dem weissen Schnee zu handeln, obschon ich «leider» eigentlich nur sage, wenn ich an die spätere Gefängnisstrafe denke, ansonsten war es rentabel und bescherte mir goldige Erlebnisse, die dem Namen «Schneekönig» tatsächlich eine Zeitlang gerecht wurden. Die Gewinne mit dem Schnee waren im Vergleich zum Haschisch um ein Vielfaches grösser, sodass sich mir die hohen Einnahmen viele neue Möglichkeiten eröffnet. Während ich in meinem alten Leben als Maler oder was auch immer in der unteren Schicht vor mich hinvegetiert hätte, konnte ich nun endlich meine Träume ausleben, musste mich nicht in einer eingeengten Bahn bewegen, nein, ich konnte mir sogar die Bahn aussuchen oder sie zwischendurch einmal wechseln. Ein unbeschreiblicher Luxus.

       Der weisse Rolls Royce

       1983 bis Mitte 1984

      Rolli war ein guter Freund von mir und zugleich ein Mitglied des berühmtesten Motorrad-Clubs der Schweiz, der Hells Angels. Rolli stand auf die Fahrzeugmarke Rolls Royce und so bat er mich eines Tages, eine seiner neuen Errungenschaften auf meinen Namen einzulösen. Sein aktueller war grün und der neue, den er erwerben wollte, war weiss. Im Gegenzug durfte ich den grünen für eine längere Zeit selber fahren. Ich stimmte zu und begab mich mit Rolli zu einem Garagisten, der einen ganzen Koffer voll Bargeld für den weissen Rolls Royce erhielt. Der Schlitten war ein wuchtiges Geschoss, das überall für Aufsehen sorgte. Anschliessend habe ich die nötigen Papiere machen lassen und fuhr nun das auffällig grüne Monstrum, was dann nicht nur die Aufmerksamkeit von schönen Frauen und neidischen Männern auf mich zog, leider auch die der Polizei. Ich stand also im Fokus.

      Eines Tages sollte ich in kürzester Zeit für das Piccolo Gardino eine grössere Lieferung aus Holland erhalten, Kokain und Hasch. Ich wollte die Lieferung stoppen, denn ein mulmiges Bauchgefühl warnte mich, dass etwas nicht ganz koscher ist. Da es damals keine Handys gab, gelang es mir nicht mehr, die Lieferung aufzuhalten, denn sie war unterwegs, und den Lieferanten zu erreichen, war ein Ding der Unmöglichkeit. So erhielt ich vom Chauffeur einen Anruf, dass er in der Gegend sei und eine Lieferadresse benötige. Alois, der Vizepräsident der Hells Angels und ich fuhren nach Bergdietikon zu Rolli, der dort eine Garage hatte, wo man die Fuhr abladen konnte. Wir wiesen den Chauffeur an, uns nachzufahren. Rolli selbst war nicht vor Ort, als wir ankamen, doch sein weisser Rolls Royce stand vor seiner Garage. Von seiner Freundin Gabi erhielten wir den Fahrzeugschlüssel, sodass wir das Ungetüm von der Garageneinfahrt wegfahren konnten, damit der Chauffeur sein beladenes Fahrzeug hinein parken konnte, wo in der Garage sofort mit dem Ausbau der Ware begonnen wurde. Ich fuhr anschliessend mit Alois und dem Kurier nach Zürich, wo wir gemeinsam abwarteten, bis alles vorbei war. Anschliessend nahm ich den alten Peugeot von Chrigi, da mein Mercedes sich in der Garage befand und machte mich auf den Weg zurück nach Bergdietikon, um nachzuschauen, ob alles erledigt sei. Kurz vor dem Ziel erkannte ich den weissen Rolls Royce von Rolli an der Strasse stehen, doch von Rolli gab es weit und breit keine Spur. Zudem standen überall zivile Autos kreuz und quer herum, was klar die Polizei zu sein schien.

      Wenn man einen amerikanischen Spionagefilm sieht, in dem FBI und CIA Agenten in auffälligen schwarzen Anzügen und Sonnenbrillen herumstehen, denkt sich jeder Zuschauer, das ist doch Blödsinn, noch auffälliger geht es ja wirklich nicht. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass es auch in der Realität oft nicht viel anders ist. Die Schweizer Zivilfahnder sind vieles, aber ganz sicher nicht unauffällig. Riechen kann man sie bereits aus fünfzig Kilometern Distanz. Wir erkannten die Zivilfahnder in Bergdietikon gottseidank bereits von Weitem, und nur dem Zufall oder Glück war es zu verdanken, dass mein Mercedes in der Garage war und ich gerade an diesem Tag im alten Peugeot von Chrigi unterwegs war, denn die Fahnder erwarteten meinen Mercedes. Ich bog mit dem Peugeot unauffällig ab. Nach einigen hundert Metern lud ich den Kurier ab, denn einen Holländer im Auto zu haben, machte in meiner Branche noch nie einen guten Eindruck, erst recht nicht, wenn man im Fokus der Uniformierten steht. Alois blieb bei mir im Wagen. Wir fuhren nach Zürich und kehrten in einer Gaststätte ein, wo wir die Zeit etwas vorwärtslaufen liessen. Nach einer Weile beschloss ich, den Holländer abzuholen. Alois wartete unterdessen in Zürich auf uns. Als ich am Waldrand ankam, wo ich den Kurier abgeladen hatte, konnte ich von Weitem gerade noch sehen, wie man ihm Handschellen anlegte. Schnell wendete ich die alte Klapperkiste und fuhr zurück zu Alois, um ihn über diesen unschönen Umstand zu informieren. Alois beschloss, trotz allen Risiken ins Piccolo Giardino zu gehen, um dort noch gewisse Dinge für unser Geschäft abzuwickeln. Zwar war es sinnvoll uns zu trennen, denn man suchte ja nach zwei Personen, doch an einen so riskanten Ort zu gehen, war mir definitiv zu heiss. Alois zu überreden, gelang mir nicht, so ging ich zu einem Kumpel nach Stäfa und Alois ins Piccolo Giardino. Bei diesem Freund konnten wir morgens um etwa 5 Uhr durch das Abhören des Polizeifunks gerade noch mitbekommen, wie man Alois im Piccolo Giardino verhaftet hatte. Nach dieser unschönen Wende wurde mir der Aufenthalt beim Kumpel zu heiss, sodass ich ihn bat, mich nach Rehtobel in St. Gallen zu fahren, wo ein guter Freund von mir eine Disco besass, mit einigen Zimmern oberhalb der Location, für Gäste die zu tief ins Glas geblickt hatten und die einen Ort zum ausnüchtern benötigten. So wurde ich dorthin chauffiert. Während der Fahrt lag ich auf dem Rücksitz, um das Risiko erkannt zu werden, so minim wie möglich zu halten. Dabei wurde mir bewusst, dass unser ganzes Netzwerk aufgeflogen war und dass ich nun auf der Flucht war, dass es für eine Weile kein Zurück in das bisherige Leben mehr geben wird.

       Flucht durch die halbe Welt

      In Rehtobel angekommen, habe ich mich direkt in einem der Zimmer einquartiert. Bambi von den Hells Angels kam jede Nacht zu mir und brachte mir die neusten Nachrichten. Jack, von der Rockergruppe Unikons, kam zu meinem Schutz dazu, er war immer mal wieder für meine Sicherheit in brenzligen Situationen zuständig. So auch in diesem Fall. Leider wurde er später auf tragische Weise in einer Tiefgarage erschossen, was aber eine andere Geschichte ist.

      Was ich jedoch vertiefen möchte, ist der damalige Milieukrieg, von dem man hier nur am Rande in den Medien mitbekommen hat, wenn überhaupt. Denn zu dieser Zeit, als ich im Rehtobel untertauchte, herrschte im St. Gallischen Vorarlberg gerade der Zuhälter Krieg. Da wurde geschossen und gesprengt, für Schweizer Verhältnisse war es richtig schlimm. Vieles was sich damals ereignet hat, kam gar nie in den Medien, denn man wollte das Volk nicht verängstigen. Für die Schweizer Publicity wäre ein Schweizer Zuhälter Krieg höchst schädlich gewesen. Der 0815 Radio DRS Hörer wusste ja dazumal noch nicht einmal richtig, was ein Zuhälter war, geschweige denn, was sich im Milieu abspielte. Einer dieser Zuhälter blieb mir durch eine besonders prägende Anekdote in Erinnerung. Pauli aus Österreich, war einer dieser Zuhälter, der gerade jeden Schritt zwei Mal planen musste, da es von Feinden um ihn herum nur so wimmelte. Als er mich einmal in einem Golf vom Flughafen Graz abholte, musste ich unverhohlen lachen.

      «Warum kommst du mit einer solchen Klapperkiste von VW Golf und nicht mit deinem Mercedes?», spottete ich.

      «Lieber Reini, Sicherheit geht vor Bequemlichkeit.