Mein Leben als Schneekönig. Reinhard Lutz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reinhard Lutz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783905896428
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mich schwer überschätzt hatte, und wie sehr ich mich auch bemühte, meinen Mann konnte ich unmöglich stehen. Sandra schien dies persönlich zu nehmen, unter dem Motto: «Babe, du bist nicht mein Typ», so zog sie sich wütend an und warf mir den Ausdruck «Brocha» (Schlappschwanz/Bürste) an den Kopf, was in Brasilien so ziemlich der schlimmste Ausdruck ist, um einen Mann zu beleidigen. Die pure Demütigung, und das wohl übelste Gerücht, das man über einen verbreiten konnte. Als Sandra verschwand, erkundigte ich mich nochmals vorsichtshalber über die Bezeichnung «Brocha», die man mir dann wie folgt erklärte: Jemand der von Sex redet und wenn es darauf ankommt, nichts zu bieten hat ausser warmer Luft. Die Erklärung machte nichts besser, bestätigte lediglich, dass ich ein Problem hatte. Leider traf meine Befürchtung bald ein. Das Gerücht verbreitete sich, was gewaltig an meinem Ego kratzte. Einige Tage später traf ich auf der Gasse Christine, Sandras beste Kollegin, die mich ebenfalls direkt mit dem unschönen Wort neckte.

      «Lass uns ein Zimmer nehmen, lass uns etwas Spass haben und prüfen, ob das Gerücht deiner Freundin stimmt.»

      Ich pokerte hoch mit diesem unmoralischen Versuch zur Rettung meiner Ehre, doch mit Erfolg. Ausgeschlafen und willens schob ich mit Christine eine Nummer, als wäre ich nach jahrelangem Sexentzug gerade aus der Haft entlassen worden. Den Ruf eines Brochas hatte ich mir abgearbeitet, also meinen Ruf sozusagen wieder sauber gebumst. Wie es der Zufall wollte, trafen wir kurz darauf auf der Strasse Sandra, welche die Situation sofort deuten konnte, wodurch ich eine saftige Ohrfeige erhielt, da ich es mit ihrer Freundin getrieben hatte und es erst noch wagte, danach mit ihr durch die Strassen zu spazieren. Die Wogen glätteten sich jedoch bereits nach wenigen Minuten wieder. Wir mussten alle darüber lachen und machten uns gemeinsam auf, durch die Strassen zu ziehen. Die Strassen Rios, wo gelebt wird, wo man sich weit entfernt von der Schweiz, von Ernsthaftigkeit und grimmigen Gesichtern, sich nicht durch eine Geschichte wie diese den Tag verderben lässt, sondern man Feuer entfacht, dann Wasser darüber schüttet, bis nur noch Dampf in die Höhe steigt und man schnellst möglich wieder gemeinsam lachen kann, am nächsten Tag erwacht, ohne nur einmal noch einen Gedanken an den gestrigen Disput zu verschwenden, denn man lebt den Moment und lässt die Vergangenheit ruhen, wie kurz zurück sie auch liegen mag.

      Ungefähr zwei Tage nach diesem kleinen Macho-Theater kam ein Anruf aus der Schweiz. Es war meine Ex-Frau mit üblen Nachrichten. «Hast du Aktenzeichen XY gesehen?», fragte sie hektisch. «Ich bin in Rio, da schau ich wohl kaum Schweizer Fernsehsender», spottete ich und fragte nach, wer von meinen Bekannten denn darin vorgekommen sei.

      «Du!»

      «Ich?»

      Tatsächlich stellte sich heraus, dass ich durch Aktenzeichen XY gesucht wurde. Man stellte mich in einem Kurzfilm als höchst gefährlichen Gangster dar, der unter anderem wegen Drogenhandel gesucht sei. Das Erste was mich interessierte, war, ob meine Tochter Simone das alles auch gesehen hätte. Gottseidank war dem nicht so. Sie ging kurz vor Beginn der Sendung ins Bett, wo sie um diese Zeit auch hingehörte.

      Ich musste ab sofort noch mehr auf der Hut sein, als bereits zuvor, denn Touristen aus der Schweiz gab es auch hier in Rio. Aktenzeichen XY galt damals als eine der Topsendungen mit einer unheimlich hohen Erfolgsquote, durch sie wurden viele Fälle gelöst. Als wäre das neue, erhöhte Risiko für mich nicht genug, ging mir auch langsam noch die Knete aus. So kontaktierte ich Fritz in Stäfa und bat ihn, mir 50’000 Franken nachzuschicken, denn ab jetzt wurde jede Bewegung teurer, es mussten eventuell Mäuler an den Grenzen gestopft, respektive bestochen werden und wer weiss, was sich noch für Hürden auf meinem Weg ergeben würden.

      Fritz machte sofort den Check klar, der dann auf den Namen meines Nachbarn in Rio laufen sollte. Die Bank war vorinformiert und meldete sich bei Fritz, dass er am Freitag vorbeikommen solle. Leider wurde sein Telefon abgehört, genau wie das seiner Frau, und als Fritz bei seiner Frau den Bankbesuch erwähnte, war die Polizei alarmierte und stellte sich gemütlich am besagten Tag, auf die Lauer. Als Fritz bei der Bank eintraf, wurde er an Ort verhaftet. So auffällig die Schweizer Zivilfahnder zuvor waren, so dumm waren die hiesigen Polizisten. Denn anstatt Fritz zuerst die Sache mit dem Check abwickeln zu lassen, verhafteten sie ihn davor und verpassten so die Chance, meinen Aufenthaltsort zu erfahren. Fritz landete auf einem Stuhl im Verhörraum der Polizei.

      «Wo ist Lutz? Wo sollte das Geld hin?», wurde er unzählige Male gefragt.

      Ausgepresst wie eine Zitrone. Fritz schwieg eisern. Auch über das guter Cop – böser Cop Spiel konnte er lediglich lachen.

      Meine Situation in Brasilien war alles andere als rosig. Mein portugiesisch war damals noch mager, in der einen Hosentasche herrschte bald Leere und in der anderen steckte ein schlecht gemachter Pass. Mit Sandra hatte ich unterdessen definitiv den Kontakt abgebrochen. Wie sehr sie mir auch gefiel, von meiner wahren Identität als Lutz liess ich sie nichts wissen. Sie hielt mich für Hogerforst und als den sollte sie mich auch in Erinnerung behalten, genau wie Christine auch.

      In dieser Zeit erhielt ich einen Anruf aus der Schweiz. Werni, ein treuer Kumpel, wurde gerade aus der Untersuchungshaft entlassen und versprach mir, zur meiner Unterstützung nach Rio zu kommen. Werni war einst mein Mitarbeiter im Piccolo Giardino, wo er für mich als Koch arbeitete und sich mit der Zeit immer mehr zu einem guten Freund entwickelte. Als er bei mir ankam, waren meine Probleme zwar noch da, doch fiel mir alles leichter, denn ich hatte nun einen Weggefährten, der mir auf meiner weiteren Flucht zur Seite stehen würde.

       Nazi Bruno und die argentinischen Casinos

      Während der Zeit mit Werni traf ich auf einen Mann namens Bruno Heinzl, den ich bereits lange Zeit zuvor kennengelernt hatte. Bruno war eine seltsame Gestalt, zudem schien er irgendwie immer noch zwischen 1939 und 1945 zu leben, wenn Sie wissen, was ich meine. Einst als Kampfpilot im zweiten Weltkrieg, war er heute immer noch ein überzeugter Nazi, wie er es damals hoch oben in den Lüften war. Bruno kam mir gerade recht, denn es galt nun endlich mein Geldproblem zu lösen und dazu passte, was er in seiner Jackentasche verstaut hielt.

      Um meine Hosentasche vor der Leere zu bewahren, griff ich zu einer Methode, über die nun viele gleich schmunzeln werden und zwar auf die des Glückspiels. Denn im Gefängnis Saxerriet hat mir ein 72-jähriger Greis Jahre zuvor ein sensationelles Roulette System beigebracht, das mich nun vor dem Ruin retten sollte. Der alte Mann arbeitete im Saxerriet in einem Betrieb, wo Schlafsäcke repariert wurden. Er war sehr verschlossen und eigentlich nur darin auffällig, dass seine Frau ihn regelmässig mit einem Rolls Royce besuchen kam. Eines Tages kam ein Aufseher in den Betrieb, wo der Greis arbeitete und fragte nach, wo denn die anderen drei Insassen seien, die ebenfalls Schlafsäcke hätten reparieren müssen. Ohne gross nachzudenken antwortete der alte Mann.

      «Die schlafen dahinten.»

      Als der Aufseher nach einem Zusammenschiss für die drei «Schlafsäcke» den Raum verliess, waren die so aufgebracht, dass sie den alten Mann verprügeln wollten. Zufällig kam ich da gerade dazu und konnte den Mann von den Prügeln seines Lebens bewahren. Nach der Rettung versprach mir der alte Mann, mir ein Geschenk fürs Leben mitzugeben. Er lud mich in seine Zelle ein, deren Wände komplett mit Permanenzen verhängt waren. Permanenzen sind offizielle Zahlen, die in verschiedenen Casinos bereits gespielt wurden. Der alte Mann hatte also ein komplettes Roulette System erlernt, das er mir beizubringen begann. Anfänglich war es für mich nur ein Zeitvertreib, denn meine Skepsis demgegenüber war gross. Nach meiner Entlassung nahm ich bei der Pro-Kredit Bank einen Privatkredit von fünfzehntausend Franken auf. Damit erwarb ich einen Fiat 124 sowie einen billigen Anzug. Mit dieser Ausstattung begab ich mich jeden Tag nach der Arbeit ins Kasino in Konstanz, dieser Zeit gab es bei uns solche Zockerpaläste zu noch nicht. Das Roulette-System taugte tatsächlich, auch wenn ich es anfänglich für einen Zufall hielt. Nach kurzer Zeit hatte ich meinen gesamten Kredit vorzeitig zurückbezahlt und mir erst noch eine Kawasaki geleistet. Das System funktionierte lange, bis ich eines Tages 8’000 Franken verlor. So begann ich den Fehler zu eruieren, und arbeitete lange an der Verbesserung des Algorithmus, doch bekam ich nie die Möglichkeit, diesen praktisch zu testen. Bis in Rio, wo ich jetzt nur noch dieses Ass im Ärmel hatte. Ein System, das ich verbessert, aber noch nie ausprobiert hatte.

      Ich machte mich also