Mein Leben als Schneekönig. Reinhard Lutz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reinhard Lutz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783905896428
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nur Scheine. Der Automat jedoch, wollte eindeutig nur Münzen. So war ich gezwungen, irgendwo Geld zu wechseln. Als könnte es nicht noch riskanter laufen, kamen mir zwei Polizeibeamte entgegengelaufen. Wahrscheinlich war es ihr routinemässiger Kontrollgang, doch schienen sie mich bereits fixiert zu haben. Ich entschied mich für ein heikles Unterfangen, setzte alles auf eine Karte, lief den Polizisten entgegen und sprach sie an.

      «Guten Abend miteinander. Können Sie mir eventuell behilflich sein und mir Kleingeld wechseln?»

      Zuerst schwiegen die Beamten, dann antwortete einer im typischen Beamtenton.

      «Wir haben leider kein Kleingeld. Versuchen sie es doch am Kiosk gleich hier um die Ecke. Die werden Ihnen bestimmt helfen können.»

      «Vielen Dank», sagte ich freundlich und lief in Richtung Kiosk.

      Hätte ich die zwei Polizisten nicht direkt angesprochen, so bin ich heute noch überzeugt, hätten sie mich kontrolliert und schnell in Handschellen gelegt. Genau in solchen Situationen muss man cool bleiben, und kreativ sein. Unter Kriminellen sagt man ja gerne, Entscheidungen müssen wie ein Schuss aus einer Pistole geschossen, respektive, getroffen werden. Dazu braucht man aber Cojones, Hoden, oder einfach Chuzpe und dies ist nun mal nicht jedermanns Sache. Zugegeben, oft ist auch der Faktor Glück entscheidend, denn ich hätte trotz des direkten Ansprechens ebenso gut kontrolliert werden können, doch minimierte sich dieses Risiko durch mein Handeln massiv.

      Die Fotos hatte ich also nachgeholt, und alles war bereit, um mir eine neue Identität zu verschaffen. Frühmorgens reiste Luciano mit dem Flugzeug ab nach Mailand und bereits am Abend kehrte er wieder zurück. Meine Erwartungen erfüllte der aus Italien organisierte Pass jedoch bei weitem nicht. Erstens war es ein holländischer Pass auf den Namen Hogerforst und zweitens war die Qualität der Fälschung ziemlich miserabel, erst recht mit dem Wissen, dass Italien damals für die besten Fälschungen in ganz Europa bekannt war. Als ich Luciano darauf ansprach, verstand er mich und erklärte, dass der Fälscher gerade nicht vor Ort gewesen sei und da ich ja unter Zeitdruck stehen würde, hätte er sich mit dem begnügen müssen, was dort herumlag. Mir war ziemlich unwohl was meine Flucht betraf, doch blieb mir keine Zeit, um Alternativen auszuarbeiten. Luciano rief einen Bekannten beim italienischen Zoll an und organisierte dort, dass man mich am nächsten Tag durchwinken würde. Immerhin kam ich nun schon mal sicher aus der Schweiz. Was Max betrifft, wurde ihm die ganze Flucht zu heiss, zudem war er ja, wie anfänglich erwähnt, wegen einer ziemlichen Lappalie auf der Flucht, sodass er es wohl für sicherer hielt, hier abzubrechen, zurückzukehren und sich freiwillig zu stellen. Für einige Monate in einer Zelle zu hocken, erschien ihm weniger gefährlich, als mit mir durch die Welt zu ziehen. Vielleicht war es tatsächlich die bessere Lösung, denn wer weiss, wie die nachfolgende Zeit für ihn geendet hätte.

      Zeitungsartikel um die SBG, erstellt von Thomas Illi

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       Weitere Bilder und Zeitungsberichte finden Sie unter www.der-schneekoenig.ch

       Das schöne Brasilien und der miese Pass

       1984

      Als ich mit Luciano in Mailand am Flughafen ankam und meinen Pass am Schalter vorlegte, dachte ich meine Flucht sei vorzeitig zu Ende. Denn die beiden Frauen am Schalter der Varig Airlines schüttelten beim Blick auf meine Papiere den Kopf. Dann verschwanden sie kurz.

      «Siehst du Luciano. Die erkennen, dass es Fälschungen sind. Nicht einmal hier in Italien komme ich damit durch.»

      Luciano antwortete nicht.

      Die beiden Frauen kamen zurück, eine der beiden, die hübschere, erklärte mir dann ihre Bedenken.

      «Herr Hogerforst, sie haben nur ein Hin- und kein Rückflugticket verlangt, das geht so nicht. Wissen Sie, viele reisen nach Rio de Janeiro, verprassen dort ihr Geld und stehen dann mit leeren Taschen da und können sich das Rückflugticket nicht mehr leisten.»

      Mein Schock lies nach, denn ich verstand nun, dass sich die beiden Frauen lediglich Sorgen machten, es wahrscheinlich sogar eine Vorschrift war, mir dies mitzuteilen. So öffnete ich meine kleine Tasche, die ich dabeihatte, worin sich 30’000 Schweizer Franken befanden.

      In Rio kam ich problemlos durch den Zoll. Auch meinen Visaantrag füllte ich aus, ohne jegliche Komplikationen. Erst bei der Passkontrolle winkten mich zwei Bundespolizisten raus.

      «Bitten folgen Sie uns ins Büro», wies man mich an.

      Jetzt ist es vorbei, definitiv, schoss es mir durch den Kopf. Nun hatte ich den Duft der Stadt bereits in der Nase, musste nur noch die Füsse hinein bewegen und Peng, drohte ein vorzeitiges Ende. Während ich den beiden Beamten folgte, suchte ich unauffällig nach einer Fluchtmöglichkeit, doch schien es keine zu geben. Das Risiko war zu hoch, denn in Rio rennt man als Polizist nicht lange hinterher, sondern man lässt gleich Kugeln die Verfolgung aufnehmen. Und die sind schnell, schneller als Du. Im Büro angelangt, wollte ich direkt einen Bestechungsversuch wagen, wurde aber zum Glück vorzeitig unterbrochen.

      «Sie haben einen Fehler beim Ausfüllen des Visaantrages gemacht», erklärte mir der Beamte, wobei mir ein Stein vom Herzen fiel.

      Es war eine simple Korrektur, die ich vornehmen musste, bei der ich erst noch Hilfe bekam. Weder Fingerabdrücke noch unangenehme Fragen musste ich über mich ergehen lassen. Einige Minuten später betrat ich definitiv den Boden von Rio. Die Sonne schien mir ins Gesicht, vor mir ragten die Palmen in den Himmel, mein Puls schlug wieder in einem gesunden Rhythmus, und hätte ich meinen Gefühlszustand beschreiben müssen, so wäre pudelwohl wohl der passende Ausdruck gewesen. Meine erste Destination war eine Wohnung mitten in der Stadt, die ich zusammen mit Freunden ein paar Jahre zuvor gekauft hatte. So konnte die Wohnung jeder von uns, jederzeit benutzen. Zudem war der Nachbar dort ein guter Freund von mir. Ein Schweizer, der bereits über zwanzig Jahre glücklich in Rio lebte. In der Wohnung einquartiert, begann ich das Leben zu geniessen. Kurz nach meiner Ankunft erhielt ich eine Einladung für das Formel 1 Rennen in Rio Jacarepaguá, wo ich mit drei Kollegen die Show geniessen ging. Wir konnten an diesem Tag sogar die Boxengasse besuchen und es gelang mir erst noch, ein Foto zusammen mit Alain Prost und Nelson Piquet zu machen. An das Risiko, irgendwie durch eine Kamera aufzufliegen, weil man mich so überall auf der Welt erkennen konnte, dachte ich nicht.

      Rio wurde bald meine zweite Heimat, so sehr, dass es schon damals mein festes Ziel geworden ist, hier den Rest meines Lebens zu verbringen.

       Schöne Frauen und Aktenzeichen XY

      Kaum in Rio eingelebt, wurde auch mein Herz fündig. Meine neue Flamme hiess Sandra. Sie war Chefärztin im lokalen Spital. Das einzige Hindernis war, sie hatte einen Freund und so konnten wir unsere Beziehung noch nicht wirklich vertiefen. Genau zu dieser Zeit kamen vier Milieubosse aus Österreich und Deutschland nach Rio. Wir trafen uns und machten vier Tage und Nächte lang Party, als gäbe es kein Morgen mehr. Es wurde getrunken, gegessen, getanzt und gefeiert ohne Pause. Zudem besuchten wir das Musikfestival Rock in Rio, wo rund 300’000 Besucher anwesend waren. Ein gewaltiges Festival. Das Highlight für mich war der Auftritt der Band Queen, die Rio wirklich zum Beben brachte.

      Als die Partytage mit den Bossen vorüber und diese gerade wieder abgereist waren, stand Sandra bei mir zu Hause unangemeldet auf der Matte.

      «Mit meinem Freund ist nun definitiv Schluss», schluchzte sie mir am Eingang entgegen, ergänzte es dann noch mit:

      «Kann ich heute bei dir schlafen?»

      Ich war nie der Typ Mann, der einfach Nein sagen konnte, und wie sehr ich Sandra auch mochte und begehrte, so gerne hätte ich ihr jetzt abgesagt, denn die vier Nächte pausenlosen Feierns hatten mir sehr zugesetzt. Doch schwach wie ich als Mann halt war, spielte ich den energievollen Tröster, im Wissen, dass die Formulierung von «bei dir schlafen» eher als «mit