Mein Leben als Schneekönig. Reinhard Lutz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reinhard Lutz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783905896428
Скачать книгу
der es selbst im Gefängnis schaffte, mit den einfachsten Mitteln Geld zu machen. Dies imponierte mir zugegebener Weise nicht nur, sondern es begann mich von Tag zu Tag mehr zu reizen. Eine andere Anekdote ist die; als ein Insasse bereits seit Längerem seine Mandeln operieren lassen sollte, wurde er von Rolf mit einem Auftrag zum Arzt geschickt, wonach er wutentbrannt herauskam und beinahe auf Rolf einschlagen wollte, denn durch den Auftrag kam es soweit, dass er nun durch die vorgespielten Symptome nicht mehr darum herumkam, die Mandeln wirklich raus zu operieren. Solche Geschichten und Blödeleien verkürzten mir das Warten auf meine Entlassung. Nebst solchen Anekdoten gab es natürlich auch viele traurige Geschichten, gerade von Insassen, die durch einen schweren Schicksalsschlag hinter die Mauern kamen, oder die dadurch alles verloren; Haus, Frau, Kinder, Arbeit und wer weiss was noch mehr.

      Als ich etwa drei Monate vor meiner endgültigen Entlassung im Urlaub nach Hause kam, fielen mir diverse Neurungen im Haushalt auf. So stand plötzlich eine mir unbekannte Stereoanlage zu Hause, aber auch neue Möbelstücke schienen die alten abgelöst zu haben. Als ich mich bei meiner Frau erkundigte, kam sie mir mit einer fadenscheinigen Erklärung, von wegen, die Sachen seien von einer Freundin ausgeliehen, da diese momentan in ihrer Wohnung zu wenig Platz hätte. Eine Woche vor meiner Entlassung erhielt ich nochmals einen Ausgang, den ich wie gewohnt mit meiner Frau nutzte. Wir mieteten wie so oft zuvor ein Hotelzimmer in der Nähe, da für den Weg nach Hause zu wenig Zeit gewesen wäre. Nach dem Sex, als ich mich gerade entspannte und mir eine Zigarette anmachte und für einen kurzen Moment zufrieden war, denn das Ende der Haft nahte, mein Kind und meine Frau erwarteten mich in unserem Haus und der Knast würde als dunkles Kapitel in meinem Leben abgeschlossen werden, etwas, über das ich nie wieder nachdenken wollte, geschweige denn wo ich nie wieder landen wollte, kam etwas unerwartetes. Gerade als ich den zweiten Zug Nikotin mit einem verschmitzten Lächeln herunterzog, detonierte eine Bombe in meinem Leben.

      «Nach deiner Haft kannst du nicht nach Hause kommen», sagte meine Frau, zu meinem Erstaunen, denn es passte weder zum Moment noch zu meinem Plan des Lebens.

      «Wieso soll ich nicht nach Hause kommen?», fragte ich irritiert, während ich die noch fast ganze Zigarette im Aschenbecher auf dem Nachtisch neben mir ausdrückte.

      «Ich habe einen neuen Freund.»

      Diese Worte kamen überraschend, sie knallten wie eine Explosion.

      «Wie bitte?», flüsterte ich schon beinahe.

      «Ich wollte es dir nicht während der Haft sagen, aber jetzt wo es dem Ende zu geht.»

      Ich war baff. Aber so etwas von baff. Im Nachhinein tröste ich mich gerne mit dem Gedanken, dass ich wohl wenigstens besser im Bett war als ihr Neuer, doch um ehrlich zu sein, ein Trost war es nicht wirklich. Nicht nur, dass mein Leben und meine Pläne den Bach runter gingen. Nein, augenblicklich erkannte ich auch, wie naiv, wie leichtgläubig, blauäugig, wie dumm ich doch war. Die neue Stereoanlage, die neuen Möbel, die fadenscheinige Erklärung, alles erschien mir nun als Zeichen. Als ein Zeichen, das ich nicht erkannte, einfach nicht deuten und wahrhaben konnte oder eventuell auch nicht wollte? Wer weiss.

      Von diesem Moment an, schwor ich mir, so etwas nie mehr mit mir machen zu lassen. Zudem schwor ich mir auch, nie mehr eine Beziehung die zu Ende war, von Neuem zu beginnen. Eine zweite Chance in einer Beziehung gab es für mich ab sofort und für immer nicht mehr. Ich fühlte mich einfach nur verarscht und stand nun quasi davor auf der Strasse zu landen, denn in einer Woche wurde ich entlassen, doch wohin stand offen, denn mein Heim war nun seins, meine Frau ebenso, mein Kind blieb mir noch für gewisse Zeiten, meine alte Stereoanlage und Möbelstücke lagen wohl irgendwo auf dem Kehricht und mein Herz war gebrochen, von Narben übersäht. Meine neuen Prioritäten tätowierten sich in meine Seele ein, tief gestochen, für die Ewigkeit.

       Meine Entlassung in die Einsamkeit

       1980

      Was ich nach der Haft mache, interessierte weder das Gefängnis noch die Justizbehörde, ganz im Gegensatz zur heutigen Zeit, wo es sich so krass verändert hat, dass der alte Zustand gerade als angenehm empfunden werden könnte, denn heutzutage muss man beinahe schon einen Business Plan fürs Leben vorlegen, um überhaupt entlassen zu werden.

      Da stand ich nun, mit meinem Geld, das ich mir mit Gefängnisarbeit hart erarbeitet hatte. Dieses Geld nun für Hotelzimmer zu verschwenden war keine Option, schon gar nicht auf die Dauer. Ich konnte glücklicherweise zuerst bei einer Nachbarsfamilie unterkommen, in der Gegend wo ich früher aufgewachsen bin, bei netten Menschen, mit denen ich sogar ein besseres Verhältnis hatte, als mit meiner Familie, für die bereits die Bezeichnung als solche nicht mehr gerecht war. Nach einer Weile konnte ich die Wohnung eines Freundes als Nachmieter übernehmen. Die Wohnung war bereits teilmöbliert, sodass ich beim Einzug, seit langem endlich mal wieder meine eigenen vier Wände hatte, aber auch etwas das noch viel wertvoller war, etwas Ruhe. Obschon ich durch die Gefängnisuniversität nun geschult war und so manche Kniffe kannte, wie ich meine Taschen schnell füllen und meinen Lebensstandard verbessern konnte, nahm ich mir klar vor, immer auf der rechten Bahn zu bleiben. Kein Abdriften mehr, keine kriminellen Dinge und kein schnelles Geld. Wie gross die Verführung auch war, ich widerstand ihr tapfer und begann als Maler zu arbeiten. Auf dieser Bahn des ehrlichen, hart arbeitenden Bürgers lernte ich eine neue Frau kennen, mit der ich schnell zusammenkam. Sie hiess Margrit Mathis. Während unserer Beziehung musste ich für einen Monat nach Spanien, wo ich als Allrounder für einen Kollegen an der Renovation eines Hauses arbeitete. Nach meiner Rückkehr wirkte Mägi auf mich verändert, doch fand ich keine Erklärung dafür. Als wir kurz nach meiner Ankunft ins Tessin fuhren und sie mir hinten auf der Harley-Davidson bei einer Geschwindigkeit von etwa 150 Km/h beinahe einschlief, wurde ich skeptischer. Unseren Urlaub, der für eine Woche geplant war, mussten wir nach drei Tagen bereits abbrechen, da Mägi an fürchterlichem Fieber litt und sie sich vor Schmerzen krümmte. Da hat sie mir gebeichtet, dass sie heroinsüchtig geworden sei. Während meiner Abwesenheit in Spanien hatte sie angefangen sich Heroin zu spritzen. Wieso sie es machte, war mir ein Rätsel und auch sie fand keine Worte, mir dies zu erklären. Ich hatte zuvor noch nie mit der Droge zu tun. Heroin war mir lediglich aus TV-Dokumentationen und aus den Zeitungen bekannt. Die Folgen waren mir jedoch klar. Umso mehr weckte es in mir enormes Mitleid. Wie konnte ein so nettes, so unscheinbar junges Mädel sich nur auf so eine selbstzerstörerische, teuflische Droge einlassen? Von da an versuchte ich verzweifelt alles, und ich meine wirklich alles, um Mägi von diesem Teufelszeug wegzubringen. Doch vergebens. Irgendwann blieb mir nur noch die Trennung, wollte ich mit meiner wirkungslosen Hilfe nicht selbst zu Grunde gehen. Hätte ich mich nicht getrennt, wer weiss, eventuell hätte ich mich aus Verzweiflung einst auch noch auf das Zeugs eingelassen und mein Leben ebenso frühzeitig vernichtet wie sie ihres. Nach der Beziehung mit Mägi lernte ich das eine oder andere Mädel kennen, bei keiner entwickelte sich jedoch etwas Ernsthaftes, bis Chrigi in mein Leben trat. Eine wunderschöne Frau, die gerade ihre Lehre im KV absolvierte, aber erst achtzehn Jahre jung war. Meine Ex-Frau, man mag es kaum glauben, startete gerade in dieser Zeit einen erneuten Versuch, ob ich es nicht nochmal mit ihr versuchen wolle, scheinbar war ihr Neuer weg, ob die Stereoanlage und die Möbel es auch waren, ich kann mich nicht erinnern. Diesmal blieb ich allerdings standhaft, folgte meinen Prioritäten, meinem Seelen-Tattoo und wies sie ab. Beinahe jämmerlich wirkte dann das Argument, als sie begann davon zu sprechen, ich solle meiner Tochter zu liebe zurückkehren, denn sie würde mich doch so sehr vermissen. Doch genau auch meiner Tochter zu liebe, hätte ich erst recht keinen dritten Versuch gestartet. Das Kind hätte doch die Welt gar nicht mehr verstanden, würde ich zu Hause andauernd wieder ein- und ausziehen, würde mal ich, mal irgendein Typ mit Stereoanlage und Möbel dort hausen, je nachdem was Madame sich gerade wieder vornahm. Ich war keine Marionette – jedenfalls jetzt keine mehr. Und eines war ebenso klar: nie mehr, aber niemals, würde ich je wieder eine sein!

       Liebesglück, Geldnot und goldiger Hasch

       1980–1981

      Gerade wieder dem Glück und der Zufriedenheit nahe, kam bereits der nächste Hammer und dies einmal mehr von der