Trauma. Lutz Wittmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lutz Wittmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783170336476
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zum weiteren Nachdenken

      • Welche bewussten und unbewussten motivationalen Tendenzen könnten sich hinter dem von Van der Kolk (2007) beschriebenen im psychiatriegeschichtlichen Verlauf schwankenden Interesse am Traumakonzept annehmen lassen?

      • Welche Faktoren tragen zur Marginalisierung des psychoanalytischen Beitrags zur Psychotraumatologie bei?

      • Worin könnte die aktuelle Bedeutung des psychoanalytischen Beitrags zur Psychotraumatologie liegen?

      2 Traumatheorien

      Einführung

      In Kapitel 2 soll zunächst die zitierte Mahnung Küchenhoffs (2004), die Perspektive von Nachbardisziplinen zu berücksichtigen, ernstgenommen und ein Blick auf unterschiedliche Traumatheorien geworfen werden. Dem folgt eine Berichterstattung über das psychoanalytische Ringen um ein Traumakonzept, welche weder die manchmal geradezu humoristisch anmutenden begrifflichen Exzesse noch die außerordentlich fundierten, tief ins Wesen der traumatischen Erfahrungen reichenden Beiträge vernachlässigen möchte.

      Lernziele

      • Verständnis der Begrenztheit von am objektiven Ereignis ansetzenden Traumadefinitionen.

      • Übersicht über mehre kognitiv-behaviorale Traumakonzepte.

      • Kenntnis zentraler Merkmale psychodynamischer Traumatheorien.

      • Vergleichende Betrachtung der unterschiedlichen Theoriegruppen.

      In bewährter psychiatrischer Praktikabilität reduziert das DSM-5 (APA, 2013) das Trauma auf das objektivierbare traumatische Ereignis. Beispielhaft angeführt werden dafür kriegerische Ereignisse und Kriegsgefangenschaft, körperliche Angriffe, sexuelle Gewalt, Entführung, terroristische Anschläge, Folter, Katastrophen und schwere Verkehrsunfälle sowie plötzliche, katastrophale medizinische Vorfälle. Unterschieden werden zwei Arten der direkten Exposition, nämlich eigene Betroffenheit (bspw. selbst Opfer eines Gewaltverbrechens werden) und das Erleben eines solchen Ereignisses als Zeuge. Auf Seiten der indirekten Traumaexposition werden ebenfalls zwei Typen unterschieden. Einerseits Ereignisse wie der Erhalt einer Nachricht, dass eine nahestehende Person ein traumatisches Ereignis erlitten oder plötzlich und unerwartet das Leben verloren hat. Als zweite Variante wurde neu ins DSM-5 die wiederholte oder extreme Exposition zu aversiven Details traumatischer Ereignisse (z. B. bei Einsatzkräften, die Leichenteile einsammeln müssen) aufgenommen, wobei – sofern in professionellem Kontext erfolgt – auch die von elektronischen Medien vermittelte Exposition Berücksichtigung findet. Eine weitere Änderung gegenüber der Vorgängerversion DSM-IV zeigt sich im Wegfall des subjektiven Stressorkriteriums A2. Hiernach musste die unmittelbare Reaktion auf das Ereignis durch intensive Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen charakterisiert sein.

      Aktuelle Theorien außerhalb des psychoanalytischen Bereichs konzipieren die posttraumatische Belastungsstörung typischerweise als Gedächtnisstörung. Im Folgenden seien drei häufig zitierte Theorien angeführt. Die gewählte stark raffende Darstellung dient primär der Erarbeitung eines Kontrasts, um anschließend Spezifika des psychoanalytischen Beitrags ausleuchten zu können. Eine ausführlichere Übersicht findet sich bei Nijdam und Wittmann (2015).

      Im Rahmen ihrer Theorie der emotionalen Verarbeitung bauen Foa et al. (2007) auf Vorarbeiten früherer Modelle (Lang, 1979), welche die Wirkung assoziativer Gedächtnisnetzwerke für die PTBS-Symptome verantwortlich machen, auf. Unterschiedliche Netzwerkknoten repräsentieren hier Sinneseindrücke der traumatischen Situation, eigene emotionale und physiologische Reaktionen auf das Ereignis und dessen Bedeutung (z. B. Ausmaß der durch das Ereignis implizierten Bedrohung). Aufgrund der assoziativen Natur dieser Netzwerke reicht die Konfrontation mit einem beliebigen im Netzwerk repräsentierten Aspekt des Traumas, um alle drei Informationsarten gleichzeitig zu aktivieren, womit das Modell das posttraumatische Wiedererleben erklärt. Foa et al. (2007) ergänzen die der posttraumatischen Belastungsstörung zugrunde gelegten Furchtnetzwerke zusätzlich um kognitive Elemente wie Annahmen über das Bedrohungspotenzial einer Umgebung, vorbestehende Überzeugungen und negative Reaktionsbewertungen. So stellen etwa rigide positive Überzeugungen, die von einem traumatischen Ereignis zerstört oder rigide negative Überzeugungen, die bestätigt werden, einen Risikofaktor für die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung dar. Die scheinbare Bestätigung einer geringen Selbstwirksamkeitserwartung durch ein traumatisches Ereignis kann dann das Gefühl, in einer gefährlichen Welt nicht zurecht zu kommen, verstärken.

      Ein Modell, welches nicht auf Netzwerkvorstellungen vom Gedächtnis, sondern auf zwei unterschiedliche Repräsentationssysteme rekurriert, ist die duale Repräsentationstheorie (Brewin, Gregory, Lipton & Burgess, 2010). Ein mit dem Hippocampus assoziiertes kontextualisiertes Gedächtnissystem (K-Gedächtnis; contextual memory) speichert, kontrolliert und verbalisiert abrufbare Informationen, welche während des Ereignisses bewusst wahrgenommen wurden. Diese werden einschließlich des zeitlichen Kontexts des Ereignisses ins autobiografische Wissen integriert. Die Erinnerungsspuren sind dabei mit primären peritraumatischen und sekundären, aus nachträglichen Bewertungen resultierenden Emotionen verbunden. Auf der anderen Seite wird Sinnesinformation, welche im traumatischen Ereignis aufgrund von Aufmerksamkeitseinengung oder stressbedingter hippocampaler Dysfunktion nicht im K-Gedächtnis repräsentiert werden konnte, in einem mit sensorischen und interozeptiven Arealen assoziierten S-Gedächtnis (sensation-based memory) abgelegt. Die nicht verbale Encodierung dieser Information erschwert ihre Kommunikation und Integration in den autobiografischen Kontext. Ohne zeitliche Kontextualisierung resultiert ihre Aktivierung durch sinnesspezifische Hinweisreize in posttraumatischem Wiedererleben mit der dissoziativen Qualität einer Hier-und-Jetzt-Erfahrung (Flashback) und den dazugehörigen primären Emotionen. Der evolutionäre Sinn der Entwicklung eines solchen Systems besteht darin, auch unter traumatischen Bedingungen Informationen, welche für das zukünftige Überleben wichtig sind, abspeichern zu können. Die spezifischen Symptome des Wiedererlebens, der Vermeidung und der Übererregung werden nun aus einer starken Repräsentation der traumatischen Sinnesinformation im S-Gedächtnis ohne Integration mit einer korrespondierenden Repräsentation im K-Gedächtnis erklärt.

      Als drittes Beispiel sei das kognitive Modell der posttraumatischen Belastungsstörung von Ehlers und Clark (2000) angeführt. Die pathologische Verarbeitung der traumatischen Erfahrung ist daran zu erkennen, dass sie in einer fortdauernden