Trauma. Lutz Wittmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lutz Wittmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783170336476
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ihr Instrumentarium auf die subjektive Erlebensseite. Nach Nijdam und Wittmann (2015) ist es in der klinischen Situation ratsam, sich nicht von der überwältigend traumatischen Natur eines Ereignisses verführen zu lassen. Stattdessen bleibt es notwendig, mit PatientInnen zusammen eine detaillierte Analyse der Bedeutung des Ereignisses zu entwickeln. Nehmen wir das Ereignis einer Vergewaltigung: für eine Person mag das Unerträgliche der Erfahrung im eigentlichen Akt der aggressiv-sexuellen Überwältigung und der dabei empfundenen Hilflosigkeit, Unterwerfung und Demütigung oder Schmerzen liegen. Für eine andere Person mag die unterlassene Hilfe eines zufälligen Zeugen oder gar einer nahestehenden Person im Zentrum stehen. Die traumatisierende Eigenschaft erhält die Erfahrung also weniger aus dem Ereignis selbst als aus seiner Beziehung zu früheren Lebenserfahrungen, aktuellen Lebensthemen, oder persönlichen Werten. In diesem Sinne spricht Mitscherlich (1954, S. 565) von der Notwendigkeit, »das Trauma seiner falschen Objektivität zu entkleiden«. Der Verzicht auf die Inklusion normativer oder allgemein belastender Lebensereignisse erscheint dennoch dringend ratsam, wenn das psychoanalytische Traumakonzept nicht in Beliebigkeit und Bedeutungslosigkeit münden soll. Wie angeführt (Fonagy & Bateman, 2008) ergibt sich so die Möglichkeit, die Interaktion traumatischer Ereignisse mit sonstigen widrigen Lebensumständen und Erfahrungen zu betrachten und in ein traumatisches Prozessmodell zu integrieren.

      Aus welcher Eigenschaft beziehen traumatische Ereignisse ihr besonderes pathogenes Potenzial? Bereits Lorenzer (1966, S. 490) betrachtete »eine strukturelle – und d. h. bleibende – Veränderung des psychischen Apparates […] unter dem Druck des Traumas« als entscheidendes Kriterium. Als von Traumatisierungen betroffene strukturelle Dimensionen werden unter anderem Abwehrorganisation und Objektbeziehungsrepräsentanzen angeführt. In Ergänzung des für die akute traumatische Phase beschriebenen Zusammenbruchs der Abwehr nehmen zahlreiche AutorInnen spezifische – typischerweise unreife – Abwehrmechanismen als kennzeichnend für Traumafolgestörungen an (z. B. Fernando, 2012; Grubrich-Simitis, 1979; Lorenzer, 1965). Ein weiterer zentraler Ansatzpunkt der strukturzersetzenden Wirkung traumatischer Ereignisse sind aus psychoanalytischer Perspektive die Niederschläge insbesondere früher interaktioneller Erfahrungen. Unter diesen Erfahrungen bilden sich unser Selbstkonzept, unsere inneren Arbeitsmodelle in Bezug auf andere Menschen und das, was wir von ihnen zu erwarten haben, sowie resultierende Reaktionstendenzen heraus. Naturgemäß kommt der Interaktionen mit unseren zentralen Bezugspersonen eine besondere Rolle in diesem Prozess der Prägung unserer Persönlichkeit und der psychischen Strukturen, auf denen diese beruht, zu. Zahlreiche TheoretikerInnen haben diese Verhältnisse mit spezifischen Modellen abzubilden versucht. So spricht Kernberg (z. B. Clarkin, Yeomans & Kernberg, 2006) von inneren Objektbeziehungen, in welchen er die Bausteine unserer psychologischen Struktur erkennt. Diese bestehen aus einer Selbst- und einer Objektrepräsentation sowie einem beide verbindenden Affekt. Stern (1985) formuliert das Konzept generalisierter Interaktionsrepräsentanzen, Fonagy (2009) erkennt den zentralen Wirkort der Interaktion mit den Pflegepersonen im Bindungssystem und resultierenden inneren Arbeitsmodellen. Ohne die z. T. erheblichen Unterschiede zwischen solchen Ansätzen egalisieren zu wollen, können drei Gemeinsamkeiten festgehalten werden. Dies sind die zentrale Rolle insb. früher Interaktionserfahrungen, ihre Abbildung in überdauernden psychischen Strukturen, und deren organisierende Wirkung auf zukünftiges Erleben und daraus resultierendes Verhalten.

      Im Einfluss traumatischer Erfahrungen auf Objektbeziehungsrepräsentanzen ist natürlich die Beeinträchtigung einer bereits entwickelten Struktur im hier betrachteten Fall des Erwachsenentraumas von den Folgen traumatischer Ereignisse auf eine sich in der Entwicklung befindende Struktur zu unterscheiden. Bohleber (2000, S. 821) fasst Beiträge von Laub (z. B. Laub & Auerhahn, 1991) zusammen:

      »Die kommunikative Dyade zwischen dem Selbst und seinen guten inneren Objekten bricht auseinander, was absolute innere Einsamkeit und äußerste Trostlosigkeit zur Folge hat. Die traumatische Realität zerstört den empathischen Schutzschild, den das verinnerlichte Primärobjekt bildet, und destruiert das Vertrauen auf die kontinuierliche Präsenz guter Objekte und die Erwartbarkeit mitmenschlicher Empathie, nämlich daß andere die grundlegenden Bedürfnisse anerkennen und auf sie eingehen.«

      Laub (2000, S. 865) verwendet für diesen »Zustand innerer Objektlosigkeit« die Metapher einer »Erfahrung des leeren Kreises«. Küchenhoff (2004, S. 825) zieht die Bedeutung triangulierender Erfahrungen für die Entwicklung der psychischen Struktur als Verständnishilfe heran: »Im Trauma wird die […] trianguläre Struktur von Selbst, Objekt und Anderem zerstört. Der Andere erlaubt dem Selbst nicht mehr, die Differenzerfahrung zwischen Objekt und Anderem überhaupt erstmals zu machen oder sich immer wieder an ihr abzuarbeiten«. Unter Anwendung der Objektbeziehungstheorie konzeptualisieren Lorke und Ehlert (1988), wie spezifische Effekte traumatischer Ereignisse wie die Herausbildung von Täterintrojekten oder das sogenannte Stockholmsyndrom verstanden werden können. Der äußere Angriff durch den/die TäterIn wird demnach im Zuge des beschriebenen regressiven Sogs von einer inneren Dynamik der Reaktivierung infantiler Ängste komplettiert. Es kommt zu einem vollständigen Abbruch aller narzisstischer Besetzungszufuhr von außen wie von innen. »Die traumatische Regression ist auf diese Weise unauflöslich mit der Suche nach einem Hilfsich verbunden, an das die vom Ich unter dem Druck der eigenen Ohnmacht aufgegebenen, aber überlebenswichtigen Ichfunktionen delegiert werden können« (S. 508). Das tragische an der traumatischen Situation ist nun, dass einzig der/die TäterIn als mächtiges Gegenüber zur Verfügung steht:

      »Die Delegation der Ichfunktionen, das Liebesbedürfnis und die Verschmelzungswünsche, die das Verfolgungstrauma im Opfer induziert, richten sich auf niemand anderen als auf den Täter. Er, der ja de facto über Leben oder Sterben, über Wert oder Unwert des Opfers entscheidet, wird vom Opfer erlebt, als sei er das Primärobjekt. Der Täter gerät also in die Position der frühesten Elternimagines, und er erhält damit deren Allmacht und deren narzißtische Qualitäten; er wird zum Garanten des psychischen Überlebens des Opfers« (S. 510, Hervorhebung im Original).

      Es kommt nun zu einer Introjektion eines angenommenen (phantasmatischen) Verbots des Täters/der Täterin, durch dessen Überschreitung die Liebe des Primärobjektes verloren wurde, zusammen mit dem anscheinend aus diesem Übertritt resultierenden Fremdbild des Täters/der Täterin (Selbst als böse) ins Selbstbild.