Trauma. Lutz Wittmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lutz Wittmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783170336476
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id="ulink_e5e694c2-6f8b-54b3-931e-a66107e2bccf">Eine noch detailliertere metapsychologische Analyse des introjektiven Geschehens führt Rosenberg (2010) durch6. Er geht dabei von der dargestellten Annahme aus, dass die persönlichkeitskonstituierenden Repräsentationen Selbst-, Objekt- und Affektaspekte verbinden. Das Ich introjiziert im traumatischen Erleben also nicht nur ein Bild des traumatisierenden Objekts, sondern auch Anteile des abgespaltenen Selbsterlebens und die »die Interaktion und Handlungsintentionen begleitenden Affekte, Kognitionen, Phantasien, sensorischen Wahrnehmungseindrücke sowie kontextuelle Faktoren der Umgebung« (S. 25). Traumatische Introjekte zeichnen sich gemäß Rosenberg (2010) also nicht durch einseitige Selbst- oder Objektzugehörigkeit aus (bspw. in Form alleiniger Täterintrojekte), sondern unter anderem durch die folgenden Eigenschaften:

      • Introjekte stellen eine Repräsentationsform dar, welche durch Globalität, Unvollständigkeit, Rigidität und diktatorischen Machtanspruch gekennzeichnet ist. Dies impliziert, dass der Austausch zwischen Ich und Introjekt nicht wie bei reiferen Repräsentationen vom Ich kontrolliert (Schaffung eines Denkraums), sondern vom Introjekt dominiert wird (»agiertes Verhalten ersetzt das geistige Probehandeln« (S. 70).

      • Es erfolgt keine Ankoppelung an die vorbestehende Repräsentanzenstruktur durch reife sekundäre Identifikation, so dass die Introjekte »dem Ich als fremdartige innere Objekte gegenüber« treten (S. 23).

      Einerseits reflektieren die Introjekte also intrusiv gegen die Ich-Struktur wirkende innere Objekte, die umso konkretistischer als Stimmen oder sogar innere Gestalten erlebt werden, je unreifer das Strukturniveau der PatientInnen entwickelt ist. Anderseits – insbesondere bei frühen Typ-II-Traumata – entwickeln sie sich zu charakterologisch verankerten Persönlichkeitsstrukturen mit einhergehendem Risiko der späteren Entwicklung einer Persönlichkeitsstörung. Drittens bilden sie dissoziierte Wahrnehmungseindrücke aus traumatischen Situationserfahrungen ab, die durch entsprechende Hinweisreize aus dem Zustand der Verleugnung und Abspaltung gehoben werden können.

      Mittels des konservierenden Introjekts kann das Ich die innere Beziehung zum benötigten Objekt aufrechterhalten. Gleichzeitig macht es sich zu dessen Komplizen, weil es hiermit die eigene Entwertung unterschreibt. In diesem Zusammenhang ist das Agieren zu verstehen, welches häufig genug, dem Wiederholungszwang folgend, der Befriedigung un- oder vorbewusster Strafbedürfnisse untersteht.

      Rosenberg vertritt nun die Ansicht, dass den Affekten dabei die Rolle der Energetisierung der Introjektbesetzungen zukommt. Hat beispielsweise ein Gewaltopfer die Schuld des Täters/der Täterin bzw. dessen/ deren Schuldzuschreibungen an das Opfer introjiziert, kommt es aus Gründen der Bewältigung der damit einhergehenden Konflikte zu sekundären Identifikationen mit diesen Introjekten: Ein mögliches Erleben der Schuld des Täters/der Täterin verkehrt sich nun in das Erleben eigener Schuld für die traumatische Erfahrung. Diese Schuldübernahme bietet eine sinnstiftende Erklärung für das Handeln des Täters/der Täterin, seine/ihre Rehabilitierung die Chance auf Bindungserhalt zum äußeren und inneren Objekt. Konfliktspannungen zwischen dem die Identifikation auslösenden Ich und den Anteilen des Überich, welche die Introjekte beherbergen einerseits, und den vom Trauma nicht betroffenen Überichanteilen anderseits münden dann in einen Schuldteufelskreis, der sich aus den Komponenten von Schuldgefühl, Strafbedürfnis und Reinszenierung zusammensetzt.

      Im Zuge der unreifen sekundären Identifikationen wird das Introjekt als etwas zum Selbst zugehöriges erlebt, was eine illusionäre Teilhabe an der introjizierten Objektmacht ermöglicht. Rosenberger legt dar, wie die Lebensverläufe vieler Traumatisierter davon zeugen, dass solche Zustände in späteren Beziehungen per Wiederholungen durch objektgerichtetes Agieren oder durch gegen das Selbst gerichtetes masochistisches und selbstverletzendes Verhalten Ausdruck finden, letztendlich aber eine Bestätigung der eigenen Existenz, narzisstischen Gewinn im Beweis von Überlebensstärke, und ein Stück Autonomie und Aktivität ermöglichen.

      Diesen Abschnitt zur Bedeutung von Persönlichkeitsstrukturen für das Verständnis des traumatischen Prozesses zusammenfassend sei noch einmal Bohleber (2000, S. 828) angeführt: »Objektbeziehungstheoretische Modellbildungen stellen mit dem Zusammenbruch der inneren tragenden Objektbeziehungen die gänzliche Verlassenheit und die Unterbrechung jeglicher affektiver Bindung und innerer Kommunikation in den Mittelpunkt […]«. Seine Schlussfolgerung, dass dies »[…] zur Folge hat, daß das Traumanarrativ nicht integriert werden kann« (ebd.), leitet zum nächsten Abschnitt über.

      Aus lacanianischer Perspektive formulieren Ruettner, Siegel und Götzmann (2015, S. 718) zum psychischen Register des Realen: »Es ist das Unmögliche; das, was nicht imaginiert oder in die symbolische Ordnung integriert werden kann. Diese mangelnde Integrierbarkeit ist das traumatische Element des Realen«. Damit ist mit der mangelnden Integration ein definierendes Charakteristikum der Repräsentation des Traumas benannt. Küchenhoff (2004, S. 832–833) betont die Bedeutung der triangulären Struktur von Selbst, Objekt und Anderem für die symbolisierende Funktion:

      »Diese Differenz ist eine, die herausfordert, die Intentionalität begründet, Neugier oder Interesse. Sie begründet insbesondere die Sprache. Differenzerfahrung, darin sind sich die Analytiker, die mit der Entstehung des Symbolischen oder des Denkens befaßt gewesen sind, einig, ist die Bedingung der Möglichkeit von Repräsentation. Im Trauma geht der Andere verloren, damit auch die Differenz, und dieser Verlust des Anderen führt zu der Sprachlosigkeit, aus der die traumatisierten Menschen herauszuführen die Aufgabe jeder Psychotherapie ist und bleibt«.

      Wenn der Täter/die Täterin das Selbst »zu einer verfügbaren Sache degradiert (desobjektalisiert), zerstört er im Selbst den durch die Differenzerfahrung aufgespannten Möglichkeits- oder Phantasieraum« (S. 825). Aus Perspektive der französischen Mentalisierungsschule schreibt Varvin (2000, S. 902):

      »Diesem Verständnis zufolge ist das Trauma gerade aufgrund dieser Beschädigung der kulturellen und sozialen Verknüpfung, die durch die bezeichnend-bedeutende Vermittlung hergestellt wird, pathologisch; es handelt sich um eine Beschädigung, durch die der Umwandlungsprozeß von körperlicher Erregung in psychischen Inhalt sowie die weitere Reorganisierung der Ebenen psychischer Repräsentation abgekürzt ist«.

      In einem späteren Aufsatz zum Zusammenhang von Trauma und Migrationserfahrung (Varvin, 2016, S. 838-839) schreibt er weiter:

      »In der Regel entzieht sich eine extreme Traumatisierung (etwa durch Vergewaltigung oder Folter) der Sinnverarbeitung, während sie geschieht; die Situation lässt es nicht zu, dass sich eine innerpsychische dritte Position ausbildet, in der die Person zu dem, was geschieht und geschehen ist, eine reflektierende Distanz herzustellen vermag. Die für die Sinngebung so essenzielle innere Bezeugungsfunktion wird in solchen Extremsituationen (wie Folter und andere schwere Misshandlung) ausgehebelt, so dass das Individuum außerstande ist, die ihm zugefügten Grausamkeiten auch auf einer symbolischen Ebene wahrzunehmen. Wenn zudem die externale Bezeugungsfunktion ausfällt, die ein Containment der Qualen ermöglicht hätte, ist die traumatisierte Person auf sich selbst zurückgeworfen. Das führt oft dazu, dass die traumatisierenden Erfahrungen in der Psyche als fragmentierte Teilstücke verbleiben, die sich nur in körperlichem Schmerz, Dissoziationszuständen, Alpträumen und Beziehungsstörungen äußern können. Die traumatisierte Psyche versucht dann, Erfahrungen nach unbewussten Schemata oder Szenarien zu organisieren, die in Beziehung zu anderen und zur eigenen Person in verschiedenen mehr oder weniger verdeckten Formen zum Ausdruck kommen«.

      In Folge der Beschädigung der inneren Objektrepräsentanz beschreibt Laub (2000, S. 862): »Der Erfahrung der Überlebenden fehlen Struktur und Repräsentation – die Fähigkeit, sich und anderen die eigene Geschichte zu erzählen«.

      Aus semiotischer Perspektive wendet Chinen (1987) in einem bemerkenswerten Aufsatz ein Konzept symbolischer Modi in Objektbeziehungen auf die Repräsentationen traumatischer Ereignisse sowie Selbst- und Objektrepräsentationen bei zwei traumatisierten Patienten an. Für das Verhältnis von symbolischer Repräsentation (Symbol) und bezeichnetem Objekt oder Erfahrung (Referent) unterscheidet er vier Modi. Im Präsentationsmodus werden Symbol und Referent