Diese Schule nun, die sich nach Plato nannte, lässt sich auf den allerdumpfsten Aberglauben ein und geht zeitweise förmlich in Magie und Theurgie auf. In jener grossen Stufenreihe aus Gott emanierter Wesen wirkt nämlich Geist auf Geist und Geist auf Natur in magischer Weise, und den Schlüssel zu dieser Magie besitzt der Eingeweihte; was man von jenen halbmythischen Thaumaturgen, von einem Pythagoras oder Apollonius in dieser Beziehung glaubte, das traute man auch sich selber fortwährend zu. Die Neuplatoniker leben als Rhetoren, Sophisten, Erzieher, Sekretäre wie die Philosophen der frühern Kaiserzeit; mitten aus dieser Tätigkeit aber erheben sie sich bisweilen auf einmal zur Beschwörung von Göttern, Dämonen und Seelen, zu Wunderkuren und geheimnisvollem Spuk der verschiedensten Arten.
Bei dem Edelsten der Schule, dem Ägypter Plotinus (205–270), tritt diese Seite nicht besonders hervor422; seine sittliche Reinheit und Kasteiung, wozu er auch andere, selbst viele vornehme Römer zu begeistern weiss, gewährt ihm wie von selbst die Gabe der Ahnung und Weissagung; zur Beschwörung schreitet er, wie es scheint, nur gezwungen. Gleichwohl behielt er ein übermenschliches Ansehen, und solange es Heiden gab, »erkalteten seine Altäre nicht«. Bei seinem Schüler; dem Phönizier Porphyrius (geb. 233), bemerkt man sogar eine direkte Abneigung gegen die Magie, ja er zweifelt an der ganzen Dämonologie seiner Schule und zieht sich dadurch deren schweres Misstrauen zu. Auf seine Einwürfe erfolgte eine Antwort, welche unter dem unrichtigen Titel »Von den Mysterien der Ägypter« bekannt ist und vielleicht ebenfalls mit Unrecht dem Coelesyrier Iamblichus zugeschrieben wird, der unter Constantin als das Haupt der Schule zu betrachten war423. Man kennt aus dem alten Indien und aus dem germanischen Mittelalter die oft grossartige Mystik eines mehr oder weniger bewussten Pantheismus; hier dagegen handelt es sich um eine Mystik des Polytheismus, dessen Götter freilich zu Dämonen verschiedenen Stufenranges ohne bestimmte Persönlichkeit abgeblasst sind. Wie diese Geister zu verehren, zu rufen, zu unterscheiden seien, wie das ganze Leben des gottgeliebten Weisen in derartigem Kultus aufgehen müsse, das ist in Kürze der Inhalt des traurigen Machwerkes, und nur allzusehr neigt dann die Schule des vierten Jahrhunderts überhaupt nach dieser Entartung hin; ja, sie erkennt in der Theurgie eine wesentliche Waffe zum Kampf gegen das Christentum. Von da an war ihre sonstige platonische Doktrin und Spekulation blosse Zutat.
Ein flüchtiger Blick auf dieses System der Dämonenbannung ist hier nicht am unrechten Orte. Die Möglichkeit derselben beruht darauf, dass die Seele des Bannenden sich in einen absolut leidenlosen Zustand versetze und eine innige bis zur Identität gesteigerte Einheit mit dem betreffenden Geisterwesen eingehe; das letztere wird nicht sowohl durch Bann oder Zwang herabgerufen, als vielmehr die Seele hebt sich zu ihm empor. Selbst was von äusserlichen Gegenständen bei der Bannung gebraucht wird, ist hier nicht blosses Symbol, sondern es hat eine mystische Verwandtschaft mit dem betreffenden Göttlichen. Von dem »Einen«, dem sich selbst genügenden obersten Gott, ist zwar auch die Rede, aber sich mit ihm zu vereinigen, ist die Sache sehr weniger, und der einzelne gelangt dazu ohnedies nur, nachdem er die Dämonen verehrt und sich mit ihnen vereinigt hat. Die zum Teil aus jüdischer Theologie entlehnten Rangstufen der geistigen Wesen vom höchsten Gott abwärts sind: Götter, Erzengel, Engel, Dämonen, Herrschaften, Heroen, Gebieter und Seelen424; die letztern sind das ganz Individuelle, und von ihnen aufwärts nähern sich die Geister immer mehr der Einheit oder Wesenheit. Die sämtlichen acht Stufen werden in einer grossen Tabelle klassifiziert nach Form, Art, Veränderlichkeit, Auftreten, Schönheit, Schnelligkeit, Grösse, Lichtglanz usw. Wesentlicher sind ihre Verrichtungen und Gaben in Beziehung auf den Menschen. Die Götter reinigen die Seelen vollkommen und schenken Gesundheit, Tugend, Aufrichtigkeit, langes Leben; die Erzengel ebenso, nur nicht so genügend und dauernd; die Engel lösen die Seelen von den Banden der Materie und reichen ähnliche Gaben, nur mehr in speziellem Sinn; die Dämonen ziehen die Seelen zu den natürlichen Dingen abwärts, belästigen den Leib, senden Krankheiten und Strafen usw.; die Heroen führen die Seelen zur Beschäftigung mit den sinnlich wahrnehmbaren Dingen und regen sie zu grossen und edeln Taten an, verhalten sich aber sonst ähnlich wie die Dämonen; die Herrschaften haben die Leitung der weltlichen Dinge und geben weltliche Güter und Lebensbedürfnisse; die Gebieter gehören zum ganz Materiellen und geben nur Irdisches; die Seelen endlich, wenn sie erscheinen, treiben zur Zeugung an, benehmen sich jedoch nach ihrem Werte sehr verschieden. Jeder Geist erscheint mit einem Gefolge des nächstfolgenden Ranges, die Erzengel zum Beispiel mit Engeln usw. Die guten Dämonen bringen ihre Wohltaten gleich mit sich; die Rachedämonen zeigen künftige Martern bildlich an; die bösen Dämonen kommen mit reissenden Tieren. Alle diese Geister haben auch ihre Körper, nur sind sie um so unabhängiger davon, je höher sie in der Rangordnung stehen. Wird etwas im Ritual verfehlt, so finden sich statt der gerufenen böse Geister425 ein, welche sich in Gestalt jener verkappen; der Priester kann sie an ihrer hochmütigen Prahlerei erkennen. Ein richtig vollzogenes Ritual dagegen hätte seine Folge, selbst wenn der Beschwörende kein Wissender wäre, »denn nicht die Erkenntnis vereinigt den Opferer mit dem Gotte, sonst trügen die blossen Philosophen diese Ehre ausschliesslich davon«. Der Widerstreit dieser sakramentalen Indifferenz der Person mit der oben verlangten Leidenlosigkeit und sonstigen Vorbereitung der Seele springt in die Augen, allein es kommen hin und wieder noch grössere Inkonsequenzen in diesem Buche vor. – Nun erfährt man auch einiges von dem äussern Apparat und von den Formeln. Im Gegensatz zu der sonstigen neuplatonischen Lehre, welche bloss unblutige Opfer gestatten will, wird hier mit einer offenbar ägyptischen Zutat für jeden Gott die Opferung desjenigen Tieres verlangt, welchem er präsidiert, und mit welchem er also magisch verwandt ist. Sonst gilt es Steine, Kräuter, Wohlgerüche u. dgl. m. Gegen die schlechten Manieren gewisser ägyptischer Beschwörer, gegen ihre rohen Drohworte an die Götter wird ausdrückliche Verwahrung eingelegt; dergleichen wirke nur auf gewisse geringere Dämonen, und die Chaldäer vermieden es durchaus. Auch die magischen Schriftzüge, deren sich manche bedienen, bringen höchstens eine geringe und undeutliche Erscheinung zuwege und demoralisieren den Beschwörer, der dann leicht in die Gewalt der bösen, trügerischen Dämonen fällt.
Treten wir einen Augenblick aus diesem Nebel des Wahnes heraus, um zu fragen, wie weit der objektive Tatbestand bei den Erscheinungen möchte gegangen sein. Denn mit blossen Phantasiebildern hat man es nicht zu tun. – Bekanntlich sollen die Geisterbanner des jüngstvergangenen Jahrhunderts sich vorzüglich der Lanterna magica bedient haben, deren Bilder sich auf starken, zugleich narkotisch wirkenden Dämpfen reflektierten. Etwas Ähnliches ging auch bei den Beschwörern zur Zeit des Porphyrius vor; es ist ausdrücklich von einer Kunst die Rede, welche aus gewissen mit Feuer angemachten Dämpfen zur günstigen Stunde die Scheinbilder der Götter in der Luft erscheinen lässt. Iamblichus oder Abammon lässt auch bei dieser geringern Gattung von Beschwörung keinen Betrug gelten; eine wahre magische Wirkung finde wohl statt; allein er behauptet, Scheingestalten dieser Art, welche verschwinden müssen, sobald der Dampf sich zerteilt, würden von denjenigen Priestern, die jemals wahrhaft göttliche Gestalten gesehen, nur wenig geachtet; die Magie erreiche damit gleichsam nur eine äussere Hülle, ein Schattenbild der Gottheit. Es ist jedoch gar kein Zweifel, dass eigentlicher Betrug seit langer Zeit und massenhaft geübt wurde. Wir wollen noch nicht einmal unbedingt hieher rechnen die Benützung eines Kindes zum Schauen des Erscheinenden und zum Weissagen, weil denn doch Apuleius, den wir für keinen Betrüger halten, daran glaubte; er meint, dass vorzugsweise der kindliche und schlichte Geist durch Formeln und Räucherungen in einen halbbewussten Zustand versetzt (soporari) und dabei seiner wirklichen, nämlich göttlichen Natur genähert werden könne bis zur Weissagung der Zukunft; er zitiert Varro dafür, dass einst die Einwohner von Tralles den Ausgang des Mithridatischen Krieges sich hätten offenbaren lassen durch einen Knaben, der in einem Wassergefäss ein (wirklich hineingelegtes oder nur erscheinendes?) Merkursbild sah (puerum in aqua simulacrum Mercurii contemplantem) und dann in 160 Versen die Zukunft schilderte426. Allein zu Anfang des dritten Jahrhunderts hat der h. Hippolyt in seiner