Es handelte sich also sehr oft nicht um ekstatische Verzückungen und Halluzinationen, sondern um wirkliche, objektiv vorhandene Vorgänge. Ob es ausser den Schwindlern etwa auch noch ernsthafte Theurgen gab, welche zwar die Mittel des Betruges, aber als eines »frommen«, anwandten, mag dahingestellt bleiben, und ebenso, ob Iamblichus (oder wer sonst die oben zitierte Schrift verfasste) Leute der letztern Gattung im Auge hatte.
Übrigens weiss er ausser den Geisterbannungen auch noch über andere Fragen aus dem Gebiet des Übernatürlichen Auskunft. Er erzählt zum Beispiel von den gottgesandten Träumen, sie kämen nicht im vollen Schlafe, sondern in halb oder ganz wachem Zustande höre der Mensch kurze geflüsterte«Worte »tue dies oder jenes«; er fühle sich von einem geistigen Wehen umfangen und erblicke dabei bisweilen ein reines und ruhiges Licht. Dagegen wird die weissagende Bedeutung der gewöhnlichen Träume nur sehr niedrig angeschlagen. Von einzelnen göttlich Inspirierten heisst es, sie lebten überhaupt ein göttliches, kein animalisches Leben mehr und fühlten deshalb weder Feuer noch Stichwunden, noch sonstige Martern; übrigens könne die göttliche Gegenwart auch bloss die Seele oder nur einzelne Teile des Leibes affizieren, so dass einige tanzen und singen, andere sich hoch aufrichten, in der Luft schweben, ja vom Feuer umwallt erscheinen, wobei sich göttliche Stimmen bald laut bald leise hören lassen. Viel niedriger steht die freiwillige magische Aufregung durch gewisse Räucherungen, Tränke oder Formeln u. dgl., so dass man im Wasser, in der reinen Nachtluft, in der Sonne, an gewissen Mauern, die mit geweihten Zeichen bedeckt sind, das Verborgene und Zukünftige erkennt. Es geht aber ein solcher Strom von Ahnung und Weissagung durch die ganze sichtbare Welt, das heisst das System will sich so wenig den einzelnen Volksaberglauben entgehen lassen, dass man auch aus Steinchen, Ruten, Hölzern, Korn usw., ja selbst aus den Reden der Verrückten die Zukunft herauslesen mag. Auch der Vögelflug wird von göttlichen Kräften geleitet zur Erzweckung von Zeichen, so dass selbst diese sprichwörtliche Freiheit sich zur Unfreiheit verkehrt. Auf die gewöhnliche Astrologie wird als auf einen zwecklosen Umweg, ja als auf einen Irrtum ziemlich geringschätzig herabgesehen, indem gar nicht die Konstellationen und Elemente das Schicksal entscheiden, sondern die Stimmung des Weltganzen in dem Augenblick, da die Seele in das Erdenleben niedersteigt. Dies hat jedoch die Astrologen nicht gehindert, mit dem System in Berührung zu treten, wie zum Beispiel Firmicus Maternus an vielen Stellen zeigt. – Ein Zug ist es (beiläufig bemerkt), der den ungriechischen, wahrhaft barbarischen Ursprung dieser Beschwörungstheorie klar beweist, nämlich das unverhohlene Wohlgefallen an dem Abracadabra fremder, namentlich orientalischer Anrufungen, die man zwar nicht aus Iamblichus, wohl aber anderswoher kennenlernt, und deren sich manche bis in die gegenwärtig kursierende Zauberliteratur fortgeerbt haben. Diese Fremdnamen haben das Vorrecht, nicht bloss weil sie die ältern, oder weil sie unübersetzbar sind, sondern weil sie eine »grosse Emphase« in sich haben, das heisst sehr eindringlich und bezeichnend lauten. Die neuerlich beklagte Kraftlosigkeit mancher Beschwörungen habe keinen andern Grund als den, dass man in griechischer Neuerungssucht an dem altehrwürdigen Ritual geändert habe. »Die Barbaren allein sind ernst von Sitten, beständig in ihren Gebetsformeln und deshalb auch gern erhörte Freunde der Götter429!«
Dieses abgeschmackte System, vielleicht nur von wenigen buchstäblich angenommen, hat doch im ganzen die Philosophie des 4. Jahrhunderts mehr oder weniger beherrscht, und kein gebildeter Heide ist davon völlig unberührt geblieben. Aus dem Leben der Philosophen selbst, wie Eunapius sie schildert, strömt uns der Aberglaube wie ein grauer Qualm entgegen. Iamblichus lässt zum Beispiel seine Schüler in der Meinung, dass er beim Beten zehn Ellen hoch über der Erde schwebe und goldfarbig aussehe; in den warmen Bädern zu Gadara in Syrien ruft er aus den beiden Quellen die Genien Eros und Anteros hervor, die als Knaben, jener mit goldenem, dieser mit dunkelleuchtendem Haar zu grossem Staunen der Schüler und Gefährten erscheinen und sich an ihn anschmiegen, bis er sie wieder in die Quellen zurückschickt. Sein Schüler Aedesius, der die Hexameter vergessen hat, welche ihm ein Gott im Weihetraum vorgesagt, findet sie beim Erwachen in seine linke Hand geschrieben, die er deshalb selber anbetet. Die Philosophin Sosipatra von Ephesus wird von Kindheit an durch zwei Dämonen erzogen, die sich zuerst bei ihrem Vater in Gestalt von Feldarbeitern verdungen hatten; auch ihr ganzes späteres Leben ist durch und durch magisch und divinatorisch bedingt. Andere zum Teil sehr bunte Geschichten übergehen wir. Es versteht sich, dass diese Philosophen keinesweges unter sich einig waren, im Leben so wenig als in der Lehre. Innerhalb