Aber alle Vernunftgründe der Welt konnten diese sogenannte Wissenschaft nicht ausrotten bei einem Volke, dem schon in der Blütezeit seiner Kultur die Idee einer göttlichen Weltordnung, eines alldurchdringenden Systems sittlicher Zwecke fremd geblieben war und das jetzt mehr als je über alle Schicksalsfragen in Ungewissheit und Angst schwebte. Der Aberglaube war hier ein um so dringenderes Bedürfnis, je mehr die natürliche Energie verschwand, womit der einzelne dem Fatum Trotz geboten hatte. In der spätern Kaiserzeit sucht sich jedoch die Astrologie auf dieselbe merkwürdige Weise zu versittlichen, wie so manche früher verrufene Geheimkulte410. Es ist hierüber ein vollgültiges Zeugnis vorhanden in den »Acht Büchern Mathesis« des heidnischen Firmicus Maternus411, welcher bald nach Constantins Tode schrieb. Am Ende des zweiten Buches dieser vollständigen Theorie des ganzen Sternglaubens wird dem Astrologen eine lange feierliche Vermahnung erteilt, welche den Zweck hat, diesem ganzen Treiben das Kompromittierende, Unheimliche, Düstere zu benehmen412. Der Mathematicus soll einen göttlichen Wandel führen, sintemal er mit Göttern umgeht; er erweise sich zugänglich, rechtschaffen, nicht geldgierig; er gebe seinen Bescheid öffentlich und bedeute den Fragenden von vornherein, dass er ihm laut antworten werde, um auf diese Weise die unerlaubten und unsittlichen Fragen abzuschneiden. Er muss Weib und Kinder haben und ehrbare Freunde und Bekanntschaften; er verkehre mit niemand insgeheim, sondern zeige sich unter den Leuten, halte sich aber von allem Hader fern und nehme gar keine Fragen an, die auf jemandes Schaden oder Untergang, auf Befriedigung von Hass und Rache abzielen. Er zeige sich durchgängig als Ehrenmann und verbinde mit seinem Beruf keine wucherischen Geldgeschäfte (wie demnach die verrufenen Astrologen häufig mögen getan haben). Eide soll er weder leisten noch verlangen, namentlich nicht in Geldsachen. Er suche auf Irrende in seiner Umgebung wohltätig einzuwirken und überhaupt nicht bloss durch förmliche Entscheide aus den Gestirnen, sondern auch durch freundschaftlichen Rat die leidenschaftlichen Menschen auf die rechte Bahn zu leiten. Nächtliche Opfer und Zeremonien, öffentliche wie geheime, möge er meiden; ebenso die Zirkusspiele, damit niemand glaube, seine Gegenwart hänge mit dem Sieg einer Partei, der Grünen oder der Blauen zusammen. Die immer sehr bedenkliche Frage über die Genitura, das Horoskop eines Dritten beantworte er nur zögernd und verschämt, damit es nicht aussehe, als wollte er irgend jemand einen Vorwurf aus dem machen, was böse Sterne für ihn beschlossen haben. Das Wort decretum, Beschluss, ist nämlich der stets wiederkehrende technische Ausdruck.
Bei weitem die gefährlichste Zumutung an die Astrologen, welche in den ersten zwei Jahrhunderten des Imperiums ihnen und ihren Kunden so oft den Untergang gebracht, war die Anfrage über das Schicksal des Kaisers. Einst hatte Alexander der Grosse das Anfragen über sein Schicksal noch nicht übelgenommen, sondern belobt413; jetzt galt die Sache für bedenklicher. Der Caesarenthron ohne Dynastie war jederzeit umgeben von Ehrgeizigen, die aus den Sternen zu wissen verlangten, wann und wie der Kaiser sterben und wer auf ihn folgen würde. Auch dieser Frage weiss jetzt die Theorie aus dem Wege zu gehen. Firmicus Maternus setzt auseinander, man könne über das Schicksal des Kaisers überhaupt nichts wissen, weil dasselbe den Sternen nicht unterworfen sei, sondern unmittelbar von der höchsten Gottheit geleitet werde. Der Kaiser als Herr der Welt hat den Rang eines jener vielen Dämonen, welche als schaffende und erhaltende Mächte von der Gottheit über die Welt gesetzt sind, und deshalb wissen die Sterne, die eine niedrigere Potenz vorstellen, nichts über ihn zu sagen. Die Haruspices, wenn sie das kaiserliche Schicksal durch Eingeweideschau ermitteln sollen, sind in demselben Falle, sie pflegen die Adern und Fibern absichtlich durcheinander zu wirren, um nicht Antwort geben zu müssen. – Diese Zugeständnisse halfen jedoch im vierten Jahrhundert der Astrologie nicht mehr viel; verflochten mit allen andern Arten des Aberglaubens, hatte sie den Thron und das Christentum zugleich gegen sich und unterlag mit der Magie und den übrigen Zauberkünsten den gemeinsamen Verboten und Verfolgungen.
Der Raum erlaubt nicht, aus dem Lehrgebäude des Firmicus einen Auszug mitzuteilen, auch wird ihn heutigentages niemand ganz durchlesen, als wer entweder selbst von diesem Wahn befangen ist oder wer den Autor neu herausgeben will, wozu es bei der Seltenheit der ältern Editionen wohl Zeit sein möchte. Die eigentlichen Geheimnisse, für deren Bewahrung der Verfasser von seinem Adressaten (Mavortius Lollianus, einem hohen Beamten) einen schweren Eid beim höchsten Gotte verlangt, sind in den beiden letzten Büchern enthalten: nämlich das Verzeichnis derjenigen Konstellationen, welche den Menschen zum Mörder, Blutschänder, Missgebornen, oder zum Gladiator, zum Advokaten, zum Sklaven, zum Findling usw. machen. Diesem abscheulichen Wahnsystem zufolge müsste jede sittliche Zurechnung aufhören, und ohne Zweifel war dies die Meinung der frühern, gewissenlosen Chaldäer gewesen; allein so weit hat die neu erwachte Moralität bereits gewirkt, dass der Autor des constantinischen Zeitalters sich nach einer sittlichen Ausgleichung umsehen muss, die bei ihm vielleicht in der Tat mehr ist als eine blosse Ausrede. Er glaubt nämlich (B. I, Kap. 3), man könne auch den furchtbarsten Dekreten der Sterne Widerstand leisten durch vieles Gebet und eifrige Verehrung der Götter; so habe Sokrates sternenhalber alle Leidenschaften gehabt und sichtbar auf dem Antlitz getragen, sie jedoch tugendhalber bemeistert. »Denn den Sternen gehört, was wir leiden, und was uns wie mit Feuerbränden stachelt (das heisst: die Leidenschaften), der Göttlichkeit des Geistes aber gehört unsere Kraft zum Widerstande.« Vorzüglich ist das Unglück der Guten und das Glück der Bösen die Wirkung der Gestirne. – Dieser Trost erscheint aber doch nur äusserlich an das System angeschraubt und nimmt sich schwach aus neben der in genauer Ordnung auf einigen hundert Folioseiten vorgetragenen Theorie des Unsinns, welche damit anfängt, unter die sieben Planeten die einzelnen Temperamente und die Glieder des Leibes, unter die zwölf himmlischen Zeichen dagegen die Farben, Geschmäcke, Klimata, Gegenden, Lebensstellungen und Krankheiten zu verteilen. Der Krebs zum Beispiel bedeutet den scharfen salzigen Geschmack, die helle und weissliche Farbe, die Wassertiere und kriechenden Tiere, das siebente Klima, die stillen oder fliessenden Wasser, die mittelmässigen Menschen und alle Krankheiten des Herzens und des Zwerchfells. Dagegen gibt der Astrolog die Menschenrassen und die Völkercharaktere im ganzen frei; es genügt ihm, wenn die Individualitäten von den Sternen bedingt sind. – Die vielen sonstigen Curiosa, welche hin und wieder in dem Buche vorkommen, dürfen uns hier nicht weiter aufhalten414.
Es ist in diesem System mehrfach von einem höchsten Gotte die Rede, welchem alle andern übermenschlichen Wesen als blosse Mittelmächte untertan sind. Konnte denn die Philosophie sich nicht ein für allemal dieses höchsten Gottes bemächtigen und einen vernünftigen Theismus geltend machen?
Es ist ein demütigendes Zeugnis für die Unfreiheit des menschlichen Geistes gegenüber den grossen geschichtlichen Mächten, dass die damalige Philosophie, zum Teil durch wahrhaft edle Persönlichkeiten vertreten und mit aller Erkenntnis der alten Welt ausgerüstet, sich gerade hier auf die dunkelsten Nebenpfade verlor,