Weit die mächtigste Geheimreligion aber, ebenfalls mit dem Anspruch auf Erlösung und Unsterblichkeit, war der Mithrasdienst377.
Die älteste arische Religion kennt einen Morgenlichtsgott Mithras, welchem später die Lehre Zoroasters, da sie ihn nicht beseitigen konnte, die Stelle eines Mittlers neben Ormuzd zuwies. Mithras wird der erste der himmlischen Izeds, ein gewaltiger Held und Sieger über die Dämonen, und (mit Beziehung auf den Sonnenuntergang) auch ein Schutzherr des Totenreiches, er richtet die Seelen auf der Brücke Dschinewat. Vor allem aber ist er der Schützer der Erde, des Feldbaues, der Fruchtbarkeit, deren Symbol – der Stier – ihm von uralten Zeiten her angehörte. Zahlreiche Anrufungen auf ihn sind im Zendavesta erhalten.
Man würde aber irre gehen, wenn man die Züge dieses alten Mithras des rechtgläubigen Persiens in dem Mithras des sinkenden Römerreiches unverändert wiederfinden oder voraussetzen wollte. Schon die starke spätere Einwirkung des babylonischen Glaubens378 auf den persischen hatte den Mithras zu einem Sonnengott, zum Haupte der planetarischen Welt gemacht. Sodann war diejenige Überlieferung, welche zu den Römern gelangte, eine ketzerische, das heisst sie ging von einer den Magiern feindlichen Religionspartei im Perserreiche aus; endlich erhielt man sie erst aus zweiter Hand und also wahrscheinlich sehr getrübt, nämlich bei Anlass des Vertilgungskrieges, welchen der grosse Pompeius gegen die meist aus Cilicien gebürtigen Seeräuber führte379. Dieselben feierten, heisst es, verschiedene Geheimdienste und brachten auch den des Mithras auf, welcher sich seitdem erhalten hat. Irgendwie hatte sich dies Stück persischen Glaubens in halber assyrischer Umdeutung in Kleinasien festgesetzt. Die ganze Mithrasforschung ist an neugierigen Hypothesen überreich, und wir müssen uns hüten, diesen Vorrat ohne Not zu vermehren; doch gestatte uns der Kenner wenigstens eine Frage: hat etwa der Mithrasdienst erst bei den cilicischen Piraten als martialische Räuberreligion diejenige Fassung angenommen, welche ihn später vorzugsweise zur römischen Kriegerreligion geeignet machte? Sie waren als Sklavenhändler jedenfalls weit herumgekommen und hatten ihren Kultus mit sich geführt.
Zahlreiche Reliefs, bisweilen von sehr grossem Maßstab, in den meisten Antikensammlungen Europas, stellen den rätselhaften Mythus dar, ohne ihn zu erklären. Sie sind in der Regel von geringem Kunstwert und im besten Fall kaum älter als die Antonine. Man sieht eine Höhle, über welcher in der Regel der auffahrende und niederfahrende Sonnenwagen oder auch Sonne und Mond angedeutet sind. In der Höhle kniet ein Jüngling in phrygischer Tracht – es ist Mithras – auf einem Stier, dem er einen Dolch in den Hals stösst. Aus dem Schweif des Stieres spriessen Ähren; ein Hund springt an den Stier heran, eine Schlange leckt sein Blut, ein Skorpion nagt an seinen Hoden. Zu jeder Seite steht ein Fackelträger, der eine mit gehobener, der andere mit gesenkter Fackel. Über Mithras erscheint ein Rabe, bekanntlich der Vogel der Weissagung, vielleicht auch als Vogel der Schlachtfelder zu deuten. Ein Löwe oder Löwenkopf, der bisweilen rechts in der Ecke sichtbar wird, soll noch ein Symbol des Lichtes, der Sonne, sein. Wir übergehen zahlreiche andere Zutaten, die auf den einzelnen Mithrassteinen vorkommen380.
Was diese Symbole ursprünglich bedeuteten, ist mit ziemlicher Sicherheit nachgewiesen381; es ist zunächst der Sieg des Sonnenhelden über den Stier als Sinnbild des Mondes oder der rascher wechselnden Zeitlichkeit überhaupt, welche sterben muss, damit ein neues Jahr entstehe; die Ähren sind die Jahresfruchtbarkeit, der Hund deutet auf den verzehrenden Sirius, der Skorpion auf den Herbst, das heisst auf das nahende Absterben der Natur; die Fackelträger (die man sonst als Morgenstern und Abendstern erklärte) versinnlichen die Aequinoctien. Auch die Reliefs zu beiden Seiten und über der Höhle, welche auf einigen besonders reichen Exemplaren vorkommen, werden jetzt teilweise als astrale und elementare Vorgänge gedeutet, nachdem man früher vorzugsweise einzelne Momente der geheimen Weihen darin zu erkennen glaubte; manches bleibt noch unerklärt. Dass schon von der alten persischen Zeit her alles zugleich eine höhere Beziehung hatte, versteht sich von selbst.
Allein von da ist ein weiter Weg bis zu demjenigen Sinn, welchen die spätrömische Zeit mit diesen Bildwerken verband. Glücklicherweise geben die Inschriften wenigstens einen deutlichen Wink; sie lauten: dem unbesiegten Gott Mithras, – der unbesiegten Sonne Mithras, – der Sonne, dem unbesiegten Begleiter usf.382; die letztgenannte Inschrift ist zudem eine der häufigsten auf den Münzen383 Constantins des Grossen, welcher vielleicht sein Leben lang sich nicht völlig von dem Äusserlichen des Mithrasglaubens losmachte. Der Unbesiegte war sicher zugleich der Siegspender und also vorzugsweise der Kriegsgott, eine Eigenschaft, die nach neuern Forschungen384 auch schon im altpersischen Mithras wenigstens sekundär angedeutet sein soll. Endlich ist Mithras der Führer der Seelen, die er aus dem Erdenleben hinaus, in welches sie gefallen, wieder zum Lichte emporleitet, von dem sie ausgegangen sind. Und hieran knüpft sich das Gefühl der spätern römischen Welt; sie hat es nicht bloss aus den Religionen und der Weisheit der Orientalen und der Ägypter, noch weniger erst aus dem Christentum entlehnt, dass das Erdenleben ein blosser Übergang zu einem höhern Leben sei; ihr eigener Schmerz und das Innewerden ihrer Alterung sagen ihr deutlich genug, das irdische Dasein sei lauter Beschwerde und Bitterkeit385. Der Mithrasdienst wird eine, und vielleicht die bedeutendste der erlösenden Religionen des sinkenden Heidentumes.
Allein der antike Mensch hat das Gefühl des Elends ohne das Gefühl der Sünde; mit der Sündenvergebung durch das Wort ist ihm daher nicht geholfen; er bedarf einer Erlösung von ganz besonderer Art. Um dem rettenden Gott sich anschliessen zu können, muss jeder einzelne sein eigener Erlöser sein durch furchtbare freiwillige Leiden, mit welchem man es hier ernsthafter nahm als in allen andern Mysterien. So entstanden bei den Mithrasweihen jene sogenannten Prüfungen, gegen welche das Taurobolium und die Isisprüfungen als wahres Kinderspiel erscheinen. Die Dinge, um welche es sich hier handelt, waren gewiss nicht bloss ersonnen, um die Unberufenen und die Masse abzuhalten, sie heissen »Züchtigungen« und müssen manchem das Leben gekostet haben386. Es gab achtzig verschiedene Momente der Züchtigung, als da sind: Hungerfasten bis auf fünfzig Tage, Schwimmen in weitem Umkreis, Berührung des Feuers, Liegen im Schnee bis auf zwanzig Tage, Ängstigungen aller Art, zweitägige Geisselung, Liegen auf einem Marterbette, Aushalten in qualvollen Stellungen, auch ein nochmaliges Fasten in der Wüste usw. Sieben verschiedene Stufen der Einweihung werden genannt, nur ist die Reihenfolge nicht ganz sicher, darunter ein Rabengrad, Kriegergrad, Löwengrad; die obersten hiessen Väter. Man weiss nicht, bei welchen dieser Grade die einzelnen Weihen eintraten, welche die christlichen Zeitgenossen geradezu als Sakramente bezeichnen. Beim Löwengrad wusch man die Hände mit Honig und gelobte, sie rein zu halten von aller Missetat387. Irgendwo kam auch Brot und ein Becher Wasser vor, selbst ein entsündigendes Bad388; dann suchte man dem »Mithraskrieger« mit einem Schwert einen Kranz auf das Haupt zu werfen, den er mit der Hand wegfangen und an die Schulter drücken musste, weil Mithras selber sein Kranz, seine Krone sei. Im Hinblick auf die vielen Kaiser, Hofleute und Mächtigen der Erde, welche diesen Kultus mitmachten, hat man beharrlich vermutet, es sei mit den Weihen und Züchtigungen nicht so genau genommen worden, und vieles davon möchte zum Symbol, ja zur blossen Redensart eingeschrumpft gewesen sein. Wer konnte zum Beispiel einem Commodus befehlen, sich jenen wunderlichen Qualen zu unterziehen! Und wie gefällig waren nicht