Drittens gehen die Christen in ihrem teils judaisierenden, teils populären Dämonenglauben mit den Heiden parallel und zweifeln nicht im geringsten daran, dass es zahlreiche, stark auf das Menschenleben wirkende, durch Menschen zu bannende Mittelmächte gebe, die als gefallene Engel, oder als Giganten, das heisst als Söhne der Engel und der Töchter der Menschen gedacht werden452. Allein diese Geister sind durchaus böse, dem Reiche Gottes und dem Heil der Menschen abgeneigt; manche halten sie für Urheber des Unheils in der Natur, zum Beispiel der Erdbeben und Seuchen, wie in der sittlichen Welt; ja, sie sind die Urheber des ganzen törichten und sündenreichen Heidentumes, wozu sie das Menschengeschlecht verführt haben, um es unrettbar in ihrer Gewalt zu behalten. – Diese Ansichten sind alt und zum Teil schon aus dem Judentum herübergenommen, bildeten sich aber später noch schärfer aus. Als Zeugen aus der Zeit kurz nach der grossen diocletianischen Verfolgung wollen wir Lactantius453 hören: »Diese überirdischen und irdischen Dämonen wissen vieles Künftige, aber nicht alles; den eigentlichen Ratschluss Gottes wissen sie nicht. Sie sind's, die sich beschwören lassen durch Magier, auf deren Anrufung sie die Sinne des Menschen mit blendendem Gaukelwerk betrügen, so dass er nicht sieht, was ist, sondern zu sehen glaubt, was nicht ist . . . Sie bringen Krankheiten, Träume, Wahnsinn, um die Menschen immer mehr durch Schrecken an sich zu ketten . . . Man darf sie aber nicht etwa deshalb aus Furcht verehren, denn sie sind nur schädlich, solange man sie fürchtet; bei Nennung Gottes müssen sie fliehen, und der Fromme kann sie sogar zur Angabe ihres eigenen Namens zwingen . . . Sie haben die Menschen gelehrt, Bilder verstorbener Könige, Helden, Erfinder usw. zu machen und göttlich zu verehren; hinter den Namen derselben verbergen sie aber nur sich selber, wie hinter Masken. Die Magier freilich rufen den Dämon nicht bei diesem bloss vorgeschobenen Götternamen, sondern bei seinem wahren, überirdischen . . .« Weiterhin wird zugegeben, die Dämonen wohnten wirklich in den Tempeln und täten Wunder, alles, um die unglücklichen Menschen in ihrem Wahnglauben zu bestärken; ihr Vorauswissen der Zukunft, das sie als ursprünglich göttliche Geister in der Tat besässen, wendeten sie dazu an, in den Orakeln bisweilen die Wahrheit zu künden, damit es nachher das Ansehen gewinne, als hätten sie die Tatsachen selber vollzogen. – Aus derselben Zeit rühren auch die Äusserungen des Arnobius454 her, welcher den ganzen objektiven Tatbestand der Zauberei in einem sehr weiten Umfange zugibt und zum Beispiel gerade darin einen Hauptunterschied zwischen Christus und den Magiern findet, dass jener seine Wunder durch die Kraft seines Namens, diese dagegen die ihrigen bloss durch Hilfe der Dämonen zustande gebracht hätten. Auf die Wunder des Simon Magus, namentlich auf seinen feurigen Wagen, wird als auf etwas Allbekanntes hingewiesen. Freilich könne man nicht wissen, ob nicht bei allen Berufungen und Bannungen immer nur einer und derselbe, nämlich Satan, erscheine.
Dieses musste vorausgeschickt werden, um das Mass des noch herrschenden allgemeinen Zauberwahns einigermassen zu bezeichnen. Vielleicht waren die Besten dieser Zeit nicht gänzlich darüber hinaus. Die Beispiele der einzelnen Zaubergattungen werden das Nähere ergeben.
Die neuplatonischen Beschwörer kannten, wie oben bemerkt, als eine eigene Kategorie die Bannung von Menschenseelen. Unabhängig von ihrem System und lange Zeit vor demselben455 kam dieselbe auch sonst häufig vor, weil von den Verstorbenen jederzeit mancherlei wichtige Auskunft erwartet und der Tote in mehrern alten Religionssystemen geradezu als Genius betrachtet wurde. In den zwei ersten Jahrhunderten ist oft von solchen, zum Teil unter schrecklichen Umständen vollzogenen Bannungen die Rede, wobei man bloss an die Canidia des Horaz und an Nero zu erinnern braucht. Das dritte Jahrhundert zeigt uns zunächst Caracalla456, der sich in wahnsinnigem Fieber von seinem Vater Severus und seinem ermordeten Bruder Geta mit Schwertern verfolgt glaubt und nun eine Menge Seelen beschwört, um von ihnen die Art der Heilung zu erfragen; Commodus, auch Severus selbst erschienen auf den Ruf, aber den letztern begleitete ungerufen die Seele Getas, und der entsetzte Beschwörer vernahm keinen Trost, sondern nur wilde Drohungen. Von den spätern Kaisern457 wird zwar nichts Ähnliches mehr berichtet, allein die Seelenbannung blieb im Gebrauche, und die christlichen Schriftsteller reden öfter davon mit Abscheu als von etwas Bestehendem, ja die Anklagen sowohl als die Verbote dieses Inhaltes reichen bis weit in die christliche Zeit hinein458. Nur sind sie in der spätern Zeit nicht immer auszuscheiden von den allgemeinen Anklagen und Verboten gegen das Verbrechen des sogenannten Veneficiums, welches ausser der Giftmischerei auch jede andere unerlaubte Wirkung durch äussere Mittel umfasst. Man rechnete dahin zum Beispiel die Zaubermittel, durch welche die Wagenführer des Zirkus sich den Sieg zu verschaffen meinten. Es gab in Rom noch immer »Lehrer der bösen Künste«, und wer ihnen nicht seinen eigenen Sohn in die Lehre geben mochte, versuchte es etwa mit einem besonders anstelligen Sklaven. Noch um die Mitte des vierten Jahrhunderts findet sich ein sardinischer Sklave, welcher sehr geübt war, »schadenbringende Seelchen hervorzulocken und Gespenstern Weissagungen abzunötigen«.
Allein der wahre Zauberer verstand es auch, einer Leiche für kurze Zeit das Leben wiederzugeben und sie zum Sprechen zu bringen. Griechenland hatte von alters her seine Totenorakel gehabt, allein in der spätern Zeit, von welcher hier die Rede ist, hat diese grauenvolle Kunst ihren Hauptanhalt unstreitig an Ägypten, und selbst wer nicht dorther stammte, nahm doch gerne beim Beschwören den ägyptischen Ton an459. Apuleius im zweiten Buche der Metamorphosen verlegt eine solche Szene auf das Forum von Larissa in Thessalien, wo es sonst an einheimischen Zauberern nicht fehlte; gleichwohl muss ein Ägypter, Zachlas, in weissem Linnenkleid, mit geschorenem Haupte, auftreten, um durch dreimaliges Auflegen gewisser Kräuter auf Mund und Brust der Leiche und durch leises Gebet zur aufgehenden Sonne das Wunder zu vollbringen. Eine andere Geschichte dieser Art, ohne apuleischen Humor mit grellem ägyptischem Detail erzählt, findet sich bei Heliodor460; hier beschwört eine Mutter ihren im Kampf getöteten Sohn, und die Leiche spricht Wahrheit, während es im obigen Falle zweifelhaft bleibt, ob der Zauberer nicht ein falsches, lügenhaftes Leben in den Körper gebannt hat. Der Autor, unter der Maske des weisen Priesters Kalasiris, missbilligt freilich dieses Leichenbeschwören und stellt auch bei einem andern Anlass461 dieser niedrigen Mantik eine höhere, echt ägyptische Weisheit gegenüber, welche gen Himmel blicke, mit den Göttern umgehe usw.; allein dies sind Ausreden des vierten Jahrhunderts, als die Staatsgewalt in Sachen der Zauberei keinen Scherz mehr verstand, oder auch vielleicht Nachwirkungen der edlern, plotinisch-porphyrischen Schullehre, die sich von der operativen Magie mit Willen fern hielt. – Was soll man aber denken, wenn einzelne Beispiele der Leichenbeschwörung bei frommen christlichen Priestern vorkommen, und zwar nicht erst im Mittelalter, sondern im vierten und fünften Jahrhundert? Der heilige Spiridion (Spyridon), Bischof von Trimithunt auf Cypern462, der später beim nicaenischen Konzil anwesend war, hatte eine Tochter Irene, welcher ein Bekannter einen wertvollen Gegenstand anvertraut hatte; sie starb darüber, und Spiridion, der den Schatz zurückgeben sollte und den Ort der Verwahrung nicht wusste, rief seine Tochter mit Namen, bis sie ihm aus dem Grabmal heraus die gewünschte Kunde gab. Ein späterer Erzähler beschönigt dies mit den Worten »er flehte, Gott möge ihm vor der Zeit die verheissene Auferstehung an einem Beispiel zeigen«, während es sich doch offenbar um einen Rest heidnischen Glaubens handelt. – Aus den letzten Jahren des weströmischen Reiches wird eine viel bedeutender motivierte Leichenbeschwörung463 berichtet, welche in dem Zusammenhange, dem sie angehört, einen