Eine merkwürdige Doppelwirkung musste aus diesem Treiben hervorgehen. Einerseits forderte das System sittlichen Wandel und Entsagung; andererseits war nichts mehr geeignet, die Reste wahrer heidnischer Sittlichkeit und Religiosität aufzuzehren als diese exklusive, nur auf Eingeweihte berechnete Beschwörungskunst, die den grossen Haufen hochmütig im Dunkel gehen liess und ihn vielleicht an seinen alten Göttern und Helden vollends irre machte. Denn während der Mythus geleugnet oder sinnbildlich ausgelegt wurde, nahm man die Götter selbst als Dämonen in Anspruch und ordnete auch die Heroen nach Belieben in das System ein. Als unter Constantin432 eine Anzahl Tempel durchsucht und die goldenen und silbernen Bestandteile von den zusammengesetzten Götterbildern zum Einschmelzen weggenommen wurden, wunderten sich viele Heiden, dass im Innersten der Tempel und der Bilder selbst kein Dämon, kein weissagendes Wesen, ja nicht einmal ein schattengleich vorbeihuschendes Gespenst sich vorfand. Man hatte die menschlich schöne Kunstform des Gottes ganz von seinem Wesen als Dämon trennen gelernt. – Eine besondere Erwähnung verdient der seit dem dritten Jahrhundert sehr gesteigerte Kultus Achills in diesem dämonischen Sinne433. Er erscheint den Anwohnern der Ebene von Troia – bezeichnend genug – nicht mehr als das Ideal von Heldenschönheit, sondern nur noch in schreckenerregender Gestalt.
Aus dem Bisherigen ergibt sich nun auch, was es mit dem spätheidnischen Monotheismus auf sich hat. Ganz gewiss gab es noch immer reine Seelen und scharfe Denker, die im Geist früherer, besserer Zeiten an der Einheit Gottes festhielten. Bei den meisten aber ist dieses Bewusstsein getrübt durch dämonische Zutaten. Man wird zum Beispiel das Heidentum eines Ammianus Marcellinus nicht gering achten können, da er einer der Bessern des vierten Jahrhunderts war und den philosophischen Beschwörern am Hofe seines Helden Julian in die Karten sah; aber wie bedingt ist sein Monotheismus! Die einzelnen Götter bleiben, wenn auch nicht direkt als Dämonen, so doch als fast persönlich gewordene Eigenschaften: Nemesis ist ein erhabenes Recht der handelnden Gottheit, heisst aber dabei Tochter des Iustitia; Themis ist das ewige Gesetz, muss aber doch persönlich gedacht den Auspizien vorstehen; Mercur heisst mundi velocior sensus, das heisst etwa das Bewegungsprinzip des Weltganzen; endlich leitet eben doch Fortuna die menschlichen Schicksale. Die höchste Gottheit muss bei den meisten dieser spätern Heiden ihre erste Eigenschaft, nämlich die Persönlichkeit, an die Untergötter und Dämonen abgeben, auf welche sich dann der Kultus fast ausschliesslich bezieht. Vielleicht am meisten Persönlichkeit behält sie bei den Sonnendienern, welche alle Götter auf die Sonne zurückführten und diese letztere als ein physisches und geistiges Prinzip alles Daseins betrachten434. Es scheint, dass Constantin diesem Glauben wenigstens äusserlich zugetan war, wenn er ihn auch in mithreischer Weise auffasste, wovon unten ein Mehreres. Seinem Vater Constantius Chlorus wird sehr ausdrücklich der Kultus des einen, wahren Gottes zugeschrieben – wenn nicht Euseb435 auch hier wieder die Unwahrheit gesagt und einen gewöhnlichen Mithrasdienst zum reinen Monotheismus idealisiert hat. Es gab auch wohl hie und da, in dieser Zeit der Mischung aller Religionen, Übergänge aus dem Judentum in das Heidentum und Parsentum, wie zum Beispiel bei den kappadocischen Hypsistariern (das heisst: Verehrern eines höchsten Gottes) zu Anfang des vierten Jahrhunderts, welche eigentliche Monotheisten waren, bei ihrer bloss provinziellen Geltung jedoch hier nicht weiter in Betracht kommen dürfen436. Endlich äussert sich stellenweise ein ganz wertloser Monotheismus, bei solchen, die gerne mit allen Winden segeln und jeden Anstoss vermeiden wollten, als Constantin durch sein Toleranzedikt alle Standpunkte verrückt hatte. Dieser Art ist das Gebet eines jener Panegyriker, welche oben charakterisiert wurden437. »Wir flehen zu dir«, ruft er aus, »höchster Urheber aller Dinge, dessen Namen so viele sind als du den Völkern Zungen gegeben hast, ohne dass wir wissen, welchen Namen dein eigner Wille verlangt! Es sei nun in dir eine göttliche Kraft und Intelligenz, durch welche du in die ganze Welt ergossen dich mit allen Elementen vermischest und ohne irgendeine Kraft von aussen dich selbst bewegest; oder du seiest eine Macht über allen Himmeln und schauest auf dieses dein Werk aus einer höhern Burg hernieder – wir bitten und flehen zu dir, dass du uns diesen Fürsten auf ewig erhaltest.« Man sieht, der Redner lässt die Wahl frei zwischen einem immanenten und einem ausserweltlichen Gott, und wenn er nachher diesem unbestimmten höchsten Wesen noch Allmacht und Allgüte zuschreibt, so hebt er dies doch gleich wieder auf durch die trotzige Schlussphrase: »Wenn du dem Verdienste seinen Lohn verweigerst, so hat entweder deine Macht oder deine Güte aufgehört.« Dieser gallische Rhetor vertritt eine gewiss sehr grosse Zahl von Unentschiedenen und Vorsichtigen, welche den Erfolg abwarten wollten.
Nachdem wir den philosophischen Dämonenglauben und seinen Einfluss auf den heidnischen Monotheismus betrachtet, wird es nötig sein, noch einen Blick auf diejenigen Superstitionen und magischen Begehungen der Übergangszeit zu werfen, welche mehr dem Populäraberglauben angehören. Eine scharfe Trennung ist, wie bemerkt, unmöglich.
Vieles von diesen Dingen ist die blosse Fortsetzung des früher Üblichen. So dauert zum Beispiel die etruskische Haruspicin noch immer fort, und zwar im erhöhten Glanze, nachdem sie bekanntlich im ersten Jahrhundert dem Aussterben nahe gewesen war438. Sie ist die offizielle Götterbefragung am kaiserlichen Hofe und geniesst ausserdem einer bedeutenden Privatpraxis wenigstens in Italien439. Im engern Sinne betrifft sie die Erforschung der Zukunft aus den Eingeweiden der Tiere und dem Vögelflug, das Erraten des göttlichen Willens aus dem Blitz, selbst das Herabziehen des Blitzes440, die Regeln der Städtegründung und anderes mehr, aber sie hatte sich im Verlauf der Zeit mit dem übrigen Aberglauben, zumal chaldäisch-astrologischem, vermischt, und auch die Schriftsteller unterscheiden sie nicht immer gehörig von den übrigen Zweigen der