Zilch zuckt mit den Schultern. »Ich weiß wirklich nicht genau, was ich dazu sagen soll. Glückwunsch? Gute Besserung? Wie dem auch sei, danke fürs Mitnehmen. Da draußen ist es heiß wie in einer Sauna auf der Prostata des Teufels.«
»Sicher«, sagt Galavance unverbindlich. »Kein Problem. Toll. Großartig. Klasse. Ich nehm's einfach, wie es kommt.«
Kapitel 5
Galavances zenartige Gelassenheit löst sich in Wohlgefallen auf wie ein Kartenhaus bei einem Atomschlag, als sie in den vormittäglichen Verkehr gerät – und dies nur, weil ihr ein einzelner Arsch in einer Potenzschleuder die Vorfahrt nimmt. Dessen ungeachtet schafft sie es weiterhin, keinen Gedanken an Zilchs Gesicht beziehungsweise die Frage zu vergeuden, wie es zuerst praktisch Matsch war und dann … eben nicht mehr. Nein. Mist. Doch wieder dran gedacht. Deine Arbeit. Lenk dich damit ab.
»Das ist ätzend, so komme ich noch viel später«, seufzt sie, während sie durch die gerissene Scheibe starrt. Sie stellt sich vor, wie Patty, die Regionalleiterin, herumsteht und auf ihre Armbanduhr schaut, an dem zu engen Blazer nestelt, den sie immer trägt, wenn sie kommt, eingepackt wie die Fleischbällchen, die Frenchy's anbietet, und sich fragt, wo ihre Schichtführerin abgeblieben sein mag, während ihr metaphorischer Finger nach dem metaphorischen Abzug sucht, um Galavance nicht nur metaphorisch abzuschießen, sobald sie durch die Tür kommt. Der Beginn des haltlosen Absturzes einer Totalversagerin unter dreißig. Arbeitslosigkeit. Das Wohnmobil wird beschlagnahmt. Essensmarken. Zu ihren Eltern ziehen. Jolby weiterhin an der Backe … ständig und immer.
Sie schaudert. Im Grübeln findet sie keine Zuflucht. Es ist, als würde sie durch ein Labyrinth aus Weidenrohren laufen, die in Flammen stehen. Fahr einfach weiter zur Arbeit, und finde dich damit ab, redet sie sich ein. Egal ob gut oder schlecht: Nimm's hin. Am Ende wird wahrscheinlich doch alles gut. Hoffentlich.
»Macht es Ihnen was aus, wenn ich direkt zum Restaurant fahre und Sie von dort aus zum Einkaufszentrum gehen? Ich meine, es ist ja nicht weit, praktisch auf der anderen Seite. An der Stelle muss man aber aufpassen. Sie sollten sich umschauen, wenn Sie die Straße überqueren. Ich hab schon erlebt, wie so ein Typ fast überfahren – also, würde Ihnen das gleich zweimal an einem Tag passieren, wäre das sagenhaftes Pech, aber … Ich fühle mich seltsam.«
»Vielleicht fahre ich besser.«
»Haben Sie mir was untergejubelt?«
»Hm?«
»Es ist merkwürdig. Als hätte mir jemand irgendwelche Drogen verpasst. Ich stelle mir zumindest vor, dass es einem dann so geht.« Sie hält an einer Kreuzung mitten in der Einöde an, wo ein Saatguthandel mit angegliedertem Zuchtbetrieb stand, doch dieser ist mittlerweile geschlossen und verwahrlost.
»Nein, ich habe Ihnen keine Drogen untergejubelt. Und überhaupt, wie hätte ich das tun sollen? Sie trinken ja nichts.«
»Richtig. Ist ja wahr. Vergessen Sie's. Ich weiß nicht.« Sie stöhnt und neigt sich langsam vorwärts, bis ihre Stirn auf dem noch warmen Gummi des Lenkrads liegt. Jemand hinter ihnen hupt, sodass sie sofort aufs Gas tritt und der Wagen einen Satz nach vorn macht, doch dann bremst der nächste und Galavance muss voll in die Eisen gehen. Zilch stemmt gerade so beide Hände gegen das Armaturenbrett, sonst hätte er sich die Nase daran gestoßen. Sie entschuldigt sich, er lehnt sich in seinem Sitz zurück und zieht an den Riemen des Gurts, um die schmerzhafte Spannung zu lockern, die bei jeder abrupten Bremsung entsteht.
Indem er einen Daumen unter das Band hakt, vergrößert er den Spielraum langsam und lässt den Gurt dann wieder gegen seine Brust schnarren. »Soll ich nicht besser doch übernehmen?«
»Ich komm schon klar«, versichert sie in entschiedenem Ton. »Wir müssten einfach nur mal ankommen.«
Nach ein paar Minuten sieht sie aus dem rechten Augenwinkel, dass Zilch wie erschrocken im Sitz herumfährt. Sie ist zu schnell, als dass sie genauer hinschauen könnte, erhascht aber im Rückspiegel einen Blick auf das, was seine Aufmerksamkeit erregt hat: Eine geschotterte Einfahrt, die auf den zugewachsenen Hof eines alten, zweistöckigen Hauses führt. Galavance kennt dieses im Verfall begriffene Gebäude, da sie sich zu Highschool-Zeiten, wenn sie den Unterricht schwänzte, dorthin verzog, um zu kiffen, mit Jolby rumzumachen oder dabei zuzuschauen, wie er und seine Freunde Sachen demolierten. Sie hatte diesen Ort mal gruselig gefunden, weil es Gerüchten zufolge nach einigen Morden im Haus spuke. Sie schaut kurz auf Zilch, als er sich wieder nach vorne dreht. Er blickt finster drein und schweigt noch ein paar Minuten länger.
Sie kann es sich nicht erklären, doch er tut ihr leid. Erst möchte sie ihn fragen, ob alles okay sei, aber dann fällt ihr ein, dass sie sich im Sinne von Zen treiben lassen wollte. Setz den Kerl einfach dort ab, wo er hinmuss.
Bald lassen sie die ländliche Gegend auf einer vierspurigen Fernstraße hinter sich, die stärker befahren ist. Ab und an kommen sie an Gewerbegebieten, einzelnen Supermärkten und Hotels bestimmter Ketten vorbei. Sie befinden sich jetzt in der Gegend um Wake Forest, wo sich der Verkehr an jeder Kreuzung staut wie das Blut in den Adern eines Übergewichtigen mit Arterienverstopfung. Die Ampelphasen dauern jeweils eine gefühlte Ewigkeit. Von allen Seiten springen Zilch verwitterte Geschäftsgebäude ins Auge, die er nicht so heruntergekommen in Erinnerung hat, mehrere Einkaufszentren, in denen er regelmäßig mit Freunden herumgammelte, klaute und Unruhe stiftete. Sie stellten Dummheiten an und lachten über ihre eigenen Albernheiten, typisch zu Tode gelangweilte Halbstarke aus der Vorstadt. All dies belegt offenkundig, dass dies sein altes Revier ist, der schönere Teil davon, auch wenn der Zahn der Zeit und eine Reihe von Wirtschaftsflauten ihre Spuren hinterlassen haben. Bedauerlicherweise tauchen diese vertrauten Orte, obwohl sie nicht mehr so aussehen, wie er sie im Gedächtnis behalten hat, immer unregelmäßiger auf, und es dauert nicht lange, bis er gar nichts wiedererkennt. Die Kulisse verschwimmt zu stark hinter den Veränderungen, dem Wandel, und alles kommt ihm beschmutzt vor. Er denkt irgendwie, sie gehöre ihm, diese Stadt, so vermessen es auch klingen mag, und fühlt sich schier gekränkt, weil ihn niemand um Erlaubnis zur Umgestaltung gefragt hat.
In der Ferne vor ihnen, unter dem Dunst, den Abgase und die Höllenhitze bewirken, wird Raleigh erkennbar. Als sie auf die Umgehungsstraße, den Verteilerring um die Stadt gelangen, tun sich zu beiden Seiten der achtspurigen Fahrbahn Pornokinos, Hanfartikelläden und leer stehende Fabriken auf, deren Parkplätze sich langsam in Löwenzahlfelder verwandeln, nicht zu vergessen Müllhalden und verwaiste Pkw ohne Nummernschilder. Noch mehr herzzerreißende Anblicke.
Nächste Abfahrt raus, rote Ampel.
Hitzeflimmern überall. Jede Oberfläche wirkt unscharf, wie unter Wasser, gallertartig. Der Verkehr verschluckt den Chevy, dann beginnt das zu Stoßzeiten am fortgeschrittenen Morgen übliche Geruckel. An ein Tempo wie außerorts auf den beschaulichen Landstraßen ist nicht mehr zu denken, nun da sie lediglich Zoll für Zoll vorankommen, begleitet vom ununterbrochenen Hupkonzert ringsum. Zilch wird von dem Quasi-Stillstand abgelenkt, als er einen Mann in Chewbacca-Kostüm am Fahrbahnrand bemerkt, der drei Monate zu früh Halloween-Klamotten feilbietet. Und wiederum davon abgelenkt wird er durch Galavance, die verlangt: »Reden Sie mit mir.«
»Hm?«
»Reden Sie mit mir über irgendetwas. Ich nehme Sie für lau mit, also gönnen Sie mir wenigstens ein Schwätzchen.«
»Na gut. Also, sind Sie von hier?«, fragt Zilch.
»Hier geboren und aufgewachsen«, betont sie. »Aber das ist doch öde. Interessiert niemanden. Fragen Sie mich was anderes. Bringen Sie mich dazu, dass ich meine grauen Zellen anstrenge. Ich hasse Staus.« Sie schweigt kurz und massiert ihre Schläfen. »Vor allem jetzt, wo ich wohl gefeuert werde, wenn ich zur Arbeit komme,