AFTERTASTE - Jenseits des guten Geschmacks. Andrew Post. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andrew Post
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958353251
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klar geworden sein – »Ich hab gerade jemanden angefahren

      Zum zweiten Mal an diesem Morgen kämpft Galavance dagegen an, sich übergeben zu müssen. Sie lässt das Lenkrad mit einer Hand los und langt nach dem Türriegel …

      Und hinter ihrem Wagen, im Seitenspiegel, sieht sie ihn.

      Als sei er schlicht beim Suchen von Markierungen im Sand auf der Straße gestört worden oder Ähnliches steht der Mann von der entgegengesetzten Fahrbahn auf und klopft sich Dreck von den Ärmeln. Einer hängt ein wenig herab, da er an der Schulter abgerissen ist. Seine Krawatte sitzt schief, und eine Hälfte seines Gesichts sieht zerdrückt aus, weil der Bodenbelag die Haut abgeschürft hat, doch es blutet kaum. Etwas krabbelt über seine Züge – oder sieht Galavance schwarze Punkte, die einen bevorstehenden Hirnschlag ankündigen? Dieses Etwas bewegt sich auf den Rand der Wunde zu, ehe es verschwindet … oder in ihn eindringt?

      Sie bleibt, wo sie ist, erstarrt mit einer Hand am Türriegel. Er kommt vorne herum und besieht zunächst den Schaden. Dann schaut er sie streng mit zusammengekniffenen Augen durch die Scheibe an. Ihr ist schummrig zumute, weshalb sein Anblick immer wieder vor ihr verschwimmt. Er verzieht sein Gesicht, während er weiter Staub von sich klopft, und wirkt äußerst genervt.

      »Ihr Kids müsst hier wirklich langsamer fahren.«

      »I-ich … t-tut mir l-leid«, stammelt sie. »Hab Sie nicht gesehen.« Er kann sie wahrscheinlich nicht hören, also streckt sie ihren Kopf aus dem offenen Türfenster und entschuldigt sich erneut, indem sie bei den gleichen Buchstaben stottert wie zuvor.

      Er zieht einen Splitter von einem Spiegel aus seinem Ohrloch, betrachtet ihn wie Jolby einen Popel und schnippt ihn weg. Dann geht er das restliche Stück zur Seite des Wagens – ihrer Seite –, ohne auch nur zu hinken.

       Ist das denn die Möglichkeit? Ich hab doch gesehen, dass er durch die Luft geflogen ist wie eine lebensmüde Ballerina auf kaputten Sprungfedern, aber jetzt … quatscht er mich an: Unverletzt, wie es jemand, der gerade angefahren worden ist, nicht sein kann.

      Er beugt sich zum Fenster hinunter und sieht Galavance an, die sich immer noch mit durchgedrückten Armen ans Lenkrad klammert wie an den Querbügel einer Achterbahn kurz vorm Sturz. Sie kann sich gut vorstellen, dass sie leicht grün um die Nase ist. »Geht es Ihnen gut?«, fragt er mit hochgezogenen Augenbrauen und gesenktem Kopf, ein Bild der Unsicherheit.

      Nachdem sie die Tür aufgestoßen hat – sie schlägt ihm ins Gesicht, sodass sein Schädel mit einem dumpfen Knall gegen den Rahmen knallt –, übergibt sie sich auf seine Schuhe. So viel geschieht auf einmal: Er hält sich die Stirn, schaut auf die gelben Spritzer auf seinen Füßen und geht gleichzeitig rückwärts. Schließlich stolpert er über irgendwelchen Müll am Wegrand und plumpst mit seinem Hintern ins Gras. Dort bleibt er dann, und Galavance ahnt, dass er es wesentlich sicherer findet, als sich in ihrer Nähe aufzuhalten.

      Sie wischt sich ihr Kinn ab. Dann, als sei der Auswurf Vorbote eines weiteren gewesen, eines reumütigen Wortschwalls: »Jesus, ich bin echt die Allerletzte, nun sehen Sie sich das an – ich meine, sind Sie schlimm verletzt? Ich hab nur eine Sekunde nicht aufgepasst –, und Ihre Schuhe, Mensch, die schönen Elvis-Treter, total versaut. Ist mir voll peinlich, Mister. Hey, müssen Sie ins Krankenhaus? Der Wagen läuft noch, oder soll ich mit dem Handy … also, was haben Sie jetzt vor?«

      Kotze auf den Schuhen, ein dezent ruinierter Anzug, leichte Kopfschmerzen und ein Wehwehchen mehr am Körper, das die Krabbler beizeiten ausbügeln müssen, aber er schätzt sich dennoch glücklich, weil er früh genug wegspringen konnte und nicht überfahren, sondern nur gestreift wurde. Trotzdem ist das kein Morgen, wie er ihn sich wünscht.

      Er hustet sich in die Hand und besieht sie. In den Speichelspritzern macht er drei schwarze Pünktchen aus: Nanobugs, die das Zeitliche gesegnet haben. Akku leer. Ovid, sein Confab-Betreuer, würde ungefähr jetzt sagen: »Irgendwann kriegst du keine mehr, Zilch.«

      »Wo sind wir?«, fragt er automatisch, als er die Tropfen an seinem Hosenbein abwischt. Ihn beschleicht dieser Verdacht, doch er traut seinem Gedächtnis nicht vollends, also könnte – bitte, hoffentlich – im Zuge des Beckett-Prozesses etwas schiefgelaufen sein. Vielleicht erinnerte er sich nicht richtig an den Straßennamen, vielleicht ging bei der Umwandlung von Tod zu Nichttod etwas verloren. Er möchte es bestätigt haben.

      »Kit Mitchell Road«, antwortete sie, als sei es ein zusammenhängendes Wort. Sie spricht mit einem niedlichen Akzent – leicht melodiös, ein Südstaaten-Singsang. Er rechnet fast damit, dass sie gleich Kautabak rotzt oder eine abgesägte Flinte vom Rücksitz zieht.

      »Aber das ist North Carolina, richtig? Bezirk Franklin County?«, hakt er nach und begutachtet wieder seine besudelten Schuhe. Na ja, es sind ja sowieso nicht seine eigenen. Kein großer Verlust. Trotzdem, nasse Slipper? Kotznasse Slipper? An einem Sommertag? Fantastisch.

      »Richtig«, erwiderte sie. Selbst dieses eine Wort äußert sie mit Zungenschlag. Nachdem sie ausgestiegen ist, tritt sie vorsichtig näher, als habe er eine Flasche Nitroglyzerin geschüttelt. »Und Sie kommen auch bestimmt wieder auf die Beine, ja?«

      Als er zu ihr aufschaut, muss er der Morgensonne wegen blinzeln, die den Kopf des Mädchens mit einem Strahlenkranz versieht. »Ich bin von Natur aus so blass, falls Sie darauf anspielen. Schon vor meinem … Ach, vergessen Sie's.«

      Er steht auf. Das war eindeutig, nicht wahr? Der Akzent, wie schnell man sich doch wieder daran gewöhnt. Sein letzter Sprung nach North Carolina ist Jahre her, und was das angeht: Wieso muss er gerade jetzt hierherkommen? Wie lautet die Vorgeschichte?

      »Find's raus«, murmelt er und muss sich noch einmal abklopfen, nun da er sich aufgerafft hat. Es bringt nichts, er bleibt schmutzig.

      »Verzeihung?«

      Er sieht sie an. »Gibt es hier irgendwo ein Münztelefon?«

      »Ein Stück weiter die Straße rauf. Werden Sie die Bullen rufen?« Er bemerkt, dass sie eine Hand auf einen breiten, flachen Gegenstand legt, der in einer der Taschen ihrer figurbetonten Kakihose steckt. Sie besitzt ein Handy, fürchtet sich allerdings sichtlich davor, was geschehen mag, falls die Polizei herbestellt wird. Große Angst hat sie. Und große Rehaugen.

      »Ich sollte mich nicht mit Ihnen unterhalten«, meint er. »Ich muss aber jemanden erreichen, und als ich zuletzt hier war, gab es hier kein Internetcafé. So wie es aussieht – deutlich anders zwar –, scheint diesbezüglich alles beim Alten geblieben zu sein.«

      Die Kleine sagt nichts dazu. Sie ist sprachlos. Bestimmt lässt sie die vielen Dokus über wahre Verbrechen Revue passieren, die sie in der Glotze gesehen hat, oder schlimmer noch, spielt mit dem Gedanken, ihm ein für alle Mal den Garaus zu machen, ehe sie ihn von irgendeinem Inzucht-Cousin hinterm Plumpsklo ihres Hauses verscharren lässt, der dann Katzenurin auf die Stelle gießt, um den Geruchssinn der Polizeihunde zu verwirren.

      Ihr Auto, rosa wie Pepto-Bismol-Medizin gegen Verdauungsbeschwerden, schnurrt nach wie vor im Leerlauf.

      »Ist das Ding noch fahrtüchtig, was meinen Sie? Der Motor klingt okay.«

      »Mein Wagen?«

      »Ja.« Er muss in die Gänge kommen. Selbst wenn er einen Onlineanschluss findet oder sich unmittelbar mit der Confab in Verbindung setzen kann, fällt ihm das Erledigen seiner Aufträge schwer. Jetzt hat er schon … wie viel Zeit auf dieser Straße vergeudet? Eine Stunde? Er wird der Confab sagen, dass es unvermeidbar war, mit jemandem zu sprechen. Musste er ja auch. Würden sie dann ein Auge zudrücken? Schwer zu sagen.

      »Nur zu«, seufzt sie.

      Er runzelt die Stirn. »Wie bitte?«

      »Nehmen Sie ihn. Nach dieser Sache geschieht es mir recht, wenn ich beklaut werde.« Sie hält ihm ihren Schlüsselbund vor, dessen Anhänger, ein Hasenfuß, passenderweise pink ist. »Nur zu, nehmen Sie ihn, er wurde erst gestern Abend vollgetankt. Ich erstatte keine Anzeige. Dafür kriegen Sie bestimmt noch ordentlich Kohle von Hehlern, falls Sie alles abmontieren, was nicht original ist.«

      »Nein,