AFTERTASTE - Jenseits des guten Geschmacks. Andrew Post. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andrew Post
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958353251
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Immerhin hab ich Sie angefahren, und zwar schnell, doch Ihnen ist gar nichts passiert und …«

      »Sie wollen wissen, was ich arbeite.«

      »Genau. Sie meinten, Sie seien Prokurist, und dann noch irgendwas von Lusus oder so ähnlich, aber … sonst kam nichts mehr.«

      Da sich an der nächsten Kreuzung Schlangen in jede Richtung gebildet haben, müssen sie wieder warten, bis sie ihren Weg fortsetzen können. Galavance schaut langsam von dem Minivan weg, der vor ihnen angehalten hat, und sucht Zilchs Blick. »Was …?« Mehr bringt sie nicht heraus.

      Er nickt, da er weiß, was sie hören möchte.

      Darum erzählt er ihr es.

      Daraufhin lacht sie.

      Als die Ampel auf Grün springt, schüttelt sie den Kopf und fährt einhändig weiter, während sie mit der anderen eine Zigarette aus einer Schachtel schüttelt. Zilch ist jetzt ohne Zweifel so fassungslos wie nie zuvor. Bisher hat er erst eine andere Person eingeweiht. Er war betäubt worden, und dieser Einzige, dem er es erklärte, drohte ihm mit einer Kettensäge, also hatte er ihn sozusagen einweihen müssen, vollständig mit allen Einzelheiten. Zum Glück kam dieser Kerl mit seinem Wissen nicht sonderlich weit (Zilch zerquetschte ihm den Schädel, um sich doppelt abzusichern), doch hier packte er freiwillig aus und legte alles dar, so gut er konnte, Confab hin oder her. Irgendwie wollte er bei alledem über diesen Aspekt ihrer Beziehung Bescheid wissen, also ob sich Jolby jemals nach unten begeben habe oder nicht. Sobald sie damit herausrückt, hat er ihr noch etwas zu sagen. Er spürt, wie die Fassade bröckelt, hinter der er verdrängte Abschnitte seines Lebens hütet, und spürt den Schmerz von Neuem, nun da das Siegel bricht.

      »Warum flippen Sie nicht aus?«, fragt er zunächst. »Ich erzähle Ihnen, dass ich von den Toten auferstehe und hergeschickt werde, um bestimmte Aufträge zu erledigen, doch für Sie ist das alles in Ordnung, von vorne bis hinten.«

      »Was denn? Wollen Sie, dass ich ausflippe?«

      »Nein, bestimmt nicht. Ich bin bloß überrascht, das ist alles. Wahrscheinlich befürchte ich, die Reaktion könnte verzögert einsetzen, und weil wir mitten im Morgenverkehr stehen, wäre mir lieb, wenn sie nicht plötzlich ausrasten würden.« Sie sind von zahllosen anderen Fahrzeugen umgeben, die meisten viel größer als dieser schreiend pinke Spielzeug-Renner.

      »Ich glaube nicht, dass Sie noch irgendjemanden aus der Reserve locken können«, erwidert Galavance. »Heutzutage gibt es ja Krankheiten, da bleibt einem die Spucke weg. Kids tauschen online Videos miteinander, in denen sie sich betäuben und selbst ausweiden. Dabei ist die Rede von Schals, weil das Ziel darin besteht, die Därme weit genug herauszuziehen, um sie sich um den Hals zu wickeln. Lustig, was? Solches Zeug, und anscheinend wird die Welt insgeheim von Reptilienmenschen beherrscht, die in Tunneln unter uns hausen.

      Nichts schockt mehr, Punkt. Außer vielleicht, was alte Leute betrifft, und die sind alle ins Lager der selig Ahnungslosen übergelaufen, haben einfach für sich entschieden – ich weiß auch nicht –, es zu ignorieren, weshalb sie wohl, wenn man ihnen erzählen würde, dass benutzte Kondome auf dem Mond gefunden worden seien, unbeeindruckt mit der Frage kämen, ob man Kekse lieber mit Schokoladen- oder Erdbeermilch trinkt.«

      »Reptilienmenschen?«

      »Ich leiere mir den ganzen Stuss aus dem Kreuz, und das ist das Einzige, woran Sie sich stoßen?«

      »Reptilienmenschen? Plural? Mehr als einer? Sind Sie sich da sicher?«

      »Nun gut, gesehen wird immer nur einer, also Reptilienmensch. Glaube ich. Das bedeutet nicht, dass da nicht mehr sind. Müsste allein von der Logik her so sein, oder?« Sie schmunzelt. »Um einen Reptilienmenschen zu zeugen, braucht es eine Reptilienmama sowie einen Reptilienpapa, die einander ganz doll liebhaben und sich auf besondere Weise umarmen, sodass …«

      »Wie groß?«

      »Ich hab keinen blassen Dunst, Mann. Fragen Sie die vielen Bekloppten im Internet.« Sie spuckt diese Worte entrüstet aus.

      »Sie denken also doch, ich sei verrückt.«

      »Wer ist denn momentan überhaupt noch ganz bei Trost? Es kommt darauf an, dass man lernt, wie die Irren ticken, und sich arrangiert. Ich habe Freunde, die schwören Stein und Bein, sie seien Vampire. Einer behauptet stur, dass er an der Decke entlanglaufen kann, wenn er high ist, aber das funktioniert angeblich nur, solange niemand zuschaut. Ich will also nicht zickig sein oder so, aber Sie müssen einfach zu sich selbst stehen.«

      Fast hätte er ihre Absprache vergessen, doch als er sie in die Pflicht nehmen will, auf seine Frage einzugehen, reißt sie das Lenkrad nach rechts herum.

      »Da wären wir«, sagt sie in der Einfahrt auf einem Parkplatz. Die Vorderseite des Big Fat Frenchy's grellbunt zu nennen wäre untertrieben: aufwendige Neonreklame, optisch als Mischung zwischen Pariser Puff und Steampunk mit dem Flair der Achtziger inszeniert. Künstlich gealtertes, aber in Wirklichkeit wetterbeständiges Styropor wie bei den »gekenterten« Segelschiffen in Disneyland. Spritzgussformen, die nach zersplittertem Holz aussehen sollen, aber total unecht wirken, zumal sich die Farbe bereits löst und abblättert, sodass der strahlend weiße Gips darunter den Zauber aufhebt.

      Galavance zieht die Handbremse so unwirsch, dass das Knarren Zilch erschreckt. »Die Einkaufsmeile ist gegenüber«, sagt sie und drückt die Fahrertür auf. »Entschuldigen Sie, dass ich nicht noch länger mit Ihnen plaudern kann, aber ich komme zu spät zu meiner Entlassung. Alles Gute Ihnen, es war interessant und spannend, auch wenn ich es eigentlich nicht schön fand. Bis die Tage.«

      Zilch steigt schnell aus und ruft: »Aber wir hatten doch eine Abmachung.«

      Sie geht rückwärts, während sie den oberen Knopf ihres Poloshirts öffnet. Ihre Antwort kommt als gedämpfter Ruf, bestimmt aus Angst davor, ihre Kollegen drinnen würden sie hören, als könnten sie anhand der simplen Antwort, die sie gibt, überhaupt eruieren, wie die Frage lautet: »Nein, das letzte Mal ist lange her, und selbst früher geschah es nur selten.«

      So lässt sie ihn am Wagen stehen, dreht eine elegante Halbpirouette, drückt die Eingangstür auf und ist weg. Zilch braucht einen kurzen Augenblick, um dem rasch schwächer werdenden Gefühl von Frische nachzutrauern, das ihm die Lüftung des Cavaliers bescherte. Nun steht er in der schrecklich schwülen Hitze mitten in der Sonne. Sobald ihre Strahlen auf seinen Rücken treffen, kommt es ihm vor, wie auf einem Grillrost zu liegen. Er starrt die Tür an, durch die Galavance verschwunden war, und das Glas wirft ein dürres Spiegelbild von ihm zurück. Als er sich selbst in die Augen sieht, wendet er sich ab.

      Ist besser so, du hast schon zu viel geplappert. Sei bloß froh, dass sie es nicht geschluckt hat. Sie wird diesen Morgen als schlechten Traum abhaken. Sich einreden, es sei anders gewesen, und ein Reh oder etwas ähnliches – ein Hund – habe ihren Wagen beschädigt. Ohne jegliche Spuren von ihm nach ihrer Begegnung mag sie ihn aus ihrem Gedächtnis verbannen. Er tat gut daran, genauso mit ihr zu verfahren.

      Ihm kommt wieder in den Sinn, weshalb er hier ist.

      Er betrachtet die Crabtree Valley Mall auf der anderen Straßenseite, ein Zerrbild hinter Luftschlieren. Die Hitze, die der Asphalt der Fahrbahn zwischen Restaurant und Einkaufszentrum in Wellen abstrahlt, ist extrem. Zilch zieht sein Jackett aus und schwingt es sich an zwei Finger gehakt über eine Schulter. Als er hinübergehen möchte, springt die Ampel um, weshalb er sich beeilt. Jedes Mal, wenn er zu tief einatmet, muss er wegen der teerhaltigen Luft trocken husten. Galavances Freund steht also nicht auf Fellatio – eigentlich ein gutes Zeichen unter den gegebenen Umständen, aber …

       Vergiss es. Da hast du dich nicht einzumischen. Du bist nicht hier, um Beziehungen zu kitten, sondern sollst Fehler ausmerzen, wo Mutter Natur die Zügel hat schießen lassen. Vergiss das nicht.

      Er wartet am Fußgängerüberweg, hastet auf die Straße, sobald er darf, und schlägt einen schnellen Schritt an, während die Dauer der Grünphase in roten Ziffern heruntergezählt wird.

      »Sie wird schon eine Lösung finden«, sagt er sich leise, im Bestreben,