AFTERTASTE - Jenseits des guten Geschmacks. Andrew Post. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andrew Post
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958353251
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ein Speiselokal, meinen Sie? Na, dann muss ich mich ja umso nachdrücklicher entschuldigen.« Bevor sie zum Kontern kommt, fällt ihm wieder ein, dass er nett sein wollte. »Und gefällt Ihnen die Arbeit?«

      Die Straße ist immer noch nicht asphaltiert, und weil sie die Kurven sehr schnell nimmt, sieht er kommen, dass der Wagen die Bodenhaftung verliert – das kann von einer Sekunde auf die nächste passieren – und sich überschlägt, sodass sie sich alle Knochen brechen und die Schädel zertrümmern, bevor sich die Mühle um einen Baum wickelt wie ein Teigfladen um eine mit Mehl bestäubte Rolle. Er entsinnt sich einer besonders heiklen Biegung, die erst noch kommt, doch Galavance macht keinerlei Anstalten, zu bremsen.

      In der Kurve spürt Zilch dann, wie er vom Sitz abhebt. Der nicht serienmäßige Acht-Punkt-Sicherheitsgurt hält ihn fest, aber er langt dennoch nach einem gummierten Griff, der auf die Armaturen geschraubt wurde.

      »Ich kann eben meine Rechnungen davon bezahlen«, erklärt sie lapidar. Sie fährt anscheinend immer wie der letzte Henker.

      »Was steht auf Ihrer Speisekarte?«, fragt er weiter, sobald sie auf der nächsten Geraden sind.

      »Französische Küche, aber auf die Staaten zugeschnitten.«

      Das ergibt Sinn angesichts des Namens. Er möchte mehr von diesem Laden wissen, etwa inwieweit das Futter auf die USA gemünzt wurde und wie viele Sterne – falls überhaupt – er hat oder wie groß die Küche ist, doch da er sich nicht entscheiden kann, was er zuerst fragen soll, kehrt wieder Stille im Auto ein, und die wird ein wenig unangenehm.

      »Was ist mit Ihnen? Womit verdienen Sie Ihre Kohle, Mr. Zilch? Oder sind Sie einer von diesen Zeitgenossen, die sich absichtlich anfahren lassen, um gemeinsam mit einem Anwalt Versicherungen übers Ohr zu hauen?«

      »Um Himmels willen, was ist nur mit Ihnen los? Wurden Sie als kleines Mädchen von einem Rudel tollwütiger Anwälte gejagt, oder was?«

      Jetzt lacht sie. »Schon gut, schon gut.«

      Er grunzt und will sich in die Polster sinken lassen, doch die Riemen des Haltesystems bleiben unter seinen Achselhöhlen und im Schritt hängen wie bei einem Kindersitz. Außerdem spannen sich nicht einer oder zwei, sondern wirklich drei an seiner Brust wie Patronengurte. Er ist allerdings froh, sie angelegt zu haben. Keine Kurve, in der Galavance nicht schlittert.

      »Ich bin Prokurist«, behauptet er und beißt sich sofort auf die Zunge. Halt besser die Klappe. Ihr haarsträubender Fahrstil verleitet ihn dazu, sich um Kopf und Kragen zu reden.

      »Sie stecken Ihren Finger also hinten in anderer Leute …«

      »Nein, Prokurist, nicht Proktologe.« Na, immer noch besser, als die Katze aus dem Sack zu lassen. Mit einem langen Seufzer fügt er hinzu, obwohl er sich selbst dafür hasst: »Vergessen Sie alles, was ich gesagt habe. Ich will Ihnen nicht das Ende verderben und dürfte im Grunde gar nicht …« Er bricht ab und schaut zum Fenster hinaus. Wenigstens hat er sich den Rest verkniffen.

      »Welches Ende verderben?« Zu spät, sie ist neugierig geworden.

      »Sie wissen schon, was später geschieht.« Er schnaubt und fährt brummelnd fort, sodass sie es schlecht versteht: »Was ich daraus mache jedenfalls.« Themenwechsel. Sofort.

      »Welches Ende?«

      »Das Ende des Lebens, zufrieden? Was am Ende Ihres Lebens geschieht.« Das spricht er laut aus, und offen gestanden würde es auch in seinen Ohren, wenn er so etwas zu hören bekäme, ziemlich unheilvoll klingen.

      »Alles klar, ich glaube, ich halte dann jetzt besser mal an.«

      »Warten Sie, ich wollte nicht … Nein, ich habe nicht vor, Sie umzubringen oder so …« Er stöhnt. »Hören Sie, immerhin haben Sie gefragt.«

      »Richtig, aber da war noch keine Rede vom Ende des Lebens und solchem Scheiß. Ich denke, falls Sie mich jetzt anzeigen wollen, ginge das okay. Ich könnte wohl selbst Ansprüche geltend machen.« Sie setzt einen Blinker, woraufhin der Wagen erst mit einem Reifen, dann einem zweiten ins Gras am Straßenrand abdriftet. Zweige schlagen auf die Windschutzscheibe.

      »Halten Sie nicht an«, sagt Zilch, keineswegs befehlshaberisch, sondern in einem flehentlichen Ton. Er rutscht im Sitz hoch, um sich ihr beim Sprechen weiter zuzuwenden, doch wieder hindert ihn der Gurt. Darum öffnet er ihn und entledigt sich der Tentakel aus Nylon. »Bitte«, fügt er mit zusammengeschlagenen Händen fort. Draußen ist es heiß, und er will nicht zu Fuß nach Raleigh. Da er die Entfernung kennt, würde er ohne Geld für einen Bus und weil er nicht so aussieht, als würde er das Mitgefühl derer erregen, die manchmal Tramper mitnehmen, noch länger in North Carolina festsitzen.

      Sie rumpeln aber weiter, immer noch nur halb auf der Fahrbahn und mit ungefähr fünfundvierzig Meilen die Stunde. Er sieht, wie sie bemerkt, dass er nicht mehr angeschnallt ist. Sie grinst heimtückisch, was er von jemandem, der so niedlich aussieht, nicht erwartet hätte.

      »Wissen Sie was? Ich könnte jederzeit auf die Bremse treten, dann würden Sie einen feinen Abflug hinlegen, Mister, denn mein Freund hat super gute eingebaut.«

      »Tun Sie's doch«, provoziert ohne Bedenken. »Würde nur ein bisschen wehtun.« Damit dreht er seinen Kopf schwungvoll zur Seite, damit sie die rechte Gesichtshälfte sieht, die eben noch aufgeschürft war. Jetzt ist die Wange zugeheilt, die Haut nicht im Geringsten zerkratzt. Keine Narben, nichts. Er blufft jedoch nur. Vermutlich täte es mehr als nur ein bisschen weh. Sehr.

      Er sieht, dass sie sich wundert. »Was zum …« Sie lenkt in die Gegenrichtung, bevor sie noch weiter von der Straße abkommt, bleibt aber von seinem wieder glatten Gesicht gebannt, also gerät der Wagen ins Schlingern. Zilch greift ihr ins Lenkrad, um dabei zu helfen, wieder geradeaus zu fahren, denn auf der Gegenspur nähert sich ein Van. Endlich reißt sie ihren Blick von ihm los und konzentriert sich wieder auf die Straße. Nachdem das andere Fahrzeug vorbeigezogen ist, nimmt sie seine Hand vorsichtig vom Steuer weg, als sei sie zum ersten Mal mit ihm ausgegangen, und er begrapsche eines ihrer Beine.

      Während sie wieder die Fahrbahn im Auge behält, fragt sie: »Wie kann es sein, dass … ihr Gesicht …«

      »Bringen Sie mich einfach nach Raleigh, mehr verlange ich nicht. Wo ist Big Fat Frenchy's, auch dort?

      Galavance ist rot geworden, an ihren Wangen zeichnen sich vollkommen kreisrunde Flecke ab, als sei sie plötzlich eine Geisha. »Ja«, antwortet sie. »Es ist in Raleigh. Gegenüber der Crabtree Valley Mall.«

      »Kaum zu fassen, aber genau dorthin wollte ich.«

      »Zur Einkaufsmeile?« Sie schürzt angesäuert die Lippen. Ihre Stimme hört sich an, als sei sie nicht richtig bei der Sache. Als er sich ihr wieder zukehrt, zwinkert sie rapide. Sie tut sich nach wie vor schwer damit, zu begreifen, was sie gesehen hat: Sein sauber verheiltes Gesicht, nachdem es wenige Minuten zuvor noch aufgerissen war. Zilch denkt sich, einen Elefanten durch Umkehrosmose in einen Banktresor zu zwängen sei leichter.

      »Irgendwo muss ich anfangen, und dazu eignet sich kein anderer Ort besser«, plappert er laut denkend. »Viele Menschen, viel Gemauschel. Vielleicht finde ich so in Rekordzeit heraus, wieso ich hier bin, und mit welcher Lusus ich mich auf dieser Tour herumschlagen muss.« Als er zum letzten Mal hier war – lebendig –, gab es zudem noch ein Internetcafé. Es würde die Kontaktaufnahme mit der Confab erheblich vereinfachen, denn die Verbindung zu ihnen über öffentliche Telefonzellen ist für gewöhnlich ein einziger Albtraum.

      »Mit welcher was Sie sich herumschlagen müssen?«, hakt Galavance schrill nach, doch ehe Zilch erklären kann, folgen ein Kopfschütteln und: »Nein. Nein, nein. Passen Sie auf, Folgendes: Ich will nur zur Arbeit, kapiert? Und falls Sie nur mitfahren möchten, cool. Wiederholen Sie aber bitte noch einmal das Wort, das Sie gerade gesagt haben, denn …«

      »Lusus. Lusus naturae, und Sie sollten es eigentlich nicht hören.«

      »… denn das Leben ist zu kurz, um sich damit aufzuhalten, alle Leute verstehen zu wollen. Davon abgesehen, selbst wenn man es doch könnte und nachvollziehen