AFTERTASTE - Jenseits des guten Geschmacks. Andrew Post. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andrew Post
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958353251
Скачать книгу
zu versorgen hat?«

      »Sie haben einen Freund«, sagt Zilch. Es ist keine Frage, und er schaut sie an, weil sie nicht sofort antwortet.

      »Jaaa«, bestätigt sie dann doch so gedehnt, wie sie kann, und klingt dabei abgeschlagen.

      Jetzt erkennt er es endgültig. Sie weist alle Züge einer Frau auf, die nach und nach von ihrem Partner erdrückt wird. Sie alle aufzuzählen würde länger dauern, als er hierbleibt, doch es genügt wohl festzuhalten, dass man, wenn man mit einer Person zusammenlebt, die seelisch auslaugt, dies augenfälliger nach außen trägt, als es bei der Beulenpest der Fall wäre.

      Grün. Draußen gerät Chewbacca außer Sicht, als sie träge vorwärtsrollen. Was auch immer den Verkehrsfluss behindert hat, muss verschwunden oder aus dem Weg geschleppt worden sein. Just als alle aufgehaltenen Pendler Gas geben, ungehindert nunmehr und endlich ohne zu hupen, geht Galavance aus sich heraus.

      »Falls man ihn so nennen kann. Also, ›Freund‹ wenigstens in der Hinsicht, dass er ein Mann ist, oder genauer gesagt, wenn man ihn einem Persönlichkeitstest unterziehen würde, käme heraus, dass ein Vierjähriger im Körper eines Sechsundzwanzigjährigen steckt, und was die konkrete Bedeutung des Wortes angeht … Nun ja, normalerweise behandeln Freunde einander nicht wie den letzten Dreck. Zumindest hält die Freundschaft dann sowieso nicht lange, doch meiner, mit dem hab ich einen tollen Fang gemacht.«

      Zilch stellt die Sorgen bezüglich seiner Kontaktaufnahme mit der Confab hintan, allerdings nicht bewusst. Es geschieht einfach in gleicher Weise, wie er beim Blick über jene Grabmäler ein leises, aber eindringliches Wispern hörte und feststellte, dass die Inschriften Personen benannten, die er einmal kannte, oder im Vorbeifahren an jenem einen maroden Gebäude, über dessen Scheunentor ein verrostetes Friedenszeichen hing. Was Galavance schildert, kratzt am Wachssiegel des Päckchens schlechter Lebenserfahrungen, das Zilch tiefer in seinem Unterbewusstsein im letzten Winkel weggeschlossen und noch dazu eingemauert hat. Teufel auch. Mühelos freigelegt.

      »Warum trennen Sie sich dann nicht von ihm?«, fragte er einfühlsam.

      »Kennen Sie meine Mutter?«

      »Was? Nein. Wieso?«

      »Weil Sie daherreden wie sie.« Galavance lächelt halbherzig. Er fragt sich, ob sie mit diesem müden Humor versucht, ein schlechtes Gewissen aufzuweichen, das sie haben mag, weil sie vor einem Fremden über ihren Freund lästert.

      »Wo arbeitet er?«, fährt Zilch fort, um wieder zur Sache zu kommen.

      »Er hat sich mit so 'nem Typen zusammengetan, Chev. Der macht auf Bauunternehmer und gibt vor, er könne Jolby bezahlen, aber ›Aufträge kommen einfach nicht rein‹, wie er behauptet. Ich weiß, dass sie den ganzen Tag in einem Haus herumhocken, wo sie eigentlich arbeiten sollten, Halo spielen und sich besaufen, wobei sie trotzdem allen weismachen wollen, dass sie nach Investoren oder anderen Baujobs suchen.«

      Jetzt ist er damit an der Reihe, für etwas Heiterkeit zu sorgen: »Nicht dass ich mich gern über Leute lustig mache, aber heißt Ihr Freund wirklich Jolby

      Galavance kichert. »Ja. Schätze, allein das hätte mich schon misstrauisch machen müssen, nicht wahr?« Dann seufzt sie. »Der gute alte Jolby. Seine Mutter lässt nichts auf ihn kommen, aber falls das Wort der Frau etwas gilt, die ihn tatsächlich bemuttert, ihm ein Dach über dem Kopf gibt und jeden Abend, wenn er nicht da ist, schlicht hofft, dass er nur irgendwo herumlungert, statt eine andere zu vögeln …« Sie unterbricht sich, holt tief Luft, zählt vermutlich bis zehn. Dann nimmt sie eine Hand vom Lenkrad und fasst sich ins Genick, als wolle sie sichergehen, dass der Verschluss ihrer Halskette noch hält oder keine Wirbel ausgerenkt sind. »Allerdings wäre mir das im Grunde egal, bloß könnte ich es nicht ertragen, allein zu leben, denke ich, und sei es, dass ich einen weiteren Grund neben all den anderen bekomme, um ihn zu hassen.« Nach kurzer Pause fügt sie hinzu: »Wahrscheinlich würde er sich herausreden, wenn es dazu käme. So etwas wie: Ich hätte ja meine Tage. Das mussten sich schon andere vorwerfen lassen.«

      Sie packt das Lenkrad fester, sodass es knarzt wie Leder.

      »Er ist also jeden Abend auf der Piste? Kriegt er Taschengeld von Ihnen?« Er lächelt spöttisch, fühlt sich aber nicht gut dabei.

      Ein verächtlicher Blick, der ihn vor den Kopf stößt. »Gott, nein. Das wäre ja noch schöner. Allerdings bedient er sich schon aus meinem Geldbeutel. Wir sprechen nicht darüber, doch wenn ich was am Automaten abhebe und am nächsten Morgen irgendwo anhalte, um einen Kaffee oder so zu kaufen – denn ob Sie's glauben oder nicht, manchmal stehe ich wirklich früh genug auf –, ist es schon merkwürdig, dass ich an der Kasse stehe und meine Karte benutzen muss, weil die Scheine auf rätselhafte Weise verschwunden sind.«

      Zilch hält das nicht länger aus. Sein Kopf dreht sich wie aus eigenen Stücken zur Seite und von Galavance fort, sodass er aus dem Fenster schaut. Er sieht den Himmel über Raleigh, der nun absolut wolkenlos ist, und die Sonne so hell, dass schon der Blick nach oben wehtut, selbst wenn er nicht direkt auf sie gerichtet wird. Obwohl sie die Fenster geschlossen und die Klimaanlage eingeschaltet hat, spürt er die Hitze immer noch, sogar durch die getönten Scheiben. Hoch oben herrscht reger Flugverkehr. Die Bahnen der Jets kreuzen einander, sodass sich ihre Kondensstreifen überlagern, verbinden. Stromleitungen, noch mehr Stromleitungen. Übergänge zwischen Gebäuden, die an Nabelschnüre erinnern, die Interstate, der Boden. Die Lkw und Pkw in der Umgebung sehen alle stromlinienförmig aus, röhrenartig, unvertraut, fremd. Die einströmende Luft riecht nicht mehr nach Tannennadeln wie draußen in der Provinz, sondern beißt mit einem leisen Hauch von Minze in der Nase.

      »Welches Jahr schreiben wir?«, fragt Zilch weiter.

      Galavance muss lachen. »Wollen Sie das ernsthaft von mir wissen?«

      Jetzt seufzt er. Es hat keinen Zweck. Er kann an nichts anderes denken. »Nehmen Sie sich meinen Rat in dieser Sache zu Herzen: Wenn Sie in Ihrer Beziehung die ganze Arbeit leisten und er keinen Finger rührt, kommt nichts Gutes dabei raus. Weder für Sie noch ihn.«

      »Wie ging das denn jetzt auf einmal? Sie haben gerade gefragt, welches Jahr wir haben, und dann … sind wir wieder beim vorigen Thema?«

      »Hören Sie …«

      »Nein, Moment. Wir zwei kennen uns erst seit wenigen Minuten, Mann, und Sie erteilen mir Ratschläge? Ich erkundige mich nach Ihrem Beruf, woraufhin Sie mir Bockmist auftischen und …«

      »Macht er es Ihnen mit dem Mund?«

      Das entsetzt sie vollends. »Was? Wie zum Donnerkeil sind Sie denn drauf, Mensch?«

      »Antworten Sie mir einfach. Ich will nicht wie ein Perverser daherkommen, sondern nur … das ist wichtig.«

      »Wichtig für mich, stimmt. Aber geht Sie das etwas an? Ich glaube nicht, dass es in irgendeiner …«

      »Ich möchte noch etwas ergänzen, also zu Ihnen und Ihrem Verhältnis, doch das geht erst, wenn ich mir Gewissheit verschafft habe, wobei es darauf ankommt …«

      »Zu erfahren, ob mein Freund es mir mit dem Mund macht?«

      Zilch blinzelt. »Richtig.«

      Galavance wechselt die Spur, weil sie die nächste Ausfahrt nehmen muss. Nach einem Schulterblick, mit dem sie sich vergewissert, gefahrlos einscheren zu dürfen, sieht er sie immer noch an. Die Tatsache, dass er bisher nur leises Flüstern im Walde gehört hat, mutet nahezu lächerlich an. Jetzt schreit ihn die Vergangenheit an, plärrt wie die Posaunen von Jericho. Er kann nichts dafür; er muss es wissen und hofft, dass sie in seinen Augen erkennt, wie viel es bedeutet. Denk einfach mal vorübergehend nicht an das ganze Gehabe, über das eigene Sexualleben zu sprechen sei tabu, sondern beantworte meine verdammte Frage.

      »Schauen Sie mich nicht so an«, bemerkt sie.

      »Bitte sagen Sie es einfach. Leckt er oder nicht?«

      Sie errötet. Jawohl, tatsächlich. »Na gut, falls ansonsten die Welt für Sie zusammenbricht, tu ich's, aber zuerst sagen Sie mir etwas.«

      Er