AFTERTASTE - Jenseits des guten Geschmacks. Andrew Post. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andrew Post
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958353251
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auf die dritte Stufe dort auf.«

      »Ach ja, und das sieht zwar nach einer Tür aus, doch sie lässt sich nicht öffnen.«

      »Das da im Boden ist kein Loch. Das nennt man unter Hausbesitzern Flair … oder so. Charme.«

      Galavance schlüpft in ihre Arbeitshose, streift Jolbys abgewetztes T-Shirt ab, wobei sie kurz abwägt, ob sie es sich wie Hulk Hogan von der Brust reißen soll, greift sich einen BH und zieht das Polohemd mit dem gestickten Schriftzug Big Fat Frenchy's auf der Brust an, das sie von ihrem Arbeitgeber bekommen hat. Sie betrachtet sich im Badezimmerspiegel, wobei sie sich mit zwei Fingern die Nase zukneift, und lässt dann ihren wasserstoffblonden Haaren so etwas wie eine Frisur angedeihen. Hier drin riecht es wie Jolby – nach Old Spice, Mentholkippen und danebengegangenem Urin, der sauer geworden ist wie Essig. Sie könnte eine ganze Flasche Reiniger im Raum verteilen, doch sein Mief würde trotzdem alles überdecken, womit sie aufwartet. Sie schminkt sich hastig, aber gekonnt.

      Beim Rausgehen in die Hitze ruft sie im Restaurant an und sagt ihrem Boss, dass sie ein paar Minuten später kommt. Der Kerl, der tatsächlich zwei Jahre jünger ist als sie, schweigt sie einen Augenblick durch die Leitung an. Er zuckt vermutlich mit den Schultern und erwartet, dass sie das errät, ohne ihn zu sehen.

      »Egal«, entgegnet er schließlich und schnauft noch eine Minute lang in den Hörer. »Du weißt aber, dass Patty heute kommt, oder?«

      Galavance reißt die Augen auf. »Was?« Hat sich ihr Magen gerade wegen dieser Neuigkeit oder aufgrund der plötzlichen Hitze umgedreht, die ihr auf die Brust schlägt?

      »Ja-ha, Mann. Patty kommt. Weißt du nicht mehr? Der Quatsch mit den Testfilialen für neue Gerichte auf der Speisekarte. Sie sagt, sie will sichergehen, dass wir auf Draht sind und so, klar?«

      Sie trennt die Verbindung und stapft über die schimmelige Matte aus Kunstrasen, mit der sie die Vorterrasse ausgelegt haben. Nachdem sie einen Tanz zwischen den Hundehaufen des Nachbarköters und Bierdosen vollführt hat, die den Hof zu einem Minenfeld machen, steigt sie in ihren Chevrolet Cavalier in der Einfahrt, der pink wie Kaugummi ist. Laut Ziffernblatt des Thermometers, das an einer Seite ihres extragroßen Trailers hängt, sind es fünfunddreißig Grad, doch in der Karre könnte es glatt dreimal so heiß sein.

      Kaum dass sie den Motor gestartet hat, lässt sie alle vier Scheiben hinunter. Als sie ihre verchromte Gürtelschnalle mit einem Ellbogen streift, ist sie davon überzeugt, es zischen zu hören, weil das heiße Metall ihre Haut versengt. Beim Nachhausekommen am Abend zuvor hat sie vergessen, die Abdeckung über die Armaturen zu legen, weshalb sie sicher ist, dass ihre Finger am Lenkrad, einem schwarzen Ring, einsinken und sich nicht mehr ablösen lassen, falls sie den Mut aufbringt, es fest anzupacken.

      Nachdem sie den Wagen so lange hat laufen lassen, wie sie noch warten kann, wagt sie sich vorsichtig ans Steuer, indem sie probehalber zugreift und gleich wieder loslässt. Einigermaßen abgekühlt. Sie setzt in der Einfahrt zurück, rollt hinunter und schließlich vom Hof, ohne das Winken nur eines der Greise zu erwidern, die armselige Blumenbeete in ihren Vorgärten gießen, obwohl diese ihr zuwinken und dabei freundlich ihre Gebisse präsentieren.

      Glückliche alte Leute. Scheiß auf sie.

      Die schrille Farbe von Galavances Chevy Cavalier rührt von Jolbys Unfähigkeit her, seine Freizeit sinnvoll zu nutzen, als er noch im Baumarkt Home Depot angestellt war und auf Schicht arbeitete. Nachdem er sein Auto, einen Honda Accord, aufgemöbelt hatte, floss das ganze Geld, das er beim nächtlichen Füllen der Regale verdiente, in Modifikationen am Wagen seiner Freundin. Er schraubt gern an den Kisten herum, und warum sollte sie sich darüber beschweren, dass er ihr einen hübschen Schlitten zurechtmacht? Dass er ihr Fahrvergnügen bereiten wollte oder wie auch immer man es nennen mag. Im Gegenzug verlangte er nur, dass sie hinterher mit dem Ding posierte. Sie willigte ein, weil sie wusste, dass er selten etwas zu Ende führte. Sie brauchte sich voraussichtlich keine Sorgen darüber zu machen, ihr kleiner Bruder entdecke einmal Fotos von ihr im Internet, auf denen sie sich im Stringtanga auf der Motorhaube rekelt.

      Natürlich geschah das zu einer Zeit, als er noch Kohle reinbrachte, und sie ließ sich unter anderem aus dem Grund auf die Abmachung ein, weil sie ihn anspornen wollte, mehr freiwillige Schichten zu übernehmen. Leider beschloss er später, »gemeinsame Sache« mit seinem Spießgesellen Chev zu machen und ins Baugewerbe zu wechseln, was dazu führte, dass man bei Home Depot den Eindruck gewann, diese Nebentätigkeit lenke ihn ab, weshalb er entlassen wurde. Es stellte sich als Riesenkatastrophe heraus.

      Aber wartet, es wurde noch schlimmer.

      Chev und Jolby erhielten den Zuschlag auf den Bau eines Fertighauses in einem neu erschlossenen Siedlungsgebiet, doch ihr Freund behauptete dann, sie seien mit einem Trick zu diesem Auftrag verpflichtet worden. Die Ausschreibung sollte eine Finte gewesen sein, und man habe ihr Gebot mit Kusshand angenommen, weil das ganze Gelände andauernd, je nach wöchentlicher Niederschlagsmenge, ein bis zwei Fuß hoch überflutet ist. Zu spät, kein Rücktritt, es gehörte ihnen. Kauft ein Haus und versucht, es loszuschlagen, Herrschaften.

      Das bedeutet, dass sie nur daran arbeiten können, »wenn sie daran arbeiten können«. Was den Rest ihrer Zeit angeht, die sie angeblich auf der Suche nach geregelten Jobs zubringen, ist sich Galavance zwar nicht sicher, hegt aber den ziemlich starken Verdacht, Jolby und Chev würden sie schlicht in jener halb fertigen, halb unter Wasser stehenden Bude verplempern, indem sie sich Psycho-Pilze einschmeißen und dabei Dialoge aus dem Drehbuch von Völlig high und durchgeknallt nachspielen. Sie macht ihm nie Vorwürfe, weil sie es nicht genau weiß, doch wenn er mit derart blutunterlaufenen Augen nach Hause kommt, dass man meinen könnte, er habe Bleichmittel mit Augentropfen verwechselt, erklärt es sich mehr oder weniger von selbst, was er tagsüber so getrieben hat. Ihn deshalb anzugreifen würde tierischen Streit verursachen, also hält sie den Mund. Es lässt sich unmöglich beweisen, außer sie beobachtet ihn mit eigenen Augen dabei.

      Eines weiß Galavance aber definitiv: Drei ist für sie die magische Zahl, was Zigaretten angeht, denn so viele muss sie rauchen, um sich mental aufs Einstempeln vorzubereiten. Weniger, und sie hat das Gefühl, ihr Gehirn komme nicht richtig in die Gänge, doch werden es mehr, ist sie wiederum zu hibbelig. Drei, und zwar direkt aufeinanderfolgend, sind normalerweise genau richtig. Zu dumm nur, dass sie gerade ihr Feuerzeug nicht findet, um die erste anzuzünden …

      Sie kennt die Kit Mitchell Road wie ihre Westentasche. Fünfmal die Woche – sechsmal, wenn sie außer der Reihe gerufen wird – nimmt sie diese nette Nebenstraße, die sich durch bestellte Felder und ehemaliges Ackerland schlängelt, Letzteres ausgebaut zu noch mehr Sackgassen, wo auf der Suche nach bescheideneren, ruhigeren Verhältnissen zugezogene Nordstaatler ihre Midlife-Crisis gemütlich hinter sich bringen können. Galavance glaubt, sie könne ihren Blick einen Sekundenbruchteil lang abwenden. Neulich abends lag ein Mini-Einwegfeuerzeug dort unten im Beifahrerfußraum. Gestern hat sie es noch gesehen. Da ist es ja.

      Während sie die Flamme an die Kippe hält, schaut sie gerade lange genug auf, um einen blassen Mann in einem schwarzen Anzug zu sehen, dem sie sich schnell nähert.

      Er steht ihr seitlich zugekehrt da, hat ein Bein angezogen und die Arme ausgestreckt, als wolle er geradewegs auf sie zulaufen oder einen Fastball werfen. Sie hört ihn – »Ahhhh …« – doch er stürzt weder los noch schmeißt irgendetwas, denn der Fastball ist in dieser Situation Galavance. Sie hat keine Chance, auch nur gegenzulenken.

      Reifen quietschen, sie schreit, und er auch.

       Wupp-wupp.

      

      Kapitel 3

      »Oh mein Gott, ich hab gerade jemanden angefahren.« Galavance hält das Lenkrad mit beiden Händen fest, nachdem sie intuitiv zehn und zwei Uhr gefunden hat, so wie sie es in der Fahrschule gelernt hat, und stiert durch die Windschutzscheibe, in der sich Risse wie ein Spinnennetz ausgebreitet haben, über die Motorhaube hinweg. Scherben aus durchsichtigem Plastik liegen herum, die Einfassung eines Scheinwerfers rollt davon wie eine Münze. Der verchromte Kunststoff des Kühlergrills