»Viertelstunde, fünf Dollar –«
Zilch atmet lange und zischend aus. »Ja, ja, ja. Keine verfänglichen Seiten, hab's kapiert.« Er winkt verärgert ab und macht sich genervt vom Acker, wobei er die Hände demonstrativ in seine bedauerlicherweise leeren Taschen steckt.
Nun geht er dorthin zurück, wo er sich geborgen fühlt – zur Gastronomie –, und bittet den Verkäufer, der ihm einen Happen libanesisches Rind gegeben hat, um Wasser zum Trinken. Überrascht wie erleichtert stellt er fest, dass sich eines auf dieser Welt nie ändern wird: Man kann niemanden für einen schnöden Becher Wasser abkassieren. Zilch bedankt sich und nimmt auf einem Plastikstuhl an einem Plastiktisch Platz, um zu trinken. Es ist lauwarm und schmeckt nach Gummischlauch.
In einer Ecke des Sitzbereichs vor den Essenslokalen hat sich ein nerdiger Typ niedergelassen, dessen Laptop aufgeklappt dasteht, während er noch einen Softdrink ordert. Zilch ist versucht, hinüberzustürzen und das Gerät wegzuschnappen, um kurz online zu gehen und mit Ovid zu chatten. Es würde nur fünf Minuten dauern, der Kerl könnte es gleich wiederhaben. Wenn man jedoch solche Auftraggeber hat wie er, handelt man im Grunde genommen beispielhaft kontraproduktiv, wenn man weitere Minuspunkte sammelt, indem man noch mehr argwöhnische Blicke auf sich zieht, statt die Bilanz wie eigentlich angedacht auszugleichen. Keine krummen Touren, Saelig.
Fünf Mäuse. Ich brauche fünf lausige Mäuse, Mann.
Die laute Geräuschkulisse an diesem Ort mit den schreienden Kids, schreienden Eltern und der unsäglichen Musik, diesem typischen Samthandschuh-Jazz für Aufzugfahrten in komatöse Niederungen …
Er hält inne. Hat da etwa jemand NWA zur Berieselung aufgelegt? Aber ja doch, das ist Fuck Tha Police. Unbestreitbar.
Er verdrängt den Song. Konzentration auf das, was jetzt gerade relevant ist, Zilch. Er spricht leise mit sich selbst, aber bei all dem elektronischen Lärm und Gelaber der Gäste würde ihn so oder so niemand hören. »Warum bin ich hier? Gebt mir einen Hinweis, Leute. Ich hab nie behauptet, sonderlich schlau zu sein.«
Schließlich überfliegt er die Blätter in den Zeitungskästen am Eingang. Die Nachrichten betreffen bloß zusehends schwerere Gefechte im Ausland, den Zusammenbruch der örtlichen Regierung und andere erfreuliche Themen. Nichts deutet auf irgendeine Aufgabe hin, der Zilch Beachtung schenken müsste. Nein, keine Ungeheuer oder Dämonen, keine Lusus naturae hat es auf die Titelseite des News Observer geschafft. Nichts ausgesprochen Verwunderliches, aber trotzdem – bisweilen kommt es dazu, wenn wesentlichere Neuigkeiten Mangelware sind. Über Bigfoot wird immer noch von Zeit zu Zeit geschrieben.
Als Zilch in Versuchung gerät, mit dem Pappbecher an den anderen Plätzen entlangzuziehen und um Almosen zu bitten, knallt jemand einen Fünfer auf die gegenüberliegende Ecke seines Tischs. Er schaut auf, doch die Person, die es getan hat, läuft in unverändertem Tempo weiter. Es ist eine Frau, die den Eindruck hinterlässt, es eilig zu haben, und anhand des Klatschens ihrer Sandalen kann man noch eine Zeit lang ausmachen, wo sie sich in der Menge befindet. Er beobachtet sie, seine Kehle ist schon wieder ausgetrocknet. So etwas ist schon mehrmals geschehen. Es ist immer eine junge Frau mit wallendem Rock in einem ländlichen Karomuster, der hinter ihr her fließt und sich bewegt wie unter Wasser. Er sieht nur ihren Hinterkopf: mattblondes Haar, koboldartig kurz geschnitten. Es kann nicht sie sein, doch dann fällt sein Blick auf die nackte Haut an ihrem Rücken, wo ihre Seidenbluse ausgeschnitten ist, und ihm bleibt das Herz stehen. Schon wieder das?
Sogleich ist er auf den Beinen und geht hinterher, um ihr das Geld zurückzugeben – nein, zu verlangen, dass sie es zurücknimmt –, doch er gerät ins Stocken, sobald er ihre Tätowierung erkennt, zwei verschnörkelte Engelsflügel, die aus ihren Schulterblättern zu wachsen scheinen, und über dem Rocksaum in altenglischer Schrifttype: Schau, wohin du gehst.
Er kämpft gegen den Schwindel in seinem Kopf und die zittrigen Knie an, während er ihr nachgeht, wobei er mit dem Geldschein winkt. Sie braucht sich gar nicht umzudrehen, sondern ahnt wohl, dass er zu ihr aufschließt, und sprintet auf einmal los wie eine Marathonläuferin auf den letzten Metern ihrer Strecke. Sie gelangt fast unmenschlich schnell für jemanden mit solchem Schuhwerk, diesen goldenen Sandalen, durch eine Tür, die das Gebäude mit der Tiefgarage verbindet.
»Ich brauche deine Almosen nicht«, ruft er hinterher und sieht nur noch das Tattoo, dessen Umrisse er in zahllosen stillen Nächten mit den Fingern nachgezeichnet hat.
Zilch folgt ihr nach draußen, doch sowie er die Tiefgarage erreicht – im Schatten stehen bleibt, abermals in der Hitze, wo es nach Abgasen und Teer stinkt –, ist sie nirgendwo zu sehen. Er kann nicht mehr rennen und hustet, als würde er im Rauch stehen. Nachdem er sich beruhigt hat, verharrt er zähneknirschend mit in die Hüften gestemmten Händen und schaut sich um. Noch kein einziges Mal hat er sie eingeholt.
Dann sieht er den grünen Abe Lincoln an und fragt: »Glauben Sie, dass sie eines Tages tatsächlich anhält und mit mir redet, statt nur das Geld hinzulegen und zu verschwinden?«
Der alte Landesvater behält seinen neutralen Gesichtsausdruck bei und schweigt, genauso wie Jane. Sie sagt nie etwas, sondern lässt lediglich etwas Geld da und geht weiter. Es anzunehmen bereitet ihm ein beschissenes Gefühl, zumal sie es nur dann tut, wenn er es nötig hat, und es handelt sich immer um genau so viel, wie er braucht. Zilch faltet den Schein widerwillig in der Mitte und steckt ihn ein, nicht ohne kurz zu überlegen, ob er ihn in kleine Stücke zerreißen soll.
»Danke«, sagte er in die Garage hinein und hofft dabei, drinnen höre es ein Paar niedlicher Ohren, deren Läppchen er so gerne knetete und küsste.
Er geht mit dem Geld zurück zum Internetcafé. Der Betreiber kommt nicht von seinem Hocker hoch, ehe er sich seine eigene Masche vorhalten lassen muss: »Viertelstunde, fünf Dollar. Keine verfänglichen Seiten, ich weiß, Machen Sie die Tür auf.«
An einem PC in einer abgetrennten Kabine hinten im Raum schickt sich Zilch an, die zehn Passwörter für die Webseite der Confab einzutippen. Neun fallen ihm ein, doch er braucht sechs der fünfzehn Minuten, um sich an das letzte zu erinnern. Er gibt es ein, ruft das Arbeitsdialogfeld auf und loggt sich in sein Profil ein. Von dort aus gelingt es ihm wegen der klebrigen Maus erst beim zweiten Versuch, das Chatprogramm für Agenten und Betreuer zu öffnen. Ein paar Sekunden vergehen beim Ent-, Ver- und wieder Entschlüsseln. Endlich geht das Eingabefenster auf.
ZILCH: Bist du online, Ovid?
OVID: Ja, Saelig. Was kann ich für dich tun?
ZILCH: Pass auf, Schreibtischhengst, was soll das, mich hierher zurückzuschicken?
OVID: Was meinst du damit?
ZILCH: Stell dich nicht dumm. Du weißt, dass ich hier aufgewachsen bin.
OVID: Es handelt sich um einen Zufallsprozess, das weißt du.
ZILCH: Von wegen! Ich rieche, dass da was faul ist.
OVID: Was willst du, Zilch? Falls du auf etwas Konkretes hinauswillst, sag es lieber schnell. Ich hab Besseres zu tun.
ZILCH: Deine Notizzettel zu ordnen kann warten. Erklär mir, weshalb ich hier bin.
OVID: Weil kürzlich eine Lusus naturae in der Gegend gemeldet wurde. Normalerweise würde uns das nicht groß beschäftigen, doch sie taucht immer häufiger auf, und das gibt uns Grund zur Sorge. So kann das nicht weitergehen. ZILCH: Was für eine ist es?
Eine halbe Minute verstreicht.
ZILCH: Ovid, rede mit mir. Was soll ich hier tun? Ovid?
ZILCH: Bist du noch da? Ju-hu.
OVID: Benutzt du gerade einen öffentlichen Rechner?
ZILCH: Ja, na und? Das ist doch nur ein Videospiel, richtig? ;)
OVID: Bist du in einem