»Wunderbar. Wir kosten hinten einige unserer neuen Menüangebote. Ich habe die Karten mit den Rezepten selbst erst letzte Woche bekommen, wirklich spannende Gerichte. Möchten Sie mitkommen und auch probieren?«
Jetzt ist sie auf einmal eine Seele von Mensch, wieso bloß? Hat ihr Che-suus im Kühlhaus den Schritt mit seinem Schnurrbart gebürstet?
»Gern«, antwortet die Angestellte.
Während sie Patty folgt, stellt sie unweigerlich fest, dass der Hintern der Frau breiter ist als ihre Schultern. Als sie die Küche betreten, steht dort der Edelstahleinsatz eines Warmhaltebehälters, in dem noch zwei halbierte grüne Paprika übrig geblieben sind. Ihre Füllung ist offensichtlich angebrannt, grüne Oliven mit weißen Bröseln und irgendetwas Undefinierbarem.
Die anderen stehen herum und essen, doch es scheint niemandem zu schmecken. Die Küchenhilfen kauen artig, die Bedienungen sind alle auf »dreißig Kalorien pro Tag«-Diät und mümmeln, als wären sie ohne Proviant auf einem Berggipfel gestrandet und müssten sich nun am Ohr ihres besten Freundes gütlich tun. Patty hingegen gönnt sich einen dritten Nachschlag und nickt auffordernd, damit Galavance die letzte Schote nimmt.
Das Mädchen will gerade fragen, was das sei, doch die Leiterin erklärt es von selbst, als würde sie die Skepsis spüren. Das Ding auf dem Blech sieht selbst für Frenchy's unappetitlich aus.
»Grüne Paprika mit einer Füllung aus Knoblauch, Croûtons, Blutwurst und Ziegenkäse. Das kulinarische Inspirationsteam in unserer Firmenzentrale hat sie Poivrons farcis getauft.« Patty bemüht sich um eine französische Sprachmelodie, bloß dass ihr unvermeidbarer Akzent durchschimmert, der nach Südstaaten-Schmutz klingt (und damit sind beispielsweise Louisiana oder Alabama gemeint). Darum hört es sich nach einem Stotternden an, der versucht, einschmeichelnd daherzureden. Davon abgesehen hatte Galavance in der Highschool Französischunterricht – wenn auch nur aus dem Grund, um ihren Abschluss ein Jahr früher zu machen – und weiß, dass der Name jeder »Kreation« des kulinarischen Inspirationsteams von Frenchy's eins zu eins aus der amerikanischen Standardrezeptsammlung The Joy of Cooking ins Französische übersetzt wurde. Poivrons farcis sind auch wortwörtlich gefüllte Paprikaschoten.
Allerdings kennt sie sich nicht so gut in der französischen Küche aus, als dass sie wüsste, ob dieses Gericht so ähnlich schmecken soll wie eine geschmolzene Wandverkleidung aus Vinyl. Das tut es jedenfalls, und als sie nach dem Kosten zum Rest von Frenchy's Belegschaft schaut, stellt sie fest, dass sich alle darum bemühen, keine angewiderte Grimasse zu schneiden. Das schmeckt, wie eine ausgebrannte Meth-Küche stinken muss, und so was will ich nicht in meinem Mund.
»Also, wie finden Sie es?«, fragt Patty in die Runde, ehe ihr etwas einzufallen scheint. Sie brummt »Mm!«, wirft die Arme hoch und stürzt zu ihrem Rollkoffer. Nachdem sie ihre gefüllte Schote behutsam auf eine Serviette gelegt hat, blättert sie in einer Dokumentenmappe, zieht einen Stoß Blätter heraus und verteilt sie. Es handelt sich um einen Bogen zur Bewertung des Dings, das sie gerade verzehrt haben.
»Füllen Sie das bitte alle aus, wenn Sie fertig sind, und geben Sie es mir zurück. Denken Sie aber daran, dass die Mitarbeiter des kulinarischen Inspirationsteams zu Ihren Kollegen zählen und auch Gefühle haben, also seien Sie nicht zu kritisch.« Das musst ausgerechnet du sagen …
Da man keinen Namen angeben muss, kann Galavance ihre Meinung anonym kundtun und nutzt die Möglichkeit auch. Als Unterlage zum Schreiben benutzt sie die Theke, an der ihr Chefkoch für gewöhnlich Zutaten vorbereitet, und übt angemessen vernichtende Kritik an der »Neuschöpfung« der Arbeitsgruppe. Dabei geht sie sogar so weit, den Geschmack der Poivrons farcis mit jenem zu vergleichen, den eine gegarte Otter-Nachgeburt ihrer Auffassung zufolge haben mag. Als Patty das Haarnetz einer Küchenhilfe zurechtrückt und sichtlich abgelenkt ist, begreift Galavance dies als Chance, ihren Bogen verstohlen neben Pattys Tasche zu legen, und verdünnisiert sich, indem sie mit eingezogenem Kopf zurück ins Lokal geht. Sie kann sich nicht genau erklären, warum sie sich dazu genötigt sah, ihr völlig fremde Mitarbeiter derart herunterzuputzen, ist aber überzeugt davon, dass sie sich nach diesem außerordentlich anstrengenden – nein, von Anfang bis Ende beschissenen – Morgen ein bisschen Spaß der spitzbübischen, wenn auch bösartigen Art erlauben darf.
Noch etwa eine Stunde vergeht, bevor die Regionalleiterin aufbricht und ihr Gepäck hinter sich herzieht wie ein fettes Kind einen Bollerwagen. Galavance geht zum Fenster, weil ihr, kaum dass sie das Bewertungsblatt abgab, in den Sinn kam, Patty könne sich kurz Zeit nehmen, die Kritiken in ihrem Wagen zu überfliegen. Jetzt quält sich die Frau mit ihrem umfangreichen Leib und flucht, so wie es aussieht, während sie sich in ihren Viertürer zwängt. Gleich darauf fährt sie mit laut aufgedrehtem Country Pop aus dem Radio los.
»Auf Nimmerwiedersehen, Zimtzicke«, flüstert Galavance, damit keiner der Kunden, die ringsum sitzen, sie hört. Zugegeben, das war kein sonderlich einfallsreicher Spruch, doch es zu sagen hat gutgetan.
Sie dreht sich zur Seite, um dem Auto frohen Mutes hinterherzuschauen, während Patty vom Parkplatz abbiegt und sich entfernt. Ihr Blick fällt auf ihren eigenen Wagen, auf dessen Motorhaube Zilch sitzt und zwischen seinen Zähnen pult.
Sie reißt die Augen auf. Der schon wieder!
Nachdem sie in die Küche zurückgekehrt ist, verschnürt sie einen Müllsack und trägt ihn durch die Hintertür zum Abfalleimer, ihr Vorwand zum Verlassen des Gebäudes.
Als sie die Tür aufreißt, verkneift sie es sich, müde zu stöhnen, da ihr die Hitze entgegenweht wie eine radioaktive Staubwolke. Sie hält den Sack seitlich und nähert sich dem Mann auf ihrer Motorhaube.
»Was willst du hier?«, fragt sie mit einer Hand über den Augen, da anscheinend alle Windschutzscheiben in der Umgebung das Sonnenlicht in ihr Gesicht reflektieren. Bisher hatte sie gehofft, er bleibe nur eine flüchtige Begegnung, an die sie gelegentlich mit einem Lächeln zurückdenkt, und lediglich die zerbeulte Vorderseite ihres Chevrolet würde sie an ihn erinnern. Erst Patty, dann Jolbys SMS, und jetzt ist auch ihre kurzzeitige Erleichterung darüber, dass ihre Vorgesetzte von dannen gezogen ist, wieder vorbei. Das nervt. Nicht noch mehr Stress heute, bitte.
»Freut mich auch, dich wiederzusehen«, entgegnet Zilch, der offensichtlich bequem auf dem Cavalier sitzt. Er verweist auf die Haube. »Nennst du das einen Reiskocher?«
»Ihn zu tunen war allein die Idee meines Freundes«, sagt sie.
»Liegt das jetzt im Trend, Autos quietschbunt zu lackieren?«
»Mir ist im Grunde egal, wie die Karre aussieht. Die Arbeit gab Jolly wenigstens was zu tun«, plappert sie schnell. »Was willst du hier? Ich hab dich mit zum Einkaufszentrum genommen, und das ist es.« Sie zeigt darauf. »Was also noch?«
Er sieht sie missfällig an. Seine Augen sind dunkelgrau. »Meine Fresse, wer hat dir bloß in die Cornflakes gespuckt, Mädchen.«
»Ich bin heute mit dem falschen Fuß aufgestanden.« Sie hält sich eine Faust an die Stirn. »Sag doch einfach, was du willst, dann geh ich wieder rein. Eigentlich sollte ich während meiner Schicht nicht beim Quatschen mit irgendeinem Typen hier draußen gesehen werden.«
»Wo liegt das Problem? Deine Chefin ist doch abgerückt, oder? Die Lady, die vor 'ner Minute rauskam und aus welchem Grund auch immer geschimpft hat wie ein Rohrspatz.«
»Das war unsere Regionalleiterin Patty. Ist aber auch egal. Noch mehr Gerüchte und Tratsch über mich kann ich echt nicht mehr ertragen. Ich gelte schon als Nutte, die die Krätze und ein Baby von ihrem Vater hat.« Kurz fällt ihr die erste Schmiererei ein, die ihr gewidmet war. Sie hat sie nach ihrer Beförderung zur Bedienungsaufseherin auf der Toilette gesehen, geschrieben mit Kajalstift an eine Wand: Galavance hat schon mehr Schwänze weggesteckt als ein Profiboxer Schläge. Guter Vergleich, das musste sie den Lästerern lassen.
»Du hast dich von deinem Herrn Papa schwängern lassen? Schäm dich.«
»Genau