Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
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neueren Militärhistorikers wenigstens ein Teil seines Heeres ohne weiteres in eine Räuberbande verwandelt. Jähns, 3, 1939. - Über den Streit in der preußischen Militärliteratur vergleiche v. Bernhardi, Friedrich der Große als Feldherr, und Delbrück, Historische und politische Aufsätze, 227 ff., Über die Verschiedenheit der Strategie Friedrichs und Napoleons. Bernhardi und Delbrück sind die Vorkämpfer dieses Federkrieges. Bernhardis großes zweibändiges Werk enthält sonst vieles Lehrreiche, wie denn Bernhardi überhaupt zu den besseren bürgerlichen Historikern gehört, aber sein Grundgedanke von der napoleonischen Strategie Friedrichs ist völlig hinfällig. Delbrück widerlegt ihn auf wenig mehr als zwei Bogen durchaus treffend. An seinem Teil liefert Herr Delbrück aber wieder ein merkwürdiges Beispiel davon, welche seltsame Schlachten sich die ideologische und materialistische Geschichtsauffassung in demselben Kopfe liefern können. Als Militärhistoriker weiß Herr Delbrück zwar keineswegs in erschöpfender, aber immerhin in weitreichender Weise, daß die jeweiligen ökonomischen Zustände die Art der Kriegführung bedingen, und er versteht diese Wissenschaft gegen Bernhardi trefflich zu verwerten. Aber als Zivilhistoriker, wenn der Ausdruck erlaubt ist, feiert Herr Delbrück in demselben Bande seiner Aufsätze den preußischen Landrat als Verkörperung des »überlieferten germanischen Freiheitsbegriffs«, der »in diesem harten Staate dem Rechte und der Ehre fortzuleben ermöglichte«. Die Tatsache des Militärstaats Preußen paukt ökonomische Dialektik ein; die Ideologie des Rechtsstaats Preußen erzeugt ideologische Vorstellungen.

      Fast größer noch als die praktische war für Friedrich die psychologische Unmöglichkeit der napoleonischen Strategie. Er konnte nicht einmal im Traume darauf verfallen, sowenig wie etwa darauf, eine Feldeisenbahn oder einen Feldtelegrafen anzulegen. Auch das größte Kriegsgenie kann keine neue Strategie erfinden, die in letzter Instanz immer durch die ökonomische Entwicklung bestimmt wird. Die napoleonische Strategie heißt nicht so, weil sie von Napoleon erfunden wurde, sondern weil sie in den napoleonischen Kriegen zur höchsten Vollendung gelangte. Sie entstand ganz von selbst in dem amerikanischen Unabhängigkeitskriege. In ihm traten den englischen Söldnerheeren Rebellenhaufen gegenüber, die für ihre eigensten Interessen fochten, also nicht desertierten wie geworbene Truppen, die nicht exerzieren, aber desto besser aus ihren gezogenen Büchsen schießen konnten, die deshalb den Engländern nicht in Linie und auf freier Flur entgegentraten, sondern in aufgelösten Schützenschwärmen und in den deckenden Wäldern. Es ist schon ein sehr hohes Lob für Friedrich, wenn man sagt, daß er den amerikanischen Krieg genau verfolgte, um aus ihm zu lernen. Zwar klingt es noch recht ironisch, wenn er am 5. November 1777 an seinen Bruder Heinrich schreibt: »Wir beobachten die Washington, die Howe, die Bourgogne, die Carleton, um von ihnen diese große Kriegskunst zu lernen, die man nie erschöpft, um über ihre Torheiten zu lachen und um zu billigen; was sie gemäß den Regeln tun.« Aber die Unfehlbarkeit dieser »Regeln« scheint ihm doch zweifelhaft geworden, und die »Torheiten« der Washington scheinen ihm doch einigermaßen eingeleuchtet zu haben, denn kurz vor seinem Tode befahl er noch, einige Bataillone leichter Infanterie aus Landeskindern zu bilden, »Leute, die um sich wissen«, die das Terrain benützen lernen, die eine beweglichere und freiere, kurz, eine mehr jägermäßige Ausbildung erhalten sollten. Droysen, Leben von Yorck, 1, 50.

      Damit war Friedrich den gelehrten Kriegstheoretikern seiner Zeit und allen seinen Offizieren schon weit voraus. Die verstanden die neue Strategie noch nicht einmal, als sie schon handgreiflich mit ihr zu tun hatten, als in den französischen Revolutionskriegen der neunziger Jahre zusammengeraffte Bauernhaufen ihre sozialen Interessen gegen die mit den österreichisch-preußischen Söldnerheeren zurückkehrenden Emigranten in ähnlicher Weise verteidigten, wie die amerikanischen Farmer und Jäger gegen die englischen Söldner gekämpft hatten. Goethe erkannte mit dichterischem Seherblicke die Zeichen der Zeit, als er nach der Kanonade von Valmy den preußischen Offizieren sagte: »Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabeigewesen.« Aber seine Hörer verstanden ihn nicht, und das mag man ihnen auch nicht so sehr verdenken, denn Goethe selbst empfand wohl, aber erkannte nicht, was er sagte; wie hätte er sonst zwanzig Jahre später in dem Siebenjährigen Kriege einen »neuen höheren Lebensgehalt« entdecken können! Allein selbst gehäufte Erfahrungen belehrten die preußischen Offiziere nicht; die Söldnerheere blieben den französischen Freiwilligen auf lange hinaus noch in jedem Zusammenstoße taktisch überlegen, und doch war Frankreich nicht zu besiegen. An dieser Tatsache ließ sich nicht rütteln, indessen ihre Gründe vermochte man nicht zu entdecken; man behandelte sie schließlich als einen sinnlosen Unfug, der aller bewährten Kriegskunst spotte, aber wohl oder übel anerkannt werden müsse. So riet ein namhafter General der friderizianischen Schule, der Fürst von Hohenlohe-Ingelfingen, im Jahre 1794 zum Frieden mit Frankreich; von der Fortsetzung des Krieges sei ein günstiges Ergebnis nicht zu erwarten, da man »mit Narren eben niemals fertig« werde. Und ganz ähnlich äußerte sich gleichzeitig eine österreichische offizielle Denkschrift, »nach dem gewöhnlichen Laufe der Dinge« seien die Franzosen besiegt, aber sie brächen immer wieder mit »fürchterlicher Gewalt« wie ein »reißender Strom« hervor. Ja, noch in den Kriegen von 1813 bis 1815 stand unter den Generalen der europäischen Koalition – neben dem früh gefallenen Scharnhorst – nur Gneisenau auf der vollen Höhe der napoleonischen Strategie; er hatte deshalb namentlich mit seinen preußischen Unterbefehlshabern, den Bülow und Yorck, die heftigsten Kämpfe zu bestehen, und ebenso war er den verbündeten Monarchen, deren militärische Ratgeber. Knesebeck auf preußischer, Duka und Langenau auf österreichischer Seite, noch ganz in den militärischen Anschauungen des achtzehnten Jahrhunderts wurzelten, ein Dorn im Auge; in höfischen Kreisen spottete man über ihn und seinen Stab wohl als über Wallensteins Lager. Selbst bei Waterloo kam die Lineartaktik im englischen Heere noch zur praktischen Anwendung, ganz logischerweise, denn dies Heer bestand aus geworbenen Söldnern. Aber es wäre ohne die rechtzeitige Ankunft der Preußen unter Blücher und Gneisenau eben auch verloren gewesen. Dem preußischen Heere ging die napoleonische Strategie erst Jahrzehnte später in Fleisch und Blut über durch die klassischen Schriften von Clausewitz, und ein preußischer General hat auf das törichte Gerede von dem preußischen Schulmeister, der bei Königgrätz gesiegt habe, treffend geantwortet: »Jawohl, der Schulmeister heißt Clausewitz.« Über die ökonomische Entwicklung, die zur Umwandlung der friderizianischen in die napoleonische Strategie führte, siehe Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft, 140 ff. (Neuausgabe Dietz Verlag, Berlin 1952, S. 204-206. Die Red.) Will man die Überlegenheit des historischen Materialismus auch auf diesem Gebiete erkennen, so vergleiche man die Darstellung von Engels mit dem kriegsgeschichtlichen Abrisse von Clausewitz, Vom Kriege, 3, 91 ff. Es versteht sich, daß damit kein Schatten auf Clausewitz geworfen werden soll, dessen Schriften für das Erkenntnisvermögen seiner Zeit epochemachend waren und heute noch die vorzüglichste Quelle für die Theorie vom Kriege bilden. Engels selbst nennt ihn an anderer Stelle einen »Stern erster Größe«.

      Mit dem »Genie« der Feldherren ist es überhaupt so eine eigene Sache. In seiner Schrift gegen Dühring legt Engels dar, wie sich bei St. Privat, wo zwei Heere mit wesentlich denselben taktischen Formationen kämpften, unter dem furchtbaren Feuer der Chassepots die reglementsmäßige Kompaniekolonne auf deutscher Seite in einen dichten Schützenschwarm auflöste und im Bereiche des feindlichen Gewehrfeuers der Laufschritt die einzige Bewegungsart des Soldaten wurde. Er fährt dann fort: »Der Soldat war wieder einmal gescheiter gewesen als der Offizier; die einzige Gefechtsform, die bisher im Feuer des Hinterladers sich bewährt, hatte er instinktmäßig gefunden und setzte sie trotz des Sträubens der Führung durch.« Friedrich Engels, »Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft« [»Anti-Dühring«], S. 207. Die Red. Das klingt sehr respektwidrig, aber mit ein bißchen andern Worten, und sicherlich ohne jedes Plagiat an Engels, sagt es der preußische Generalstab auch, wenn er durch den Mund eines seiner begabtesten Angehörigen über die französischen Revolutionskriege des vorigen Jahrhunderts ausführt: »Es ist ganz zutreffend, daß das Tiraillieren bei den damaligen Franzosen in keiner Weise durch das Reglement vorgeschrieben war, denn dies war in allen wesentlichen Zügen dasselbe wie das preußische. Das zerstreute Gefecht der Franzosen war nicht verordnet, sondern geworden; man hatte aus der Not eine Tugend gemacht, und diese wurde, weil sie den realen Verhältnissen entsprach, eine Macht.« Der Satz von Marx: Nicht das Bewußtsein der Menschen bestimmt ihr Sein, sondern umgekehrt ihr Sein bestimmt ihr Bewußtsein Siehe Karl Marx, »Zur Kritik der politischen