Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
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und des Ministers Podewils gerecht zu werden; deshalb sind auch nicht viele Worte darüber zu verlieren, daß er Schlesien besetzte, noch ehe er eine endgültige Absage aus Wien empfangen hatte. Aber freilich sind diese »friedlichen« Verhandlungen ein schlagender Beweis mehr gegen die revolutionäre Insurrektion; wäre Maria Theresia auf Friedrichs Angebote (Unterstützung durch Geld und Waffen gegen ihre sonstigen Feinde und die brandenburgische Kurstimme für die Wahl ihres Gemahls zum römischen Kaiser) eingegangen und hätte sie dafür auch nur Niederschlesien abgetreten, so würde Friedrich die »habsburgische Fremdherrschaft« und wie die schönen Schlagworte von heute sonst noch lauten, nach Kräften gestützt haben. Abgewiesen in Wien, mußte er sich zum Kriege entschließen, der nun aber auch weder eine »revolutionäre Insurrektion« noch eine »patriotische Reichsreform« werden konnte. Denn wenn das habsburgische Kaisertum von Papstes Gnaden ein Schatten war, so stellte das wittelsbachische Kaisertum von Frankreichs Gnaden, dessen Banner Friedrich nunmehr angeblich trug, höchstens eines Schattens Schatten dar. Dagegen war das Bündnis mit Frankreich gegen das habsburgische Kaisertum altbrandenburgische Hauspolitik; hatte doch Kurfürst Joachim I. 1519 dem französischen Könige Franz I., Kurfürst Friedrich Wilhelm 1679 dem französischen Könige Ludwig XIV. die deutsche Krone vertragsmäßig versprochen. Droysen, Geschichte der preußischen Politik, 2, 2, 68 ff. Ranke, Genesis, 335 ff.

      Zu alledem kommt noch die merkwürdige Tatsache, daß nicht eigentlich Friedrich Schlesien eroberte, sondern sein Vater, jener kaiser- und reichsfromme Fürst, der lange Jahre zum Gespötte von ganz Europa durch den kaiserlichen Gesandten Seckendorff am Gängelbande geführt worden war. Aus der von ihm sehr ungeschickt eingeleiteten Schlacht bei Mollwitz floh Friedrich verzagt und vorzeitig nach einigen erfolgreichen Angriffen der österreichischen auf die preußische Reiterei, aber das preußische, von Friedrich Wilhelm I. und dem Fürsten von Dessau gedrillte Fußvolk stand wie eine Mauer und entschied ohne sonderlichen Einfluß einer höheren Führung den Sieg. Ebenso unglücklich war Friedrichs erstes Auftreten als Diplomat. In dem Vertrage von Kleinschnellendorf verriet er seinen französischen Bundesgenossen an Österreich, gestattete er dem österreichischen Heere, »um die Schlüssel einer einzigen, im Grunde nicht widerstandsfähigen Festung« Koser, König Friedrich der Große, 1, 153. sich auf seine französischen Verbündeten zu stürzen, die ihm, wie er selbst in seinen Denkwürdigkeiten bekennt, keinen Anlaß zu einem Bruche gegeben hatten. Über die Moral der Sache sind wieder nicht viele Worte zu verlieren; Frankreich und Preußen hatten das gleiche Interesse, Österreich zu schwächen, aber nur so weit, daß der eigene Bundesgenosse dadurch nicht zu stark wurde; es ist schwer zu sagen, ob Friedrich die Franzosen öfter in die Patsche gebracht hat oder sie ihn, wie denn das Gezeter der Zeitgenossen über Friedrichs »Treulosigkeit« gemeiniglich nicht sittliche Entrüstung, sondern nur der Schmerzensschrei eines geprellten Schelms war, über den anderthalb Schelme gekommen waren. Friedrich kannte schon Goethes geflügeltes Wort; er umschreibt es in einem Briefe an Podewils mit dem Satze: »Wenn düpiert werden muß, so seien wir denn Schelme (fourbes).« Aber der Vertrag von Kleinschnellendorf war eine Schelmerei, bei welcher Friedrich düpiert wurde, während er düpieren wollte, und ein Diplomat kann kein schlechteres Geschäft machen, als wenn er einen Bundesgenossen verrät, mit kaum nennenswertem Gewinne für sich, aber mit dem größten Gewinne für den gemeinsamen Gegner. Damals erwarb sich Friedrich den durch seine spätere Diplomatie nicht mehr gerechtfertigten Vorwurf, daß er den kleinsten Gewinn des Augenblicks den größten Vorteilen der Zukunft vorziehe. Eher schon erklärte sich die zweite Preisgabe seiner Bundesgenossen, als Friedrich den Sonderfrieden von Breslau schloß, worin ihm Maria Theresia, namentlich auf Betrieb der englischen Diplomatie, Schlesien abtrat, um den gefährlichsten Feind zunächst loszuwerden und gegenüber ihren sonstigen Gegnern freiere Hand zu bekommen, das heißt also: mit stillen Vorbehalten für die Zukunft.

      Diese Vorbehalte lagen so sehr in der Luft, daß es sich abermals leicht erklärt, wenn Friedrich 1744, als im währenden Österreichischen Erbfolgekriege die Erfolge Maria Theresias gegenüber Frankreich und dem wittelsbachischen Schattenkaiser gar hoch gestiegen waren, ein neues Bündnis mit Frankreich schloß und als deutscher Reichsstand seine »Hilfsvölker« dem in seiner Ehre und Würde schwer verletzten Kaiser zuführte. Nur verfiel er auch diesmal einem schweren diplomatischen Fehler, indem er sich im geheimen ein gutes Stück von dem Königreich Böhmen, das er für den Kaiser zu erobern gedachte, für den preußischen Staat ausbedang. Das Geheimnis wurde bald ruchbar und stellte den König moralisch-politisch bloß um einer ganz illusionären Aussicht willen. Hier lag einer der Fälle vor, in denen sich Friedrich in der Tat über seine Machtmittel getäuscht hat. Denn so leicht sich Schlesien bei seiner geographischen Lage und seinen ökonomischen Lebensbedingungen dem preußischen Staate einverleiben ließ, so unlösbar war diese Aufgabe auch nur für einen Teil von Böhmen. Mit der Eroberung dieses Königreichs machte Friedrich denn auch sehr bittere Erfahrungen. Diesmal ließen seine französischen Bundesgenossen ihn im Stich, und der alte Marschall Traun, den Friedrich dann selbst stets mit erfreulicher Ehrlichkeit als seinen Lehrer in der Kriegskunst gepriesen hat, manövrierte ihn unter nahezu völliger Auflösung des preußischen Heeres über die schlesische Grenze zurück. Der Winter von 1744 bis 1745 war eine überaus schwere Zeit für Friedrich; wie er in ihr nach dem Zeugnisse der fremden Gesandten äußerlich zum Manne reifte, so machte er sich innerlich von allen Illusionen frei, mit denen ihn auf dem Gebiete der auswärtigen Politik bisweilen wohl Ehrgeiz, Ruhmbegierde oder, wie er sich gelegentlich ausdrückte, ein »geheimer Instinkt« genarrt hatten. Obgleich er im Jahre 1745 in einer ganzen Reihe von Schlachten und Treffen (Hohenfriedberg, Soor, Katholisch-Hennersdorf, Kesselsdorf) die Österreicher und die Sachsen mit seinem wiederhergestellten Heere schlug, so erbot er sich am Jahresschlusse doch, unter schmerzlichem Erstaunen Frankreichs, unter anfangs ungläubigem, dann freudigem Erstaunen Österreichs, zu einem zweiten Sonderfrieden, wofern ihm der Besitz Schlesiens bestätigt würde. Und nach Erfüllung dieser Bedingung kehrte er in seine Staaten zurück, entschlossen, sein Lebtag »keine Katze mehr anzugreifen«.

      Es unterliegt nicht dem geringsten Zweifel, daß es dem Könige voller Ernst mit diesem Entschlusse war. Zwar ist, als elf Jahre später der Siebenjährige Krieg ausbrach, sofort der Vorwurf gegen ihn erhoben worden, daß er in ehrgeiziger und mutwilliger Absicht wieder zu den Waffen gegriffen habe, und diese Anklage scheint um so schwerer ins Gewicht zu fallen, als sie zuerst von Friedrichs eigenen Brüdern erhoben wurde und unter der Mehrzahl seiner Generale und Minister heimliche Zustimmung fand. Auch erscheint sein plötzlicher Überfall Sachsens und die rücksichtslose Knebelung dieses Landes als ein ruchloser Landfriedensbruch. Allein der König entschloß sich zu dem Gewaltschritt höchst ungern und erst unter dem unerbittlichen Zwange der Umstände. Durch den Verrat österreichischer und sächsischer Beamten war er seit mehreren Jahren urkundlich auf dem laufenden erhalten worden über Verhandlungen zwischen Österreich, Sachsen und Rußland, die dahin abzielten, ihn zu überfallen und die aufstrebende Macht des preußischen Staats zu brechen. Die Tatsache dieser Verhandlungen ist und war schon damals unbestreitbar, aber die preußischen Prinzen meinten, das alles hätte noch gar sehr in der Luft geschwebt und wäre ohne das unzeitige Losbrechen des Königs möglicherweise in leeren Dunst zerflossen. Möglicherweise allerdings, und dieser Möglichkeit trug Friedrich auch alle Rechnung, indem er die österreichisch-sächsisch-russischen Verhandlungen jahrelang mit gespannter Aufmerksamkeit, aber sonst in unbeweglicher Ruhe verfolgte. Indessen es gab auch die entgegengesetzte Möglichkeit, die Friedrich nicht zur Gewißheit werden lassen durfte, wenn er nicht in die furchtbarste Pressung geraten wollte. Und diese Möglichkeit wuchs zur Gewißheit heran, als der ökonomische Interessengegensatz Englands und Frankreichs in den nordamerikanischen Kolonien in offenen Krieg ausbrach und damit auch ein Krieg im Innern Deutschlands entschieden war, denn ein Angriff Frankreichs auf Hannover als die wundeste Stelle Englands verstand sich von selbst. Das französisch-preußische Bündnis lief im Juni 1756 ab, und Friedrichs Versuche, es zu erneuern, waren gescheitert. Nicht wegen der freundlichen Gesinnung, die Maria Theresia, und wegen der unfreundlichen Gesinnung, die Friedrich der Pompadour bezeigt hatten, denn dergleichen Dinge spielten selbst in dem absolutistischen Frankreich des achtzehnten Jahrhunderts für die großen politischen Entscheidungen höchstens in ganz nebensächlicher Weise, oder, wie es in der Sprache der Gerichte heißt, als »adminikulierendes Beiwerk« mit. Da der obenerwähnte Quark in den bürgerlichen Geschichtswerken immer wieder breitgetreten wird, so mag er beiläufig wenigstens insoweit berücksichtigt werden, als aus ihm Streiflichter