Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
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etwas machen könne, wenn er sie mit Achtung behandle und in der zerstreuten Gefechtsform ausbilde. Das gesellschaftliche Sein der Soldaten bestimmte das militärische Bewußtsein des Offiziers. Und dies Bewußtsein erlosch sofort wieder, als Yorck durch die Erfolge von Altenzaun und Wahren schnell auf eine so hohe Stelle in der militärischen Hierarchie gehoben wurde, daß er bei der Reform des Heeres ein Wort mitsprechen konnte. Da floß er vor Gift und Galle über; da denunzierte er so hämisch beim Könige, daß Scharnhorst in ein lebensgefährliches Nervenfieber verfiel; da jubelte er bei der auf Napoleons Befehl erfolgten Entlassung Steins, nun sei ein unsinniger Kopf zertreten und das übrige Natterngeschmeiß werde sich wohl in seinem eigenen Gift auflösen. Ja, noch in den Feldzügen von 1813 und 1814 stellte Yorck als Korpsführer aus seinen ideologischen und theoretischen Vorstellungen heraus der napoleonischen Kriegführung Gneisenaus die schwersten Hemmnisse entgegen, während doch wieder das Sein der Landwehren, die er befehligte, sein militärisches Bewußtsein so bestimmte, daß Blücher von ihm rühmen durfte, keiner sei so schwer ins Feuer zu bringen wie der Yorck, aber wenn er einmal darin sei, beiße auch keiner so an wie er.

      Diese wenigen Beispiele, die sich aus der preußischen wie aus aller Kriegsgeschichte beliebig vermehren ließen, werden für den Zweck genügen, für den sie angeführt sind. Es war außerordentlich viel, daß Friedrich aus dem theoretischen Studium des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs die bevorstehende Umwälzung der Kriegführung ahnte und ihr durch einen schüchternen Versuch entgegenzukommen gedachte, aber es war deshalb auch eine praktische und psychologische Unmöglichkeit, daß er in seinen Söldnerkriegen die napoleonische Strategie und Taktik vorwegnahm. Bei Lichte besehen ist die ideologische Geschichtsschreibung für niemanden gefährlicher als gerade für die großen Männer, welche sie über alles menschliche Maß hinaus aufzublähen sucht. In dem Streite über Friedrichs Strategie ist richtig gesagt worden, daß seine Feldzüge, wenn man sie an dem Maßstabe der napoleonischen Strategie mißt, gar sehr stümperhaft bestehen. Auch hier liegt Friedrichs wirkliche Bedeutung gerade darin, daß er sich völlig klarzumachen verstand, was er durfte und was er nicht durfte, was er konnte und was er nicht konnte; in gewissem Sinne muß man sogar sagen, daß die furchtbare Last der sieben Jahre deshalb auf ihn fiel, weil er ganz gegen seine Absicht einen Erfolg napoleonischen Schlages davongetragen hatte, der, mit napoleonischen Mitteln ausgebeutet, den Krieg mit einem Schlage beendet haben würde, aber der, da Friedrich eben keine napoleonischen Schläge führen konnte, zu einem verhängnisvollen Rückschläge für ihn selbst werden mußte. Sein Feldzugsplan von 1756 wurde in erster Reihe zwar dadurch gekreuzt, daß es dem sächsischen Heere mit knapper Not noch gelang, sich in dem Felsenlager von Pirna zusammenzuziehen, mit dessen Aushungerung Friedrich eine für ihn kostbare Zeit verlieren mußte, aber in entscheidender Weise scheiterte er daran, daß Friedrich am 6. Mai 1757 das österreichische Heer in betäubender Weise schlug und zu zwei Dritteln in die Festung Prag warf. Österreich schien nunmehr allerdings wehrlos. Prag mußte fallen, und dann lag der Weg nach Wien offen bis auf ein schwaches, unter Daun heranziehendes Ersatzheer. Aber als Friedrich diesem Heere mit einem Teile der Prager Belagerungstruppen entgegenzog, erlitt er am 18. Juni bei Kolin eine schwere Niederlage, die ihn zum sofortigen Rückzüge aus Böhmen, also zur völligen Preisgabe seiner bei Prag errungenen Erfolge zwang.

      Über die Schlacht von Kolin ist nun eine ganze Literatur entstanden, um zu beweisen, daß Friedrich, wenn General Manstein nicht diesen und der Prinz Moritz von Dessau nicht jenen Fehler begangen hätte, die Schlacht gewonnen haben und nach dem unter dieser Voraussetzung nicht mehr aufzuhaltenden Falle von Prag sofort nach Wien marschiert sein würde, um auf den Wällen der österreichischen Hauptstadt den Frieden zu diktieren. Indessen Clausewitz hat diese Literatur schon mit einem einzigen Federstriche beseitigt, indem er ausführte, daß Friedrich, wenn er nicht schon bei Kolin gescheitert wäre, zu einem späteren Zeitpunkt hätte scheitern müssen, denn nach der Art der damaligen Kriegsverfassung und nach dem Umfange seiner Kriegsmittel sei es unmöglich gewesen, daß er die österreichische Hauptstadt eroberte oder gar den österreichischen Staat niederwarf. Die Richtigkeit dieser Bemerkung leuchtet so ein, daß auch die Friedrich-Mythologen sie anerkennen müssen; nur wenden sie ein, wenn Friedrich bei Kolin gesiegt hätte, so würden die Österreicher so erstarrt gewesen sein, daß sie sofort Frieden geschlossen hätten. Allein wenn man sich auf diese luftige Beweisführung überhaupt einlassen will, so muß man vielmehr voraussetzen, daß die Größe des preußischen Erfolges in Wien nicht ent-, sondern ermutigt haben würde. So klug waren Maria Theresia und Kaunitz auch, um den König in seinem eigenen Fette ersticken zu lassen. Indem die Friedrich-Mythologen ihrem Helden Übermenschliches andichten, machen sie ihn aber wieder viel kleiner, als er war. Friedrichs eigentlicher Feldzugsplan, der eben durch den Übererfolg bei Prag vereitelt wurde, ist neuerdings aus den englischen. Archiven, aus den Papieren des bei Friedrich beglaubigten Diplomaten Mitchell bekannt geworden; er zielt einfach darauf ab, noch im Herbste von 1756 Sachsen und ein Stück von Böhmen in Pfandbesitz zu nehmen, und er beruht auf der psychologisch durchaus annehmbaren Hoffnung, die Österreicher und Sachsen würden dann doch wohl von dem für sie nunmehr um so schwierigeren Spiele abstehen. Dieser bescheidene Plan macht der klaren Einsicht des Königs in seine Lage ebenso große Ehre, wie ihn die Unterstellung, als ob er in napoleonischer Weise habe schlagen und siegen wollen, zum reinen Don Quijote stempelt.

      Mit der Schlacht von Kolin war Friedrich in die Defensive zurückgeworfen worden. Freilich noch nicht ganz. Nach den Siegen bei Roßbach und Leuthen versuchte er im Frühjahre von 1758 noch einen Vorstoß nach Mähren, um sich in der Festung Olmütz ein für den Frieden zu verwertendes Pfandobjekt zu sichern, allein Daun und Laudon zwangen ihn, die Belagerung aufzuheben und manöverierten ihn aus Mähren hinaus. Der Rest des Siebenjährigen Krieges war nun nichts als ein wüstes Kriegsgetobe in Sachsen und Schlesien, in der Mark und in Pommern; er entbehrte selbst jenes Scheins von dramatisch-heldenmäßiger Spannung, der dem Jahre 1757 noch anhaftet. Was Friedrich in den folgenden Jahren mit steifem Nacken und, wie Lassalle sagt, »das Gift in der Tasche«, ertragen hat, das ist aller Achtung wert, und es würde auch aller Bewunderung wert sein, wenn der Preis des Kampfes ein menschlicher Kulturfortschritt und nicht bloß die Stärkung des kulturfeindlichen Militarismus gewesen wäre. Allein die Friedrich-Mythologen tun der wirklichen Bedeutung des Königs abermals schweren Abbruch, wenn sie ihn als überwältigenden Genius und die feindlichen Feldherren, ja Friedrichs eigene Generale als mehr oder weniger unfähige Leute hinstellen. Was wäre es dann für eine große Kunst gewesen, die Daun und Laudon zu besiegen? In Wirklichkeit konnten sich diese österreichischen Feldherren mit Friedrich gar wohl messen; sie standen ihm nicht eigentlich in der individuellen Begabung als vielmehr in einer anderen Beziehung nach, die Clausewitz sehr gut mit den Worten schildert: »Die Feldherren, welche Friedrich dem Großen gegenüberstanden, wären Männer, die im Auftrage handelten und ebendeswegen Männer, in welchen die Behutsamkeit ein vorherrschender Charakterzug war; ihr Gegner war, um es kurz zu sagen, der Kriegsgott selbst.« Damit ist der springende Punkt getroffen, das Stückchen Wahrheit, aus dem die Legende von Friedrichs napoleonischer Kriegführung erwachsen ist.

      Es war ein Unterschied nicht in der Art, aber im Grade. Friedrich führte den Krieg, wie ihn jeder Feldherr des vorigen Jahrhunderts führen mußte, aber er führte ihn kühner als andere Feldherren, weil er unumschränkter über die Kriegsmittel verfügte. Unumschränkter sowohl in militärischer wie in moralischer Beziehung. Friedrich war an keine Befehle gebunden, und er hatte keine Verantwortung zu fürchten. Ob er rein vom militärischen Standpunkt aus der bedeutendste Feldherr auch nur seiner Zeit gewesen ist, das ist noch sehr die Frage. Nach dem Zeugnisse seines Adjutanten Berenhorst war er in der Schlacht stets unruhig und verlegen, ganz zu geschweigen der hämischen Bemerkung, in der sich der sehr unliebenswürdige Prinz Heinrich an seiner Tafel in Rheinsberg zu gefallen pflegte: »Mein Bruder hatte eigentlich keine Courage.« Daun und Laudon haben dem Könige manche schwere Schlappe beigebracht, die er gar wohl hätte vermeiden können; der erste Feldzugsplan zum Siebenjährigen Kriege rührte von Schwerin und Winterfeldt her; die Schlachten bei Roßbach und Zorndorf hat Seydlitz gewonnen; so gleichmäßig glückliche Feldzüge wie Herzog Ferdinand von Braunschweig und sein Geheimsekretär Westphalen im westlichen Deutschland gegen die Franzosen hat Friedrich trotz sehr viel günstigerer Verhältnisse nicht geführt. Über Westphalen, die merkwürdigste Gestalt des Siebenjährigen Krieges, siehe einiges Nähere in der »Neuen Zeit«, 10, 2, 481 ff. Freilich, Prag und Leuthen waren sein Eigentum, aber