Ein moralisch besseres, aber militärisch womöglich noch schlechteres Urteil verdient die Landmiliz. Friedrich befahl ihre Errichtung, als er nach den schweren Verlusten von Prag und Kolin die regulären Truppen aus der Mark und Pommern an sich ziehen mußte, aber diese Provinzen doch nicht ganz ohne militärischen Widerstand den anrückenden Russen und Schweden preisgeben mochte. Sie sollte von verabschiedeten Offizieren befehligt werden, und zu ihrer Unterhaltung wurde dem Lande zu allem andern eine Landmilizsteuer sowie eine Landmilizakzise auferlegt. Von dem Heere unterschied sich diese Truppe aber, um den Ausdruck noch einmal zu gebrauchen, nicht in der Art, sondern nur im Grade. Sie wurde ebenso rekrutiert und exerziert wie das Heer: Nur das Material war sehr viel schlechter. Es bestand aus den in die Städte geflohenen Bauern, verarmten Bürgern, die sonst dem Hungertode verfallen wären, Kriegsgefangenen, invaliden Soldaten und Kantonisten, die zum Heeresdienste bestimmt, aber noch nicht in das Heer eingetreten waren und auf diese Weise vor der Verschleppung durch die Feinde gesichert werden sollten. Ihre militärische Wirksamkeit ist immer von geringem Belange gewesen, und jedenfalls hatte sie mit einer Volksbewaffnung geradesowenig zu schaffen wie das friderizianische Heer überhaupt. Schwartz, Organisation und Verpflegung der preußischen Landmilizen im Siebenjährigen Kriege. Der Verfasser will diese Milizen gern zu Vorläufern der Landwehr machen, aber die Archivalien, die er mitteilt, ergeben mit aller wünschenswerten Sicherheit das Gegenteil.
Die zweite Behauptung, durch die der »nationale Lebensgehalt« des Siebenjährigen Krieges schlechterdings noch gerettet werden soll, läuft darauf hinaus, daß der Krieg die protestantische Geistesfreiheit usw. gerettet habe. Was es tatsächlich mit dieser Behauptung auf sich hat, haben wir zwar schon gesehen, aber man sagt auch hier: Sei dem so oder anders, die Welt sah doch nun einmal in Friedrich den Helden des Protestantismus, und bewußt oder unbewußt war er es auch. So viel ist nun gewiß richtig, daß der König die Religion als einen immerhin wichtigen Posten in seine militärischen Berechnungen einzustellen wußte. Aber man frage nur nicht: Wie? In seinen Generalprinzipien vom Kriege, der Instruktionsschrift, die er allen seinen Generalen für den Kriegsfall zur strengen Befolgung übergab, sagt er:
»Wenn der Krieg in einem neutralen Lande geführt wird, so – kommt es nur darauf an, wer von beyden die Freundschafft und das Vertrauen der Landeseinwohner gewinnen kann. Man hält strenge Disziplin ... Man beschuldigt den Feind von den allerschlimmsten Absichten, so er gegen das Land hege. Ist solches protestantisch, wie in Sachsen, so spielet man die Rôle eines Beschützers der Lutherischen Religion; ist das Land Catholisch, so spricht man von nichts als Tolerance. Was euch hierin noch übrigbleibt, ist der Fanatismus. Wenn man ein Volck wegen seiner Gewissens-Freiheit animiren, auch ihm beybringen kann, daß es von den Pfaffen und Devoten bedrücket wird, so kann man sicher auf dieses Volck rechnen; das heißt eigentlich, Himmel und Hölle vor euer Interesse bewegen.«
Ist es nun klar, daß Friedrichs arglose Seele weder bewußt noch unbewußt etwas von jenem Heldentum der »protestantischen Geistesfreiheit« geahnt hat, das er im Siebenjährigen Kriege bewährt haben soll? Aber – die Welt hatte sich angeblich darauf kapriziert, ein solches Heldentum in ihm zu erkennen, und so wirft denn die patriotische Zauberlaterne immer von neuem das Bild des österreichischen Marschalls mit dem geweihten Hut und Degen an die Wand. Indessen auch damit hat es eine gar eigene Bewandtnis. Friedrich hat sich zeitweise allerdings sehr bemüht, nicht nur vor Sachsen, sondern vor ganz Deutschland die »Rôle eines Beschützers der Lutherischen Religion« zu spielen oder, wie er an anderer Stelle sagt, »diejenigen in Wut entbrennen zu lassen, die auch nur noch eine schwache Neigung für Martin Luther haben«; er hat zu diesem Behufe durch den Marquis d'Argens eine Anzahl gefälschter Schriftstücke anfertigen lassen, so namentlich jenes päpstliche Breve, womit der Papst dem Marschall Daun als Belohnung für den Überfall von Hochkirch einen geweihten Hut und Degen verliehen haben sollte, und er hat auch sonst den ihm gar nicht unebenbürtigen Gegner in sehr unköniglicher Weise als den »Mann mit der geweihten Mütze« zu verhöhnen gesucht. Beiläufig – obgleich die österreichische Regierung sofort erklärte, daß die Geschichte mit dem geweihten Hut und Degen eine Erfindung sei, und obgleich diese Erfindung seitdem Dutzende von Malen in der bündigsten und weitläufigsten Weise aufgedeckt worden ist, so erbt sie sich unverdrossen in der preußischen Geschichtsschreibung weiter. Siehe Treitschke, 1, 60, Bernhardi, 1, 28, und andere mehr, der Werke »zweiten« und »dritten« Ranges zu geschweigen. Gegenüber der Zähigkeit der preußisch-patriotischen Fabel ist man versucht, in den ägyptischen Mumien beinahe nur Eintagsfliegen zu sehen. Allein dieser No-Popery-Spektakel war nicht auf die Nation, sondern auf die kleineren deutschen Höfe, und zwar nicht allein die protestantischen berechnet. Unzweifelhaft spielte auf österreichischer Seite in dem Siebenjährigen Kriege eine gewisse wenn auch abgeschwächte und beschränkte Tendenz mit, die habsburgisch-päpstliche Herrschaft doch noch über ganz Deutschland auszudehnen; die französischen Diplomaten an den deutschen Höfen erklärten in ihren Berichten nach Versailles, auch die katholischen Reichsstände wären um die »deutsche Libertät« besorgt, und es sei dringend notwendig, durch öffentliche Erklärungen diese Besorgnisse zu zerstreuen. Die österreichische Regierung verwahrte sich denn auch wiederholt gegen den Verdacht, als ob sie den westfälischen Friedensvertrag zu verletzen beabsichtige, indessen dieser Verdacht wuchs gewissermaßen von selber aus der Lage der Dinge hervor, und es war ein geschickter diplomatischer Schachzug Friedrichs, ihn nach Kräften zu nähren. Er tat es auch nicht ohne Erfolg. Am Reichstage zu Regensburg verhinderte die Gesamtheit der protestantischen Reichsstände durch einen eigenen Beschluß, daß die vom Wiener Hofe beabsichtigte Reichsacht über ihn verhängt wurde, und wenn die »Reichsexekutionsarmee« noch viel elender ausfiel, als sie nach der verkommenen Reichsverfassung ohnehin ausgefallen wäre, so war es, weil die meisten Reichsstände, katholische wie protestantische, widerwillig und zögernd ihre schlecht ausgerüsteten Truppen stellten. Insofern hatte Friedrich allen Grund, dem Marquis d'Argens zu schreiben, daß dessen antipapistische Fälscherkunststücke ihm eine gewonnene Schlacht wert seien; nur daß er dabei einzig an die moralische Einwirkung auf die Höfe, aber keineswegs auf die Nation dachte. Auch blieb dieser Erfolg in bestimmten Grenzen. Denn die kleinen deutschen Höfe waren viel zu ängstlich, als daß sie es zu einem selbständigen Entschlusse hätten bringen können; einige von ihnen, die gar zu dicht unter dem Griffe Friedrichs lagen, verbanden das Angenehme mit dem Sicheren, indem sie ihre Landeskinder als Hilfsvölker an England, das der Form nach nur mit Frankreich, aber nicht mit Österreich oder dem deutschen Reiche im Kriege lag, verkauften und vermieteten, in welchem Menschenschacher hoffentlich nicht auch noch ein »höherer Lebensgehalt« des Siebenjährigen Krieges enthalten sein soll.
Dieser Krieg war ein Krieg wie alle Kriege des achtzehnten Jahrhunderts, die gemäß ihren ökonomisch-militärischen Möglichkeiten die bürgerliche Bevölkerung im Grunde gar nichts angingen. Und eben dies war die allgemeine Auffassung der Zeitgenossen auch vom Siebenjährigen Kriege. Unter seinem Eindrucke schrieb Friedrich: »Der friedliche Bürger soll es gar nicht merken, wenn die Nation sich schlägt.« Lessing aber schrieb in dem ersten Literaturbriefe: »Lieber will ich Sie und mich mit dem süßen Traume unterhalten, daß in unseren gesitteteren Zeiten der Krieg nichts als ein blutiger Prozeß unter unabhängigen Häuptern ist, der alle übrigen Stände ungestöret läßt und auf die Wissenschaften weiter keinen Einfluß hat, als daß er neue Xenophons, neue Polybe erwecket.« Und Clausewitz schreibt über die Kriege des achtzehnten Jahrhunderts: »Der Krieg wurde nicht bloß seinen Mitteln, sondern auch seinem Ziele nach immer mehr auf das Heer selbst beschränkt. Das Heer mit seinen Festungen und einigen eingerichteten