Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
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für die protestantische Sache im allgemeinen und für Friedrich im besonderen ändere gar nichts an der Tatsache, daß jedes Ministerium, welches eine Kriegsflotte in die Ostsee sende, sofort die Stimmenmehrheit im Parlamente verlieren würde. Kluge Staatsmänner wissen recht gut, daß die ökonomischen Tatsachen die Welt regieren, und unter sich machen sie auch gar kein Hehl daraus. Die ideologische Einkleidung überlassen sie den staatsmännischen Geschichtsschreibern, an denen es zum Heile der aufgeklärten und noch aufzuklärenden Menschheit ja auch noch in keinem Volke gefehlt hat.

      Jenes handelspolitische Interesse der englischen Nation gab dem Siebenjährigen Kriege die entscheidende Wendung. Gefeit gegen jeden Angriff, konnte das russische Zarentum seine wüsten Eroberungs- und Raubinstinkte nach Gefallen austoben. Es hat sich denn auch dreimal den Luxus gegönnt, seine Stellung im Siebenjährigen Kriege zu ändern. Die erste und längste Zeit hindurch kämpfte das russische Heer gegen Preußen, heimste die Provinz Ostpreußen gänzlich ein, verwüstete in bestialischer Weise Pommern und die Mark, schlug fast immer die preußischen Truppen in vernichtenden Niederlagen, denn auch die Schlacht von Zorndorf war mehr ein unentschiedener Zusammenstoß als ein Sieg Friedrichs, kurzum, drängte den preußischen Staat bis an den Rand des Abgrunds, soweit getreu dem vom russischen Senat schon im Jahre 1753 zu einer »beständigen Staatsmaxime« erhobenen Beschlusse, sich nicht allein allem ferneren Anwachsen der preußischen Macht zu widersetzen, sondern auch die erste bequeme Gelegenheit zu ergreifen, um das Haus Brandenburg durch eine überwiegende Macht zu unterdrücken und in seinen vorigen mittelmäßigen Zustand zu versetzen. Offenbar schoß aber diese Maxime, die unter dem Einflusse der veralkoholisierten und wüterischen Zarin Elisabeth beschlossen worden war, weit über das Ziel hinaus; nicht die politische Vernichtung, sondern die politische Beherrschung des preußischen Staats war russisches Interesse; Preußen durfte kein Nebenbuhler Rußlands, es mußte sein Vasall werden, aber es mußte daneben doch immer ein Pfahl im Fleische Österreichs bleiben; so geboten es die russischen Eroberungszwecke, mochten sie sich nun auf Polen, die Türkei oder auf Deutschland selbst richten. Es ist auch sehr genau zu verfolgen, wie die russischen Generale sich ganz im Widerspruche mit dem Willen der Zarin immer davor hüten, dem preußischen Heere den letzten Gnadenstoß zu geben, was ihnen beispielsweise nach der Schlacht bei Kunersdorf ein leichtes gewesen wäre. Nach dem plötzlichen Tode der Zarin Elisabeth folgte dann das preußisch-russische Bündnis, das nichts als eine närrische Laune des närrischen Peter III. war. Einen armseligen Tritagonisten nennt ihn Lessing, ausersehen, in der Larve eines Gottes den ungeschickten Knoten eines blutigen Schauspiels zu zerschneiden. Aber entwirrt hat diesen Knoten erst Katharina II. Als sie ihren Gemahl Peter in bübischer Weise ermordet und ohne eine Spur von Recht den russischen Thron bestiegen hatte, begriff diese gescheite Person sofort das russische Interesse; durch ihre Neutralität ließ sie den Siebenjährigen Krieg an allgemeiner Erschöpfung sterben und pflückte dann seine Frucht in dem preußisch-russischen Bündnisse vom 14. April 1764, in dessen geheimen Artikeln schon die Teilung Polens angebahnt wurde. König Friedrich, der keineswegs eine bismärckische Hornhaut gegenüber russischen Unverschämtheiten besaß, fühlte sich als russischer Satrap im Innersten gedemütigt, aber er konnte dieser »furchtbaren Macht« nicht widerstehen; er mußte durch seine Subsidien die Türkenkriege Katharinas unterstützen; er mußte bei der ersten Teilung Polens den größten Teil des Hasses auf sich nehmen und durfte nur den kleinsten Teil der Beute davontragen; er mußte mitsamt Österreich 1779 im Teschener Frieden, der den Bayrischen Erbfolgekrieg beschloß, Rußland als »Garanten des Westfälischen Friedens« anerkennen.

      Fortsetzung des Dreißigjährigen Krieges in der Tat, aber in gar sehr anderem Sinne, als die preußischen Mythologen meinen! Wie der Dreißigjährige, so endete der Siebenjährige Krieg mit dem Scheitern des Versuchs, Deutschland unter die Herrschaft des habsburgisch-päpstlichen Kaisertums zu bringen. Wie der Dreißigjährige, so erstarb auch der Siebenjährige Krieg an der allgemeinen Erschöpfung: Die Verwüstung Deutschlands nach dem einen wie dem andern war – so bezeugt wenigstens König Friedrich – gleich groß. Wie der Dreißigjährige Krieg mit der »Garantie des Westfälischen Friedens« durch Frankreich und Schweden, das heißt mit dem Rechte zur beliebigen Einmischung in die deutschen Verhältnisse, das heißt mit der Fremdherrschaft zweier Kulturvölker schloß, so der Siebenjährige Krieg mit der »Garantie des Westfälischen Friedens« durch Rußland, mit der Fremdherrschaft eines Barbarenstaats, deren unheilvolle Folgen bis heute noch nicht überwunden sind, wie denn ihre Überwindung überhaupt erst erhofft werden kann, seitdem die deutsche Arbeiterklasse zum politischen Bewußtsein erwacht ist.

      Merkwürdig bei alledem, wie durch ebendiesen Siebenjährigen Krieg der »erste höhere Lebensgehalt« in das geistige Leben des deutschen Volkes gekommen sein soll!

      IX. Zur Psychologie des Siebenjährigen Krieges

       Inhaltsverzeichnis

      Man sagt nun aber wohl: Mag es mit dem Ergebnisse des Siebenjährigen Krieges stehen wie immer, der Krieg als solcher, die Tatsache, daß ein deutscher Fürst sich mit fast übermenschlichem Genie sieben Jahre gegen eine Welt von Feinden aufrechterhielt, alle die Reichsfeinde, die so lange auf deutschem Boden gehaust hatten, die Russen und die Ungarn, die Franzosen und die Schweden aufs Haupt schlug, diese Tatsache entzündete von neuem den nationalen Geist des deutschen Volkes oder doch seiner protestantischen Mehrheit. Und in der Tat möchte eine derartige Ansicht noch dem Worte Goethes von dem »höheren Lebensgehalte« am nächsten kommen. Es fragt sich nur, ob die Zeitgenossen die Sache ebenso angesehen, ob die »patriotischen Kriegstaten« Friedrichs ihnen den nationalen Geist eingeflößt haben, aus dem unsere klassische Dichtung entsprossen sein soll.

      Dem Könige selbst würde diese Auffassung, wenn er sie lesen könnte, ungefähr so verständlich sein wie die Sprache der Irokesen. Seine vorzüglichste Eigenschaft, die ernste und nüchterne Auffassung der Dinge, hat ihn stets vor allen Prahlereien bewahrt; er wollte nicht mehr sein als ein Feldherr seiner Zeit, und er ist auch nicht mehr gewesen. Zwar haben jene ideologischen Überschwenglichkeiten neuerdings auch in der preußischen Militärliteratur einen starken Widerhall gefunden; seit zehn Jahren tobt in ihr, nicht gerade zum Ruhm des klassischen Militärstaates, eine heftige Fehde darüber, ob Friedrich kraft einer genialen, seine Zeit um fünfzig oder hundert Jahre überflügelnden Voraussicht die napoleonische Strategie angewandt habe, die in der schnellen Zertrümmerung des feindlichen Heeres durch die Schlacht ihr erstes und einziges Ziel erblickt, oder ob er den Krieg seines Jahrhunderts geführt habe, jenen bedächtigen, langsamen, methodischen Krieg, der sich dadurch gegenüber dem Feinde in Vorteil zu setzen suchte, daß er ihm die für die Unterhaltung seiner Heere bestimmten Magazine zerstörte, daß er ihm diesen Landstrich oder jene Festung wegnahm, daß er ihn durch allerlei künstliche Manöver, durch »Ombragen«, »Jalousien«, »Diversionen« aus dem Felde bringen wollte, daß er die Schlacht nur als äußerstes Mittel betrachtete, sozusagen als einen Notbehelf, der erst im Falle der Not anzuwenden war oder etwa noch, wenn ein sehr großer Vorteil auf sehr sicherem Wege erreicht werden konnte. Nun bedarf es keines langen Nachdenkens, um zu erkennen, welche Ansicht die richtige ist. Die napoleonische Strategie beruht auf dem Volksheere, der Tirailleurtaktik und dem Requisitionssystem; sie hat zur Voraussetzung Massenarmeen, die sich schnell vorwärtsbewegen, die tiraillieren, das heißt auf jedem Gelände schlagen, und requirieren, das heißt durch Beschaffung der Lebensmittel unmittelbar von der Bevölkerung sich selbst verpflegen können. Das Heer des vorigen Jahrhunderts war dagegen ein Söldnerheer, das als solches an die Lineartaktik und an die Magazinverpflegung gebunden war. Es konnte wegen der Kostspieligkeit der Werbung über eine gewisse Zahl nicht hinauswachsen. Es konnte nur in starren Linien, das heißt zusammengehalten durch den Stock und die drohende Kugel der Offiziere, an den Feind gebracht werden, und es konnte somit fast nur auf freier Ebene schlagen, gewissermaßen als eine mechanische Schießmaschine, wie denn die Schnelligkeit des Massenfeuers, die Friedrich zuletzt auf sechs Schuß in der Minute und ein nochmaliges Laden zum siebenten Schusse brachte, ein Hauptziel der militärischen Ausbildung war. Es mußte endlich in den Lagern streng bewacht und demgemäß vom Kriegsherrn verpflegt werden; seine Bewegung war an die Magazine und die Bäckerei gebunden und somit seine Bewegungsfreiheit eine sehr beschränkte. Hätte Friedrich es mit der napoleonischen Strategie versucht und hätte