Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
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und die einfache Versicherung der, was ihre Person anbetrifft, edlen und hochherzigen Frau wirft den entgegengesetzten vagen Klatsch in den Memoiren von Duclos, Montgaillard, Richelieu und selbst die genaueren Angaben v. Hormayrs im Taschenbuche für die Vaterländische Geschichte von 1811 über den Haufen. Wenn aber die österreichischen Gesandten und Minister, um das französisch-preußische Bündnis zu sprengen, der Pompadour hofierten, so taten sie nur dasselbe, was der preußische Gesandte, Graf Rothenburg, zwölf Jahre früher bei Abschluß des Bündnisses getan hatte; der einzige Unterschied war, daß die königliche Mätresse 1744 nicht Pompadour, sondern Chateauroux hieß. Herr Koser, der ja neuerdings von der preußischen Staatsanwaltschaft als »objektiver und wissenschaftlicher Sachverständiger« über preußische Geschichte in Majestätsbeleidigungsprozessen zugezogen worden ist, erzählt 1, 219, daß »Graf Rothenburg wiederholt selbdritt mit dem Könige bei der Herzogin von Chateauroux zur Nacht speiste«, und fügt hinzu: »Wie hätte die Herzogin des Königs von Preußen ritterlichen Sendboten in seinen Bemühungen nicht fördern sollen, der wie sie selbst einen Appell an die edleren, an die königlichen Leidenschaften in Ludwigs Brust versuchte!« Ja, wie »hätte« sie nicht, und so kam »selbdritt« das preußisch-französische Bündnis von, 1714 zustande, für Preußen das Vorspiel zum Zweiten Schlesischen Kriege, für Frankreich ein neuer Aufschwung des Österreichischen Erbfolgekrieges, dem durch die Anwesenheit Ludwigs XV. im Felde – dies ist es, was Herr Koser »die edleren, die königlichen Leidenschaften« nennt – ein frischer Druck gegeben werden sollte.

      Schon hieraus ergibt sich, daß Friedrichs Mißachtung der Pompadour keineswegs spießbürgerlichen Anstandsbegriffen entsprang, die ganz und gar nicht zu seinen Schwächen gehörten. Vielmehr: Wenn er nach dem Zeugnisse von Valori und Voltaire über die Pompadour vor dem Siebenjährigen Kriege – denn in den Nöten dieses Krieges hat er ihr sogar (siehe Schäfer, Siebenjähriger Krieg, 1, 415) das Fürstentum Neuchâtel für Lebenszeit anbieten lassen um den Preis des Friedens mit Frankreich – verächtlich zu sprechen pflegte, so geschah es einfach, weil die Marquise als einfache Antoinette Poisson aus der Roture emporgekommen war, im Gegensatze zur Chateauroux, die eine geborene Marquise de la Tournelle war. Friedrich machte hier denselben Unterschied, den bald nach seinem Tode der Hof und die »Gesellschaft« von Berlin, ja den bis heute die bürgerlich-preußische Geschichtsschreibung macht, indem sie alle Schmach des Mätressenregiments unter Friedrich Wilhelm II. auf die Gräfin Lichtenau, geborene Mamsell Encke, abwälzt und die adeligen Dirnen dieses Königs, die Voß, Dönhoff und wie sie sonst noch heißen, im heroisch-sentimentalen Brillantfeuer einer tragischen Liebesleidenschaft erscheinen läßt. Dem »Philosophen von Sanssouci« stand dieser Unterschied nur um so weniger an, als die Antoinette Poisson trotz alledem auch eine kleine Philosophin war. Sie rettete die Enzyklopädie, als das Parlament von Paris im großen Hofe des Justizpalastes den Scheiterhaufen für das berühmte Werk anzünden ließ; unter ihrem Schutze schrieb François Quesnay sein berühmtes Tableau économique, und dies wie anderes will doch ein wenig mehr bedeuten, als wenn die »hochgesinnte Kebse«, wie selbst Carlyle die Chateauroux nennt, ihren königlichen Liebhaber in ein Kriegsabenteuer jagte, zu dem er taugte wie der Esel zum Lautenschlagen. Sondern beide Teile hatten bei dem Bündnisse ihre Rechnung nicht gefunden, und wenn die am französischen Hofe immer noch mächtige Partei, die getreu den Überlieferungen Richelieus und .Mazarins in der deutschen Zerrissenheit eine Quelle der französischen Macht sah und somit an dem preußischen, gegen das habsburgische Kaisertum gerichteten Bündnisse festhalten wollte, nochmals die Sendung eines Unterhändlers nach Berlin durchsetzte, so hatte dieser, ein Herzog von Nivernois, doch so viel zu verlangen und so wenig zu bieten, daß Friedrich sich unmöglich auf den Handel einlassen konnte. Der Herzog bot beispielsweise für die preußische Waffenhilfe in dem drohenden Kriege mit England die Insel Tobago, worauf Friedrich mit berechtigtem Spotte erwiderte: »Die Insel Tobago? Sie meinen wohl die Insel Barataria, für die ich aber nicht den Sancho Pansa machen kann.« Damals kannte nämlich die preußische Politik noch nicht jene großmäuligen Fanfaronaden des Herrn Bismarck, wonach das Flaggenhissen auf irgendeinem tropischen Sand- oder Sumpfflecken stets eine nationale Großtat ist.

      Genug: Um nicht einer völligen Isolierung zu verfallen, schloß Friedrich am 16. Januar 1756 mit England die Neutralitätskonvention von Westminster ab, eine gegenseitige Übereinkunft, jede bewaffnete nichtdeutsche Macht, die deutschen Boden betrete, mit Gewalt zu vertreiben. Als Gegenschlag folgte am 1. Mai desselben Jahres das französisch-österreichische Schutzbündnis, und Österreich begann mit großen Rüstungen. Nunmehr richtete Friedrich zweimal eine diplomatische Anfrage nach Wien, einmal nach dem Zwecke dieser Rüstungen und dann darnach, ob er für dies und das folgende Jahr vor jedem österreichischen Angriffe sicher sei. Beide Male erhielt er ausweichende, nichtssagende, ja geradezu höhnische Antworten, und jetzt durfte er bei dem eigentümlichen Wesen des preußischen Militärstaats keinen Augenblick länger zögern. Nach einem treffenden Vergleiche von Carlyle besaß er ein ungleich kürzeres Schwert als Frankreich und Österreich, aber er brachte es dreimal so schnell aus der Scheide wie diese Großmächte, und er konnte schlechterdings nicht warten, bis dieser sein gewichtiger, aber auch einziger Vorzug vor seinen ihm sonst in jedem Betrachte überlegenen Gegnern illusorisch geworden war. Von seinem und seines Staates Interessenstandpunkte aus, und der ist doch für seine subjektive Beurteilung entscheidend, könnte man eher sagen, daß er schon zu lange gezögert hatte und daß er sich mindestens die zweite Anfrage nach Wien hätte sparen können. Vielleicht hätte er es auch getan, wenn ihm am Beginn des Feldzugs zu einer möglichst späten Jahreszeit nicht auch aus dem gewichtigen Grunde gelegen gewesen wäre, kein französisches Heer mehr in diesem Jahre auf deutschem Boden erscheinen zu sehen. Jedenfalls entstand seinem Plane, durch schnelle Schläge die gefährlichsten und nächsten Gegner, die Sachsen und Österreicher, so weit zu betäuben, daß sie sich gern zu dauerndem Frieden entschlössen, dadurch das erste Hindernis, daß Sachsen noch im letzten Augenblicke seine Truppen in das Felsenlager von Pirna zusammenziehen konnte.

      Ein preußischer Eroberungskrieg war der Siebenjährige Krieg somit nicht, aber was war er dann? Die bürgerlich-preußischen Geschichtsschreiber antworten: eine Fortsetzung des Dreißigjährigen Krieges, ein Religionskrieg, die endgültige Rettung der deutschen Geistesfreiheit, die erste Begründung des deutschen Nationalstaats und wie die herrlichen Schlagworte alle lauten. Lassen wir die Tiraden ohne jeden greifbaren Inhalt beiseite und halten wir uns an den Religionskrieg, bei dem sich ungefähr etwas denken läßt. Es scheint ja auch auf flacher Hand zu liegen. Nach der Gruppierung der Mächte im Österreichischen Erbfolgekriege und den ersten Schlesischen Kriegen: Frankreich-Preußen hier, England-Österreich dort; nach diesen »weltlichen« Kriegen, in denen die Konfessionen bunt gemischt sind, nunmehr der »Religionskrieg«, der die Konfessionen streng scheidet: die katholischen Mächte Frankreich und Österreich mit dem segnenden Papste im Hintergrunde gegen die protestantischen Mächte England und Preußen; dort Finsternis, Mittelalter, Geistesknechtschaft, hier Licht, Zukunft, Geistesfreiheit; dort romanische Entartung oder slawische Barbarei, hier Zivilisation unter dem Zeichen des Germanentums. Schade nur, daß der Krieg nicht entstand aus einem Glaubens-, sondern aus einem Handelsgegensatze zwischen England und Frankreich; schade nur, daß er endete mit der politischen Hegemonie eines wirklichen Barbarenstaats über den einen der Freiheits- und Lichtkämpfer, und zwar einer Hegemonie, die der andere der Freiheits- und Lichtkämpfer wieder aus – handelspolitischen Rücksichten verschuldet hat.

      Im Vertrage von Westminster, welcher der schon erwähnten Neutralitätskonvention ein Jahr später folgte, hatte England neben der Zahlung von Subsidien an Preußen versprochen, eine Flotte in die Ostsee zu senden, acht Linienschiffe und mehrere Fregatten und wenn nötig auch noch mehr Fahrzeuge. Die Bestimmung war klar und unzweideutig, ebenso ihr Zweck; die englische Flotte in der Ostsee hätte Ostpreußen und Pommern für Friedrich erhalten; sie hätte vor allem durch Sperrung der russischen Häfen, durch Vernichtung des russischen Handels diesem Barbarenstaate die Einmischung in die europäischen Händel verleidet. England hat aber nie daran gedacht, auch nur ein bewaffnetes Boot in die Ostsee zu senden; ja, es beließ sogar während des ganzen Krieges eine Gesandtschaft in Petersburg. Nicht das Interesse des protestantischen Bundesgenossen entschied, sondern das Interesse des englischen Handels. England besaß damals noch kein indisches Reich; seine nordamerikanischen Kolonien waren noch wenig angebaut und bevölkert; so durfte kein englischer Minister den Ostseehandel antasten. Als Pitt das Ruder ausschließlich in die Hand bekam, machte er