Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
Скачать книгу
Kirche ist.«

      In schroffem Gegensatze zu dieser Weitherzigkeit und doch in vollkommenem Einklänge mit ihr stand die barbarische Grausamkeit der friderizianischen Rechtspflege, soweit es sich nicht um die Lieferung, sondern um die Trainierung des Menschenmaterials für despotische Zwecke handelte. Bei militärischen und politischen Verbrechen, mochten sie auch nur »Verbrechen« nach der damaligen Staatsräson sein, schreckte Friedrich vor keiner noch so brutalen Verletzung der Rechtsformen, vor keiner noch so entsetzlichen Strafe zurück. Da betrachtete er sich als unbeschränkten Herrn über Freiheit und Leben seiner Untertanen; da verhängte er Freiheits- und Lebensstrafen, wenn es ihm paßte, aus eigener Machtvollkommenheit und verschärfte ins Ungeheuerliche die richterlichen Urteile, die seiner Bestätigung bedurften. Er schlug es rundweg ab, wenn ihn einmal ein Oberst bei stark mildernden Umständen eines einzelnen Falles um eine Milderung der blutigen Kriegsartikel bat; er ließ den Geheimrat Ferber ohne Urteil und Recht wegen Verbreitung angeblich landesverräterischer Nachrichten in Spandau enthaupten und seinen Kopf auf einen Pfahl stecken. Namentlich mit den wachsenden Jahren des Königs nahm seine Kabinettsjustiz sehr überhand. Um ihr einigermaßen zu steuern, vermied das Kammergericht nach Möglichkeit, auf Festungsstrafe zu erkennen; in einem Falle konnte es einen offenbaren Justizmord, auf den es nach Befehl des Königs erkennen sollte, nur dadurch hindern, daß es die Erledigung des Verfahrens bis über den Tod Friedrichs verschleppte.

      In der Sache des Müllers Arnold, dem bekanntesten Falle der friderizianischen Kabinettsjustiz, spielten verschiedene Gesichtspunkte durcheinander. Eine Justiz, die das Recht des Bauern rücksichtslos gegen den Junker zu wahren schien, war ein treffliches Anziehungsmittel für bäuerliche Ansiedler aus der Fremde, und sie war auch ein derber Denkzettel für die gar zu patriarchalische Gerichtsbarkeit der Junker. Aber Friedrich wurde dabei doch in sehr empfindlicher Weise an die Grenzen seiner Macht erinnert. Er bog das Recht, um in einem einzelnen Falle einem einzelnen Bauern zu helfen, aber als nunmehr Schwärme von Bauern das Schloß umlagerten und zu den Fenstern des Königs gerichtliche Urteile emporhoben, durch die sie viel schlimmeres Unrecht erfahren haben wollten als der Müller Arnold, da konnte er ihnen nicht helfen. Dazu wirkte noch ein militärpolitischer Gesichtspunkt in dieser berühmten Affäre mit. Der Müller Arnold hatte seine Beschwerden auf militärischem Wege zu den Ohren des Königs zu bringen gewußt, und Friedrich hatte irgendeinen unwissenden Kriegsknecht von Obersten mit der Untersuchung der Angelegenheit betraut. Auf dessen Bericht hin kassierte er die Richter des Kammergerichts, die gegen den Müller entschieden hatten, in schimpflichster Weise und schrieb an den Minister v. Zedlitz, der sich weigerte, dem Gewaltakte hilfreiche Hand zu leisten: »Das Federzeug verstehet nichts. Wenn Soldaten etwas untersuchen und dazu Order kriegen, so gehen sie den geraden Weg und auf den Grund der Sache. Allein ihr könnt das nur gewiß sein, daß ich einem ehrlichen Offizier, der Ehre im Leibe hat, mehr glaube als allen euren Advokaten und Richtern.« In der Sache des Müllers Arnold geben die preußischen Mythologen meistens der Wahrheit die Ehre, und es ist deshalb zu bedauern, daß Dühring, Sache, Leben und Feinde, 394, sie wegen ihrer »meist feige verhaltenen, aber doch hinreichend sichtbaren Bosheit gegen jene wirkliche Großtat des originalen Königs« verhöhnt. Eher versteht man es schon, wenn neuestens irgendein patriotischer preußischer Amtsrichter in guter Witterung der Zeit die rettende soziale Tat des Königs preist, die sich über formale Gesetzesbedenken hinweggesetzt habe. Übrigens scheint Friedrich selbst seinen Gewaltschritt bald als solchen erkannt und nur deshalb nicht zurückgetan zu haben, weil er seine königliche Unfehlbarkeit nicht bloßstellen wollte. Interessante Einzelheiten darüber bei Preuß, 3, 522 ff.

      So haben wir denn den aufgeklärten Despotismus Friedrichs nach seinem innern Zusammenhange, seinen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten in großen Umrissen geschildert. Ließ sich dabei eine gewisse Ausführlichkeit nicht vermeiden, so können wir uns über die Moral von der Geschichte um so kürzer fassen. Es hieße Wasser in die Spree tragen, wenn wir noch nachweisen wollten, daß dieser aufgeklärte Despotismus mit dem Zeitalter der deutschen Humanität, dem Lessing die erste Bahn brach, schlechterdings gar nichts zu tun hat. An einem Dornstrauche können keine Feigen wachsen.

      Es bleibt noch übrig, die Diplomatie und die Kriegführung Friedrichs auf den gleichen Gesichtspunkt zu untersuchen.

      VIII. Friedrichs Diplomatie und Kriegführung

       Inhaltsverzeichnis

      Die auswärtige Politik des preußischen Militärstaats war durch seine Lebensbedingungen gegeben. Er konnte dauernd nicht bestehen, solange er sich, von ein paar Landparzellen am Rhein abgesehen, einzig auf die voneinander getrennten Landschaften Brandenburg und Ostpreußen stützte, von denen Ostpreußen zudem noch unter polnischer Lehnshoheit stand. Diese abzuschütteln, sich zwischen Polen und Schweden eine unabhängige Stellung zu sichern und den Zankapfel beider Mächte, die Herrschaft über die Ostsee, selbst an sich zu reißen, durch die Erwerbung der anderen ostelbischen Kolonisationen, namentlich Pommerns und Schlesiens, mit deren Besitze das ganze handelspolitische Gebiet der Oder unter preußische Hoheit kam, ein ökonomisch und politisch abgerundetes Gemeinwesen herzustellen – das war zunächst die auswärtige Politik des preußischen Militärstaats, die von selbst gegeben war und sich gewissermaßen auch von selbst durchsetzte. Die größere oder geringere »Genialität« der einzelnen Fürsten hatte dabei nur insofern mitzusprechen, als sie ihnen eine größere oder geringere Einsicht in den notwendigen Gang der Dinge ermöglichte und somit die Wahl gewährte, sich nach dem lateinischen Worte von den Geschicken leiten oder schleppen zu lassen.

      Wir haben gesehen, daß schon der Kurfürst Friedrich Wilhelm den Plan zur Erwerbung Schlesiens entworfen und das Erlöschen des habsburgischen Mannesstammes als den Zeitpunkt angegeben hatte, wo diese Eroberung ins Werk zu setzen sei. Er selbst erwarb zunächst die Souveränität des Herzogtums Preußen, auf welche sein Nachfolger, Friedrich I., dann die Königswürde gründete. Für diesen Zweck warf sich der Kurfürst in den polnisch-schwedischen Kriegen um die Ostsee bald auf die eine, bald auf die andere Seite, mit einer Unbedenklichkeit in der Wahl der Mittel, die sogar den brandenburgischen Hofgeschichtsschreibern ein leises Schaudern einflößt. Es gelang dem Kurfürsten ferner, den größeren, aber hafenarmen Teil von Pommern an sich zu bringen; dagegen blieben Vorpommern und Stettin in den Händen der Schweden. Zweimal glaubte der Kurfürst auch diesen Teil von Pommern in der Hand zu haben; zweimal, im Westfälischen Frieden und im Frieden von St. Germain, mußte er zu seinem bittersten Verdrusse darauf verzichten. Schon im Jahre 1646 erklärte er, von der Oder könne und werde er ohne den Ruin seines Hauses nicht abstehen, und er kämpfte Schritt um Schritt um die Odermündungen. Aber wie er, so wußten auch seine Gegner, wessen der brandenburgisch-preußische Staat bedurfte. So unanfechtbar die Erbansprüche des Kurfürsten auf das ganze Pommern waren: Frankreich, Österreich, Schweden widersetzten sich ihnen gleichmäßig. Ehe sie dem Kurfürsten einen beherrschenden Platz an der Ostsee einräumten, stopften sie ihm lieber den Mund durch die Bistümer Kammin, Halberstadt, Minden und die Anwartschaft auf das Erzbistum Magdeburg, das heißt durch einen Besitz, der sowohl an Umfang wie an Kultur dem vorenthaltenen Teile von Pommern weit überlegen war. Nähere Daten darüber bei Stenzel, Geschichte des preußischen Staats, 2, 47 ff. Gleichwohl unterzeichnete der Kurfürst den westfälischen Friedensvertrag mit dem Stoßseufzer, daß er wünschte, nie schreiben gelernt zu haben. Erst seinem Enkel, dem Könige Friedrich Wilhelm I., gelang es, aus dem Schiffbruche des schwedischen Karl XII. Stettin und die Odermündungen sowie ein Stück von Vorpommern zu erwerben.

      Der habsburgische Mannesstamm erlosch im Jahre 1740, wenige Monate nachdem Friedrich II. die Regierung angetreten hatte. Es war nun weder ein genialer Gedanke noch eine revolutionäre Insurrektion, sondern einfach die unverbrüchliche Politik des preußischen Militärstaats, die den König veranlaßte, sofort in Schlesien einzufallen, sogar noch ehe Maria Theresia seine Vorschläge zu einer friedlichen Einigung über die brandenburgischen Erbansprüche auf einzelne Teile dieser Landschaft abgelehnt hatte. Von diesen Erbansprüchen spricht Friedrich verständigerweise immer mit Ironie; er wollte einzig eine niemals wiederkehrende Gelegenheit benützen, um den preußischen Staat so abzurunden, daß sein Heer mit der wachsenden Militärmacht der großen Staaten einigermaßen Schritt halten konnte. Er wußte sehr gut, daß seine Erbansprüche