Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
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kurze und solide Justiz administrirt« haben wollte. Aber die Schlußfolgerung, die er daraus zog und vom Standpunkt des aufgeklärten Despotismus nicht mit Unrecht zog, daß er nämlich »sich selbst darein meliren«, daß er selbst auf dem Posten sein und jeden Augenblick dreinfahren müsse, wenn die Kabale sich einzuschleichen drohe, führte notgedrungen wiederum zu der verderblichen Kabinettsjustiz.

      Man kann es dem König nicht eigentlich zum Vorwurfe machen, daß er es in erster Instanz bei der Patrimonialgerichtsbarkeit bewenden ließ, der Gerichtsbarkeit der Junker über die Bauern, bei welcher nach einem zeitgenössischen Worte »der Stock die Gelehrsamkeit ersetzte«. Denn daran konnte er aus schon entwickelten Gründen beim besten Willen nichts ändern. Aber Friedrich hat auch in den landesherrlichen Gerichten der oberen Instanzen niemals für eine unabhängige Justiz gesorgt; er hat stets den Grundsatz zurückgewiesen, daß Richter nicht durch königliche Machtsprüche, sondern nur kraft eines richterlichen Urteils abgesetzt werden könnten. So fegte Cocceji, des Königs rechte Hand in Justizsachen, einmal das ganze Kammergericht bis auf zwei Räte aus, darunter Männer, die seit Jahrzehnten unverweislich ihre Pflicht erfüllt hatten, ohne jedes Urteil, ja ohne jede Anklage, nur um die erledigten Stellen mit seinen Kreaturen zu besetzen. Friedrichs gesunder Widerwille gegen jede Justizverschleppung machte es nach und nach bei ihm zur fixen Idee, daß die Beendigung jedes Prozesses im Laufe eines Jahres der Inbegriff nicht nur einer »kurzen«, sondern auch »soliden« Justiz sei; die Prozeßordnung, die Cocceji entwerfen mußte, nennt sich schon in ihrem Titel »das Projekt des Codicis Fridericiani Marchici, nach welchem alle Prozesse in einem Jahr durch alle Instanzen zu Ende gebracht werden sollen und müssen«. Um dieses Ziel zu erreichen, umging Friedrich die ordentlichen Gerichte und setzte Immediat-Kommissionen ein; »mit wahrem Vergnügen« stellt er in einer Kabinettsorder vom 11. Mai 1747 fest, daß eine solche Kommission unter Coccejis Vorsitz binnen Jahresfrist am Hofgericht in Stettin 1600 und am Hofgericht in Köslin 720 Prozesse »abgetan« hat. Wie es bei dieser summarischen Justiz herging, sagt erschöpfend das lakonische Wort des Justizministers Jarriges: »Marsch! was fällt, das fällt.« Nicht ohne Grund sah Friedrich eine Ursache der Prozeßverschleppung in der damaligen Advokatur, die von seinem Vater grausam verfolgt worden war und infolgedessen zweifelhafte Subjekte reichlich genug in ihren Reihen hatte. Aber es trug gewiß nicht zur Hebung dieses Berufs bei, daß Friedrich neben mancher verständigeren Anordnung als Hauptmittel der Besserung die Kassation fortdauernd über dem Haupte jedes Advokaten schweben ließ; fehlten andere Gründe, so wurden des abschreckenden Beispiels wegen von Zeit zu Zeit einige beseitigt. So im Jahre 1775 ihrer sieben.

      Der König hielt sich für den obersten Richter, der nur wegen der praktischen Unmöglichkeit, jeden einzelnen Rechtsfall selbst zu entscheiden, einen Teil seiner richterlichen Gewalt auf andere übertragen habe, und in seinem königlichen Willen sah er die Quelle, welche die dürre Heide des geschriebenen und überlieferten Rechts gewissermaßen erst befruchtete. Vor allem auf dem Gebiete des Kriminalrechts suchte er diese Auffassung, soweit als nur immer möglich war, praktisch durchzuführen. In allen wichtigeren Fällen mußten die Erkenntnisse durch landesherrliche Gerichte gefällt und, wenn es sich um bedeutendere Strafen handelte, vom Landesherrn bestätigt werden. Sträflinge durften auf den Festungen nur auf Grund einer königlichen Order angenommen werden. Friedrich ließ hieran nie etwas ändern; er glaubte so die Untertanen am besten vor Unterdrückung gesichert; er wollte sich auch wohl vorbehalten, die scheußlichen Strafen der Karolina, die noch immer das preußische Strafrecht war, zu mildern. Aber der Justizminister v. Arnim, der als Chef des Kriminaldepartements die genaueste Sachkenntnis gewonnen hatte und übrigens den König lebhaft bewunderte, hat gleich nach dessen Tode in einer ausführlichen Schrift dargetan, wie wenig auf diesem Wege erreicht wurde. Indem der König sich an keine Grundsätze binden wollte, verfiel er in Launen, und gemeiniglich verschlimmerte er das Übel, das er beseitigen wollte.

      Sogleich bei seiner berühmtesten Justizreform: der Aufhebung der Folter. Die Tortur war nicht in dem Sinne eine sinn- und zwecklose Grausamkeit, daß sie von bösen oder dummen Menschen erfunden worden war und von einsichtigen oder guten Menschen einfach aufgehoben zu werden brauchte. Sie bildete vielmehr die Spitze des damaligen Kriminalprozesses, der die gesetzliche Strafe nicht ohne Eingeständnis des Angeklagten verhängen durfte und deshalb die Folter anwenden mußte, um einem nach der Überzeugung des Gerichtshofes sonst überführten Verbrecher auch das zur Verurteilung notwendige Geständnis zu entreißen. Deshalb hatte selbst Thomasius die Tortur nicht unbedingt zu verwerfen gewagt, und wenn Friedrich wirklich mit der barbarischen Gewohnheit brechen wollte, so mußte er eben den Kriminalprozeß gesetzlich reformieren. Aber daran dachte er nicht im entferntesten; er entschied von Fall zu Fall, sicher, daß er in jedem Falle das Rechte treffen werde. Ein aufsehenerregender Fall, in dem die Unschuld des Angeklagten gerade noch entdeckt wurde, als er schon auf die Folter gebracht werden sollte, veranlaßte ihn zur Anweisung an die Gerichte, nicht mehr auf Tortur zu erkennen. Dann aber verfügte der König in einem anderen Falle, in dem die Verurteilung eines zweifellos schuldigen Verbrechers an dessen Leugnen zu scheitern drohte, das mangelnde Geständnis durch – Prügel zu erzwingen. Damit war denn die Tortur in einer neuen und gefährlicheren Form wiederhergestellt. Sie hatte früher nur auf Grund eines förmlichen Erkenntnisses landesherrlicher Gerichte angewandt werden dürfen, während nunmehr jedem Untersuchungsrichter gestattet war, nach Herzenslust zu prügeln; »die Inquirenten bedurften dazu keiner höhern Ermächtigung und wandten das erwünschte Mittel so energisch an, daß man bald einige eklatante Justizmorde zu beklagen hatte« Alte und neue Rechtszustände in Preußen; Preußische Jahrbücher, 5, 390..

      Mit dem Willen des Königs als höchstem Gesetz hat es seine eigentümliche Bewandtnis. Entweder rüttelt er in eitlem Fürwitz an dem organischen Zusammenhange der historischen Entwicklung, und dann scheitert er oder zerstört, wo er schaffen möchte. Oder aber er begnügt sich mit dem Spielraume, den jeweilig die fürstliche Klasse hat, und dann erweist er sich keineswegs als Kind einer überirdischen Weisheit, sondern als das sehr irdische Erzeugnis von Klasseninteressen. Wer daran zweifelt, daß die geistigen Lebensformen durch die materiellen Lebensverhältnisse bestimmt werden, mag nur einmal Friedrichs Strafrechtspflege studieren; das Beispiel ist um so beweiskräftiger, als es dem Könige mit seiner Justizreform bitterer Ernst war, als er auf keinem Gebiete so kräftig wie auf diesem seine philosophischen Anschauungen in seinem fürstlichen Handwerke zu verwirklichen strebte. Sein Moral- und Strafkodex in Sachen der sogenannten fleischlichen Verbrechen spiegelt mit fast grotesker Schärfe seine Bevölkerungspolitik wider. Er verbot die Kirchenbuße gefallener Mädchen und untersagte jedem, ihnen wegen ihres Fehltritts Vorwürfe zu machen. Er gestattete zwar, daß, wenn einer in puncto sexti sich vergangen hatte, zwei Prediger ihm den begangenen Fehler zu Gemüte führen könnten, aber er fügte hinzu, »ohne zu poltern oder zu schelten«, und keiner der Geistlichen dürfe davon etwas verlauten lassen bei Strafe der Kassation; es müsse alles wie in der Beichte gesprochen angesehen werden. Er begnadigte gänzlich in Fällen von Blutschande, die dennoch vor die Gerichte gelangt waren, oder, was noch bezeichnender ist, als sich ein Ehemann bei Lebzeiten der Ehefrau mit der Tochter vergangen hatte, lehnte er die Begnadigung mit der Begründung ab: »Das ist zu gropf.« Er gewann dadurch überhaupt eine so weitherzige Ansicht von den fleischlichen Verbrechen, daß er das über einen Kavalleristen wegen Sodomiterei gefällte Todesurteil mit der klassischen Randschrift kassierte: »Der Kerl ist ein Schwein; er soll zur Infanterie.« Er beseitigte die Todesstrafe, die auf Abtreibung der Leibesfrucht gesetzt war, damit die Mutter durch spätere Fortpflanzung ihr Verbrechen wieder gutmachen könne. Er ließ die Bigamie nicht nur ungestraft, sondern erkannte sie rechtlich an, wie beispielsweise beim General Favrat. Friedrich selbst hatte bekanntlich schon an einer Frau zuviel, und es wäre lächerlich, seine juridische und moralische Weitherzigkeit in geschlechtlichen Dingen einer persönlichen Lasterhaftigkeit zuzurechnen. Doch ist zu bemerken, daß diese Weitherzigkeit den König nicht etwa verleitete, mit der katholischen Kirche wegen der kirchlichen Strafen anzubinden, die sie auf die Übertretung kirchlicher Eheverbote setzte. Friedrich war viel zu gescheit, um so »genial« wie der Herr Bismarck im »Kulturkampfe« zu sein. Einen Übergriff seiner Behörden in dieser Beziehung redressierte er sofort, indem er verfügte: »Indem sie (die katholischen Geistlichen) gedachtem Berkmeier die Absolution und das Abendmahl versagen, so geschieht ja dadurch kein Eingriff in unsere Rechte, welche uns in Ansehung der Dispensation in Ehesachen zustehen, sondern sie tun anderes nicht, als daß sie den Supplikanten